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    Liebeslied
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,0
    schlecht
    Liebeslied
    Von Björn Becher

    Mit grandiose Texten und Grunge-Musik etabliert sich Selig Mitte der 90er Jahre als eine der wichtigsten Bands der deutschen Rockszene. Doch kurz nachdem sie den Soundtrack zu Knockin‘ On Heaven’s Door einspielten, trennte sich die Band wie aus heiterem Himmel. Texter und Sänger Jan Plewka sowie Gitarrist und Komponist Christian Neander gingen getrennte Wege. Plewka veröffentlichte das starke Soloalbum „Zuhause da war ich schon“ und gründete die Band Zinoba, während Neander mit der Band Kungfu an die alten Erfolge anknüpfen wollte. Doch 2009 betrat Selig plötzlich wieder die Rockbühne – und das so erfolgreich wie nie zuvor. Die Reunion nahm ihren Anfang bei einer Filmproduktion. Für das Parkinson-Musical „Liebeslied“ von Anne Hoegh Krohn („Geld macht sexy“) komponierten Neander, Plewka sowie Schauspielerin Nicolette Krebitz gemeinsam die Musik und verwandelten die Drehbuchtexte in Songs. Dass aus dieser Zusammenarbeit ein Comeback von Selig entsprang, ist allerdings das einzig Erfreuliche an dem Film. Denn „Liebeslied“ ist im Übrigen eine ungemein platte Angelegenheit, deren Versuch, eine Drama-Story mit Gesangseinlagen aufzupeppen, gnadenlos in die Hose geht. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Parkinson verleitet zum Fremdschämen. Dass die Inszenierung von Regisseurin Anne Hoegh Krohn zudem ungemein bieder ist, macht es sicher nicht besser.

    Viel Geld hat man nicht, aber man liebt sich bedingungslos. So lässt sich das Leben von Roger (Jan Plewka), Dinah (Nicolette Krebitz) und ihren Kindern (Levin Henning, Elisa Richter) beschreiben, die sich gerade mit viel Einsatz den Traum vom Eigenheim erfüllt haben. Dass Roger oft auf Montage ist, stellt das Paar vor keine Probleme. Doch als er mit zittrigen Händen einen Arbeitsunfall verursacht, verliert Roger seinen Job. Auch der neue Arbeitgeber verweist ihn nach einem ähnlichen Vorfall nach wenigen Stunden wieder von der Baustelle. Während Rogers Kumpel Volker (Oliver Bröcker) glaubt, sein bester Freund habe ein Alkoholproblem, muss dieser sich bald einer bitteren Realität stellen. Der Arzt diagnostiziert bei ihm die neurologische Erkrankung Parkinson. Roger verschweigt die Diagnose seiner Familie, die schon bald an den Folgen der Krankheit zu zerbrechen droht…

    Die Krankheit Parkinson ist in den vergangenen Jahren durch prominente Fälle wie Muhammad Ali oder Michael J. Fox (Zurück in die Zukunft) verstärkt ins Licht der Öffentlichkeit geraten. Es ist eine der Krankheiten, denen die Forschung noch recht machtlos gegenüber steht. Hinsichtlich der Ursache sind noch viele Fragen offen und zufriedenstellende Heilansätze gibt es auch nicht. Was viele dabei unterschätzen: Parkinson ist keine „Alte-Leute-Krankheit“, sondern trifft auch jüngere Menschen, die infolge der Krankheit meist berufsunfähig werden. Wenn man „Liebeslied“ im Zusammenhang mit der Darstellung von Parkinson etwas zugutehalten kann, dann, dass der Film auf diesen Umstand hinweist. Im Übrigen fehlt Anne Hoegh Krohn aber jegliches Gespür für den Umgang mit der Krankheit. Das lässt sich an einer Szene exemplarisch festmachen. Roger sieht, wie seine Tochter (Elisa Richter) mit dem Fahrrad unkontrolliert auf die Straße zurast, wo sie ein Auto zu überfahren droht. Er rennt ihr entgegen, um sie vorher abzufangen. Doch mitten auf der Straße erstarrt er plötzlich. Roger widerfährt hier das sogenannte Freezing-Phänomen, ein kurzfristiges Erstarren inmitten einer Bewegung. Doch kurzfristig ist das hier nicht. Denn diesem Moment schließt sich eine der lächerlichsten Szenenfolgen des Kinojahres an. Während Roger angewurzelt auf der Straße steht, wird seine Tochter angefahren. Seine Frau Dinah ruft den Krankenwagen, die Tochter wird – begleitet von der Mutter - abtransportiert. Roger bleibt weiter – von Frau, Sanitätern, etc. unbeachtet - auf der Straße stehen. Einen kurzen Ausbruch liefert nur eine surreale Sequenz, in der Roger seinen eigenen Körper verlässt und kurz dem Krankenwagen hinterherrennt. Die Stunden streichen ins Land, Roger wird zwischenzeitlich vom Nachbarsjungen dekoriert, die Familie kommt mit der ärztlich versorgten Tochter zurück. Dinah kommt dann irgendwann – es ist bereits stockdunkel – raus, um ihrem Mann eine warme Jacke zu verpassen und zu berichten, dass sie gerade Suppe kocht. Man unterhält sich kurz – er kann sich weiterhin nicht bewegen, aber immerhin reden - und sie geht wieder zurück. Irgendwann in der Nacht endet dann die Schockstarre und er kehrt zurück ins traute Heim.

    Abgesehen von den peinlichen Momenten, die mit ihrer unfreiwilligen Komik jeglichen Anflug von Dramatik versauen, gelingt der Regisseurin auch sonst nicht viel. Die Idee, ein Krankheits-Drama als Musical zu erzählen, ist nicht schlecht, aber dafür braucht es visuelle Ideen. Die Tanz- und Gesangsszenen sind durch die Bank langweilig und farblos, ohne Rhythmus und ohne Inspiration. Wenn sie einmal mit etwas Surrealem aus dem Alltagstrott auszubrechen versucht, macht Krohn das kleine Budget einen Strich durch die Rechnung und die Szenen sehen schlicht billig aus. Bei den trivialen Songtexten fällt der Musikfan dann regelrecht vom Glauben ab. Soll hierfür wirklich Jan Plewka mitverantwortlich gewesen sein? Absoluter Tiefpunkt ist das vom kleinen Levin Henning (Das weiße Band) vorgetragene „Lars‘ Lied“, bei dem man endgültig im Boden versinken will. Bezeichnenderweise hat hier Anne Hoegh Krohn, von der auch die hölzernen Dialoge stammen, den Textcredit bekommen. Selig-Frontmann Plewka kann immerhin mit seiner starken Stimme noch ein paar kleine Momente kreieren, ist dafür aber schauspielerisch ein Totalausfall. Bei Nicolette Krebitz (Mädchen am Sonntag, Unter Dir die Stadt) verhält es sich genau anders rum. Sie ist ohne Frage eine der besten deutschen Schauspielerinnen, ihre musikalischen Darbietungen passen allerdings nicht immer.

    Fazit: Auf dem Papier mag sich „Liebeslied“ noch ganz gut angehört haben. Die Umsetzung ist aber komplett misslungen. Immerhin hat es der Film geschafft, dass sich Selig wiedervereint haben. Vergessen wir den ganzen Rest doch am besten einfach – und zwar ganz, ganz schnell.

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