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    So glücklich war ich noch nie
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    So glücklich war ich noch nie
    Von Andreas Staben

    Im Medium des schönen Scheins erhalten Lügengeschichten einen doppelten Boden. Die Filmgeschichte erzählt nicht nur vom kunstvollen Blendwerk, sie wird auch von geschickten Schwindlern geschrieben. Der Regisseur Josef von Sternberg (Der blaue Engel) etwa hat sich den Adelstitel selbst angedichtet und Steven Spielberg soll der Legende nach seiner Karriere im Anfangsstadium dadurch nachgeholfen haben, dass er auf dem Universal-Gelände einfach ein leerstehendes Büro bezog und sich als Studioangestellter ausgab. Mit seiner Hochstapler-Biographie Catch Me If You Can hat Spielberg später einen der eindrucksvollsten Beiträge zum Thema gedreht. Und von Sternberg schuf in seinen sieben Filmen mit Marlene Dietrich durch kunstvolle Lichtsetzung und raffiniertes Dekor ein verführerisches Trugbild und zugleich eine der berühmtesten Ikonen der Kinogeschichte. Filmstars und Hochstapler lassen uns an Illusionen glauben. Die Mechanismen von Trug und Täuschung in einer wenig glamourösen Wirklichkeit untersuchte Regisseur Alexander Adolph in seiner Dokumentation Die Hochstapler, in der er vier besonders bemerkenswerte Schwindler porträtiert, deren Erzählungen sich nebenbei geradezu als Meisterkurs der Schauspielerei entpuppen. Nun geht der Filmemacher einen Schritt weiter und stellt einen Hochstapler in den Mittelpunkt seines ersten Spielfilms. In dem tragikomischen Drama „So glücklich war ich noch nie“ über menschliche Schwächen und Sehnsüchte erweist sich vor allem der überragende Hauptdarsteller Devid Striesow als ein Meister des doppelten Spiels.

    Ein offenbar weltgewandter Mann hält das Personal einer Boutique mit seinem Großeinkauf auf Trab und bietet einer anderen Kundin an, ihr den Mantel zu spendieren, den sie gerade anprobiert. Sie lehnt ab. Beim Bezahlen fliegt sein Betrug auf und der Fluchtversuch scheitert. Zwei Jahre später kommt der Hochstapler, sein eigentlicher Name ist Frank Knöpfel (Devid Striesow), aus dem Gefängnis und sofort holt ihn die Vergangenheit ein. Er findet Unterschlupf bei seinem Bruder Peter (Jörg Schüttauf, Berlin Is In Germany) und dessen misstrauischer Freundin Marie (Floriane Daniel, Reine Formsache), ergattert einen Job bei einer Putzfirma und führt ein unauffälliges Leben, bis er eines Tages die Frau aus der Boutique wiedertrifft: Tanja (Nadja Uhl) arbeitet als Prostituierte im Bordell von Fritzi (Elisabeth Trissenaar, Die Ehe der Maria Braun). Nun brechen Franks Neigungen wieder hervor. Der verliebte Betrüger setzt seine Talente ein, um an Geld zu kommen, denn er will Tanja freikaufen. Der Drahtseilakt geht eine Weile gut, das Glück scheint möglich...

    Ob Aufschneider, Heiratsschwindler oder Trickbetrüger – ein Hochstapler täuscht etwas vor, gibt sich als jemand anderes aus. Die Täuscher und Lügner haben ähnlich wie Verkäufer und Vertreter meist beachtliches schauspielerisches Vermögen, die Nähe zum professionellen Mimen ist frappierend. Devid Striesow (Lichter, Die Fälscher, Yella) hat in seiner Laufbahn schon oft Figuren mit dem Hang zur Selbstflucht oder zum Blendertum gespielt. Die ständigen Rollenwechsel Franks sind für ihn kein Problem, es ist ein Vergnügen zu beobachten, wie Striesow von einer Sekunde zur anderen den Gestus und den Tonfall eines internationalen Geschäftsmanns oder eines Immobilienmaklers annimmt. Entscheidend ist jeweils die Interaktion: Franks Auftritte sind zielgerichtet, die Leute sollen ihm etwas Bestimmtes glauben. Wenn er Interessenten in die Luxuswohnung eines Anwalts lockt, für den er eigentlich putzt, ist er ein so überzeugender Makler, dass er selbst daran glaubt. Er ist im Kern eine instabile Persönlichkeit. Striesows Meisterleistung besteht darin, dass er nicht nur die Anpassungsfähigkeit und Überzeugungskraft des Betrügers vermittelt, sondern zugleich auch dessen flüchtiges Inneres und dessen Individualität darzustellen vermag. Seine Balance von Technik und Einfühlung markiert den Unterschied zwischen dem impulsgesteuerten Schwindler und dem kontrolliert in Rollen schlüpfenden Schauspieler.

    Regisseur und Autor Adolph verzichtet auf die Überhöhung seiner erstaunlichen Hauptfigur. Frank Knöpfel – die Wahl der Initialen ist eine Verbeugung vor Thomas Manns berühmtem Hochstapler Felix Krull - ist nur ein Extremfall in einer Welt, in der jeder gezwungen ist, seine Identität anzupassen und unterschiedlichste Erwartungen zu erfüllen. Gleich in der Anfangssequenz in der Boutique wird dies deutlich. Der hier zum ersten Mal zu sehende Blick in den Spiegel wird danach zu einem Leitmotiv, die Frage, wer dort eigentlich zurückschaut, führt direkt zum Kern von Adolphs Thematik. Neben dem Psychogramm des Protagonisten geht es auch um die Leichtgläubigkeit seiner Opfer. Der gierige und schmierige Lokalpolitiker und Zahnarzt, der seine Ersparnisse dem großspurig auftretenden vermeintlichen Anwalt anvertraut, um mit windigen Geschäften schnellen Profit zu machen, ist nur ein Beispiel. Alle sehen das, was sie sehen wollen und oft nehmen sie am Reigen der Täuschungen selber teil. Wenn ein Pärchen auf Wohnungssuche flexibel die Meinung darüber ändert, ob es Kinder haben will oder nicht, treibt Adolph das Wechselspiel von Erwartungen und eigenen Wünschen auf die Spitze. Und so ist es nicht verwunderlich, dass wir den Bewährungshelfer, den Repräsentanten von Gesetz und Regel, als Freier im Bordell wiedersehen. Hier im Freudenhaus wird das Rollenspiel zum Prinzip, die dort tätigen Frauen tragen falsche Namen, treiben falsche Konversation und haben falsche Orgasmen.

    Tanja spielt ihre Rolle in Fritzis Etablissement überzeugend, Nadja Uhl (Lautlos, Sommer vorm Balkon, Der Baader Meinhof Komplex) unterstreicht die Künstlichkeit des professionellen Verhaltens, indem sie Tanja außerhalb des Jobs als sehr ruhig und vernunftgesteuert darstellt. Umso wirkungsvoller ist der Moment der Offenheit mit Frank, ein kostbarer Augenblick des Glücks, in dem die Figuren bei sich sind und dadurch Gemeinsamkeit erleben können. Hier erreicht der Film eine Emotionalität, die über die psychologische Fallstudie hinausgeht. Das ist der Mehrwert der fiktionalen Verdichtung, die sich auch in der Inszenierung zeigt. Dabei sind einige satirische Spitzen weniger gelungen, doch die Verengung der Perspektive auf Frank erweist sich als oft sehr wirkungsvoll. Das Chamäleon ist auf paradoxe Weise selbstbezogen. Die nüchterne Realität, die uns Adolph zeigt, verstärkt zudem das Verständnis für Franks Impulse. Wenn der das trostlose Flurschrubben in der menschenleeren Firma beendet und im Chefsessel Platz nimmt, zum Telefonhörer greift und Anweisungen gibt, sehen wir eine schauspielerische Bravourleistung und eine Miniatur, die voller Wahrheit steckt.

    Alexander Adolph hat mit „So glücklich war ich noch nie“ eine kongeniale Weiterführung und Ergänzung zu Die Hochstapler geschaffen. Zusammen sind seine beiden Filme nicht nur umfassende Studien über Betrüger und Betrogene, sondern bilden auch das formale Spektrum der filmischen Auseinandersetzung mit dem Thema ab. Wo die Dokumentation die faktische Kraft der Wirklichkeit des Schwindels besitzt, hat der Spielfilm den wahrhaftigen Charme des überzeugend Erfundenen.

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