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    Arsen und Spitzenhäubchen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Arsen und Spitzenhäubchen
    Von Jens Hamp

    Der Weg zu „Arsen und Spitzenhäubchen“ ist voller Irrungen und Wirrungen. Ursprünglich wollte Joseph Kesselring aus dem Stoff um männermordende Tanten ein bierernstes Drama machen – glücklicherweise empfahl ihm aber ein Freund nach der Lektüre des halbfertigen Stückes, dass man die irrsinnige Situation auch gut als pechschwarze Komödie verarbeiten könnte. Das Publikum dankte es ihm und machte „Arsen und Spitzenhäubchen“ zu einem der erfolgreichsten Theaterstücke, das jemals auf den Bühnen des Broadways gespielt wurde. Nachdem Hollywood-Regisseur Frank Capra (Ist das Leben nicht schön?) einer dieser Aufführungen begeistert beigewohnt hatte, ließ die erste Anfrage aus der Traumfabrik nicht mehr lange auf sich warten lassen. Doch erneut griff das Schicksal ein und durchkreuzte Capras Pläne. Eigentlich sollte die Hauptrolle James Stewart übernehmen. Dieser trat allerdings noch vor den Angriffen auf Pearl Harbor der US-Armee bei und war folglich nicht mehr für Filmprojekte zu haben.

    Deshalb zwang Warner Frank Capra im Herbst 1941, statt mit James Stewart mit Cary Grant (Der unsichtbare Dritte, Leoparden küsst man nicht) zu drehen - eine glückliche Fügung, wie sich herausstellte. Wohl kaum ein anderer Schauspieler hätte den hochgradig nervösen Mortimer Brewster ähnlich überdreht gespielt wie die britische Leinwandlegende. Bis allerdings das zahlende Kinopublikum in den Genuss des komödiantischen Geniestreichs kam, vergingen weitere drei Jahre. Frank Capra konnte sich die Rechte an „Arsen und Spitzenhäubchen“ nur sichern, indem er einwilligte, mit der Kinoauswertung zu warten, bis der letzte Vorhang am Broadway gefallen ist. Nach 1.444 Aufführung auf den New Yorker Theaterbühnen setzte „Arsen und Spitzenhäubchen“ im September 1944 seinen Siegeszug im Kino fort und wird heute völlig zu recht zu den besten Komödien aller Zeiten gezählt.

    Sprichwörtlich hat jeder eine Leiche im Keller. Aber die Tanten von Theaterkritiker Mortimer Brewster (Cary Grant) haben nicht nur ihre kleinen, fein gehüteten Geheimnisse, sondern tatsächlich zwölf Tote im Keller vergraben. Abby (Josephine Hull, Oscar für „Mein Freund Harvey“) und Martha (Jean Adair) vergiften aus Barmherzigkeit einsame Männer, um sie Gott näher zu bringen. Damit aber nicht genug, im Laufe des Halloween-Abends taucht plötzlich Mortimers verbrecherischer Bruder Jonathan (Raymond Massey, „Jenseits von Eden“, „Abe Lincoln in Illinois“) auf - unerwünscht und mit einer Leiche im Gepäck. Und dabei will der überzeugte Junggeselle Mortimer seinen Tanten doch eigentlich nur berichten, dass er nach langem Ringen endlich seine Freundin (Priscilla Lane, „Saboteure“, „Die wilden Zwanziger“) geehelicht hat…

    „You… Get out of here! D’ya wanna be poisened? D’ya wanna be murdered? D’ya wanna be killed?“ – Mortimer Brewster

    Zeit seines Lebens bezeichnete Cary Grant „Arsen und Spitzenhäubchen“ als die schlechteste Rolle, die er jemals gespielt hat. Zu überspitzt sei sein Auftritt, zu bekloppt das sich ständig vor Wendungen überschlagende Szenario. Eine Kritik, die vielleicht nicht ganz unberechtigt ist. Insbesondere im Finale dreht die Geschichte derartig am Rad, dass man das ganze Ensemble am liebsten in eine Klapsmühle einweisen würde. Doch gerade dieser Irrsinn, der jeden „Looney Tunes“-Cartoon als das Normalste von der Welt erscheinen lässt, macht den unvergleichlichen Charme des Komödien-Klassikers aus. In Windeseile wandelt sich Grant vom Normalbürger zum flatterigen Nervenbündel, das mit allen Mitteln versucht, die Morde seiner mitleidigen Tanten zu vertuschen.

    Unerlässliche Zutat für das famose Lustspiel sind all die Charaktere, die Mortimer zunehmend in den Wahnsinn treiben. Selbst Polizist O’Hara (Jack Carson, Die Katze auf dem heißen Blechdach), der unbedingt sein Theaterstück vorstellen möchte, ist urkomisch, obwohl er nur in wenigen Szenen vorkommt. Josephine Hull und Jean Adair, die hier ihre Broadway-Rollen wiederbeleben, sind einfach unvergleichlich, wenn sie wie unschuldige Engel über ihre barmherzigen Taten sprechen. Weitere Perlen sind Peter Lorre als schmierig-versoffener Dr. Einstein und der Broadway-erfahrene John Alexander als Theodore Brewster. Lorre, der sich vor allem als Mädchenmörder in Fritz Langs M ins kollektive Gedächtnis gepfiffen hat, spielt seinen einmaligen Akzent hier voll aus. Und Theodor Brewster, der sich selbst für Theodor Roosevelt hält, ist mit seinen bierernsten Einwürfen für eine Pointe nach der anderen gut. Insbesondere die von einem lautstarken „Chaaaarge!“ begleitete Erstürmung der Treppe erweist sich als schrulliger Running Gag, der wohl nie Staub ansetzen wird.

    Wer unbedingt ein Haar in der perfekten Komödiensuppe finden möchte, könnte wohl bemängeln, dass „Arsen und Spitzenhäubchen“ zu keinem Zeitpunkt seine Theaterherkunft verheimlichen kann. Nahezu das gesamte Treiben spielt sich im Wohnzimmer der Tanten ab. Andere Spielorte wie das Standesamt oder der Keller werden nur spärlich eingesetzt. Frank Capra versteht die beschränkten Kulissen jedoch hervorragend zu nutzen. So wird insbesondere das Zusammenspiel von Licht und Schatten famos eingesetzt, um den an Frankensteins Monster erinnernden Jonathan (am Broadway wurde diese Rolle passenderweise von Boris Karloff gespielt) noch furchteinflößender zu machen. Besonders grandios ist hierbei ein Gespräch zwischen dem Gangsterbruder und seinem Handlanger inszeniert: Auf eine Wand ist ein überdimensionierter Schatten von Jonathans Kopf projiziert, der einschüchternd auf den zusammengekauerten Dr. Einstein einwirkt. Atmosphärisch konkurrieren die großartigen Einstellungen mühelos mit den Klassikern des Gruselkinos, allerdings werden jegliche Anflüge von Ernsthaftigkeit in diesem Irrenhaus durch die spleenigen Drehbuchüberraschungen sofort niedergestreckt.

    „Look I probably should have told you this before but you see…well…insanity runs in my family. It practically gallops.“ – Mortimer Brewster

    Selbst nach fast siebzig Jahren wirkt „Arsen und Spitzenhäubchen“ frischer als die meisten Komödien, die Hollywood in den vergangenen Jahrzehnten zusammengestückelt hat. Zwar musste Frank Capra aufgrund des Hays Codes einige Anzüglichkeiten des Theaterskripts streichen, doch auch auf der Leinwand trifft jeder Dialog ungebremst ins Pechschwarze. Cary Grant überzuckert mit seiner schwindelerregenden Performance den Affen, so dass der im Wohnzimmer der barmherzigen Tanten tobende Wahnsinn dem Zuschauer keine Zeit zum Luftholen lässt und die Lachmuskulatur aufs Extremste strapaziert. Nach dieser turbulenten Gagparade weiß man wahrlich nicht mehr, ob man Mensch oder Kaffeekanne ist.

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