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    Durst
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Durst
    Von Jan Hamm

    Sie mögen unsterblich sein, kulturellen Umbrüchen jedoch können auch die Kinder Draculas nicht entkommen. Nahezu ein Jahrhundert nach Murnaus Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens schlagen zahllose Seelen in des Vampirs Brust. Bestialischer Fleischfresser (From Dusk Till Dawn), Neo-Noir-Krieger (Underworld), schmachtender Schönling (Twilight) – was genau ist ein Vampir denn eigentlich? Mit der Horror-Tragödie „Durst" setzt Kinoakrobat Chan-wook Park zur längst überfälligen Neuauslotung der gothischen Schauerfigur an. Hohe Erwartungen sind angebracht, immerhin schuf der Südkoreaner mit Oldboy einen kunstvollen Parforceritt, der auch in unseren Breitengraden zum Kultfilm avancierte. Und Park wird seinem Ruf gerecht. „Durst" ist virtuos inszeniertes Kino zwischen Genre und Arthouse, zwischen kaltem Schaudern und ergreifender Romantik - Operation gelungen, Patient untot.

    Sang-hyeon (Kang-ho Song, The Good, The Bad, The Weird, The Host) ist mit seiner Litanei am Ende. Trost durch Glauben, das hat sich für den katholischen Krankenhaus-Priester erledigt. Um seinem Leid ein glorreiches Ende zu setzen, nimmt er als Versuchsobjekt an einem medizinischen Experiment teil – und überlebt. Plötzlich ist er der Star einer Schar fanatischer Christen, die im bandagierten Sang-hyeon ein wandelndes Wunder sehen. Das hat allerdings einen gewaltigen Haken: Die Bluttransfusion eines anonymen Spenders hat ihn in einen Blutsauger verwandelt. Als Sang-hyeon seinem alten Schulkameraden Kang-woo (Ha-kyun Shin) begegnet und sich in dessen Adoptiv-Schwester und Ehefrau Tae-joo (Ok-vin Kim) verliebt, nimmt sein Unleben eine weitere Wende. Es dauert nicht lange, bis ihre Affäre erste Leichen produziert und Tae-joo auf den Vampirkuss besteht...

    Augenzwinkernd wirbt das „Durst"-Plakat mit dem Etikett „Chan-wook Parks erster Vampirfilm" - eine gelungene Pointe auf seine Rache-Trilogie (Sympathy For Mr. Vengeance, „Oldboy", Lady Vengeance). Tatsächlich ist „Durst" mit Selbstreferenzen durchzogen. Park nutzt das Vampirmotiv als Sprungbrett in die düsteren Tiefen seiner trotz Blutdurst äußerst menschlichen Figuren. Da ist die obligatorische Rache-Episode. Da sind an „Oldboy" gemahnende inzestuöse Verhältnisse und der fatale Anschluss an die Schulvergangenheit. Und da ist der von Tae-joo lüstern zur Schau getragene Verlust einer tragfähigen Beziehung zur eigenen Spezies, den Park bereits im subtil-boshaften I'm A Cyborg, But That's Ok durchgespielt hat.

    Gleich einer Irrfahrt zwischen Skylla und Charyptis entwickelt Park seine Figuren zwischen Trauma und Narzissmus. Bereits die Vampirwerdung Sang-hyeons begründet sich in dieser unheimlichen Spannung. Seine spirituelle Krise lässt ihn suizidal werden, die einstudierte Priesterrolle wiederum nach der Grandiosität eines Martyriums suchen – das tödliche Virus-Experiment ermöglicht ihm beides. Mal liebevoll, mal aggressiv, suchen die beiden Liebenden ineinander nach der Legitimation ihres dunklen Wesens und treiben sich darüber immer tiefer ins Verderben. Hier offenbaren sich die Dimensionen des Filmtitels; der vampirische Blutdurst wird zum Gegenstand einer pathologischen Fallstudie.

    Die selbstbewusste Stilistik von "Durst" steht seiner Psychodynamik in nichts nach. Mitreißende Kameraarbeit, etwa beim Tandemsprung zwischen Krankenhausterassen, lassen Publikum und Figuren eng zusammenrücken. Eine präzise Beleuchtung kommentiert das lunatische Treiben: Die sterile Behausung gleicht in ihrem gleißenden Weiß eher einem Asylum denn einer Vampirgruft. Spürbar wird Parks Signatur auch in den surrealen Sequenzen, etwa wenn sich das erste Opfer der unheiligen Liaison als idiotisch grinsender Geist zwischen die Körper der Liebenden zwängt. Abgerundet wird Parks Auseinandersetzung mit dem Blutsaugermythos mit einem meditativen und lange nachhallenden Finale, das noch einmal die ganze Bandbreite zwischen Komik, Tragik und Erschaudern abruft. Chapeau, Südkorea! Die nächsten hundert Jahre Leindwandvampirismus können kommen.

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