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    Clerks – Die Ladenhüter
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Clerks – Die Ladenhüter
    Von Stefan Geisler

    Kevin Smith ist ein Phänomen. Der drehbuchschreibende Comicautor, der, wenn er nicht gerade vor der Kamera steht, am liebsten selbst im Regiestuhl sitzt, ist ein echter Allrounder. Von seinen Fans in den Neunzigern für tolle Werke wie „Chasing Amy" bejubelt, hat er sich im neuen Jahrtausend auch den ein oder anderen Flop geleistet - jüngstes Beispiel hierfür ist „Cop Out". Mit dieser müden Cop-Komödie hat sich der Regisseur aus New Jersey weit von seinen originellen Anfängen entfernt. 1994 debütierte er mit einem vollständig aus eigener Tasche finanzierten, komplett in schwarz-weiß gehaltenen, stellenweise grenzwertig vulgären Film , der großen Anklang bei Kritikern auf der ganzen Welt fand und bis heute als besonderes Kleinod des Komödiengenres gilt. Die Rede ist von „Clerks – Die Ladenhüter", dem ersten von bisher sechs Teilen der ursprünglich als Trilogie geplanten „New-Jersey-Reihe". Es ist ein Film über den ganz alltäglichen Wahnsinn, mit dem die unterbezahlten Hilfskräfte der Welt Tag für Tag fertig werden müssen.

    Dante Hicks (Brian O'Halloran) ist 22 Jahre alt und arbeitet in einem Quick-Stop-Laden. Jedenfalls würde er das, wenn nicht dauernd sein Kumpel Randal Graves (Jeff Anderson) vorbeischauen würde, der passenderweise gleich in der Videothek nebenan angestellt ist. Am liebsten philosophieren die beiden Freunde über Sex, „Star Wars" und nervtötende Kunden. Dann und wann kommt auch Dantes Freundin Veronica (Marilyn Ghigliotti) vorbei und versucht sein das Leben so erträglich wie möglich zu machen. Immer dabei sind die beiden kleinkriminellen Drogendealer Jay (Jason Mewes) und Silent Bob (Kevin Smith), die Tag und Nacht vor dem Vordereingang des Mini-Supermarktes herumhängen und auf Kundschaft warten. Aber auch ohne Dantes Stammgäste und Dauergesellschaft gibt es genügend Abwechslung: Bestimmt zettelt gerade ein verkappter Kaugummivertreter einen Aufstand an, ein Kunde sucht das perfekte Eierdutzend oder es steht ein Hockey-Spiel auf dem Dach des Ladens an... Kurz gesagt: Das wahre Leben spielt sich im kleinen Quick-Stop-Markt an der Ecke ab.

    Kevin Smiths Erstling besticht weder durch eine brillante Optik noch durch eine besonders herausfordernde Handlung. Außergewöhnlich sind dagegen die meist knapp über der Gürtellinie angesiedelten Dialoge, die das Herzstück dieser nur 27.000 Dollar teuren Low-Budget-Produktion bilden. So geht es in den Gesprächen der Protagonisten um eine verblüffende Vielfalt von Dingen, viele Fragen werden angeschnitten und oft kurz danach zugunsten eines ganz anderen Themas wieder verworfen. Eine der unterhaltsamsten dieser Diskussionen ist hierbei die „Todestern-Frage": Ist es wirklich gerecht, den im Bau befindlichen Todesstern in die Luft zu jagen, wenn die Hauptleidenden die unzähligen freien Facharbeiter sind, die mit den Plänen des Imperiums vielleicht ebenso wenig einverstanden sind wie die Rebellen selbst? Oder sind sie vielleicht selber schuld, weil das Risiko hinlänglich bekannt war? Solche Fragen treiben den „Star Wars"-Fan Smith um, seine Gedankengänge regen die Gleichgesinnten zum Mitdiskutieren an, während die Uneingeweihten sich über die entwaffnende Ernsthaftigkeit solcher Dialoge amüsieren können. Nach dem gleichen Prinzip wird hier von Sex-Techniken bis zu moralischen und juristischen Fragen wirklich so gut wie alles erörtert.

    Kevin Smith zeigt uns Loser auf dem Weg zur Selbstfindung, die „nur mal vorübergehend" im Quick-Stop oder in der Videothek um die Ecke arbeiten, um über die Runden zu kommen. Fernab jeder Herablassung werden sie die beiden Protagonisten als liebenswerte Antihelden porträtiert: Immer pleite, leicht reizbar und kein Fettnäpfchen auslassend sind sie dennoch oder gerade deswegen grundsympathische Identifikationsfiguren. Das gilt für den in Selbstzweifeln gefangenen Dante, der bei Streitigkeiten stets klein bei gibt und die Ursachen seiner Probleme immer bei anderen sucht genauso wie für den arbeitsscheuen Randal, der nichts so hasst wie die Kunden, die er täglich bedienen muss, aber Dante gegenüber immer loyal agiert, auch wenn das bedeutet, Entscheidungen über dessen Kopf hinweg zu treffen. Ähnlich liebevoll ist auch die Darstellung der anderen Charaktere, so haben sich Jay und Silent Bob im Lauf der Zeit von Nebenfiguren zu den eigentlichen Stars der „New Jersey-Reihe" gemausert und inzwischen einen regelrechten Kultstatus erreicht. Die beiden Kleinkriminellen tauchen nicht nur in fast jedem von Smiths eigenen Filmen und in vielen seiner Comics auf, sondern sie absolvierten auch Kurzauftritte in „Scream 3" und im Musikvideo „Because I got high" von Afroman.

    Manch einem Zuschauer mag die Sprache in „Clerks" als zu derb erscheinen und die ellenlangen Wortgefechte könnten sich für den ein oder anderen Betrachter als Geduldsprobe erweisen, aber letztlich lässt Smith seine Figuren nur vieles von dem aussprechen, was wohl jeder in ähnlichen Situationen schon einmal gedacht oder sich gefragt hat. Der Filmemacher hält unserer Gesellschaft den Spiegel vor und karikiert unverblümt die alltäglichen Grotesken des Lebens. Dante Hicks und Randal Graves sind die eigentlichen Superhelden unserer Gesellschaft, sie sind zeitgemäße Verwandte von Robin Hood, Rächer der frustrierten Aushilfskräfte und Einzelhändler, deren einzige Waffe im Kampf gegen nervige Kunden ihr alleiniges Recht auf Selbstbestimmung ist. Denn nicht der Job diktiert unser Verhalten, sondern dafür sind wir ganz allein verantwortlich. Kevin Smith hat es vorgemacht und mit den richtigen Ideen sowie der nötigen Entschlossenheit gezeigt, dass es keiner millionenschweren Effekthaschereien bedarf, um ein beeindruckendes Filmerlebnis zu kreieren.

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