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    Hesher - Der Rebell
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Hesher - Der Rebell
    Von Robert Cherkowski

    Es ist immer schön zu sehen, wenn das Thema Kindheit in Filmen adäquat dargestellt wird. Allzu oft werden die lieben Kleinen als niedlich in der Gestalt und rein im Herzen und im Geiste dargestellt, obwohl das Chaos meist auch in jungen Jahren groß ist. Zornig, trotzig, bockig und oft schwer zugänglich - so sind Kinder keineswegs die besseren Menschen. Wie ungestüm und wüst es in ihren Köpfen bisweilen zugeht, dafür fand zuletzt Spike Jones unverwechselbare Bilder, als er den Kinderbuchklassiker „Wo die wilden Kerle wohnen" kongenial auf die großen Leinwände hievte. Wild und so ungezügelt wie die Fantasie des kindlichen Helden, fing Jonze seinerzeit die Reise in kindliche Traumwelten ein, in der wilde haarige Kreaturen einem einsamen Jungen in schweren Zeiten beistanden. In eine erkennbar ähnliche Kerbe will auch Spencer Susser mit seinem Langfilmdebüt schlagen. Erneut steht eine schwierige Kindheit im Mittelpunkt, die nur mithilfe einer wilden, haarigen Kreatur zu überstehen ist. Um dem langhaarigen Proleten „Hesher" mit dem Mundwerk eines am Tourette-Syndrom erkrankten Seemannes zu begegnen, muss man sich jedoch in keine Traumwelt flüchten. Hesher ist aus Fleisch und Blut - und ehe man sich versieht, zieht er auch schon ungefragt bei einem ein.

    So ergeht es zumindest T.J. (Devin Brochu). Nach dem Unfalltod seiner Mutter wohnt der 12-Jährige zusammen mit seinem Vater (Rainn Wilson) bei der leicht dementen Großmutter (Piper Laurie) und versinkt mehr und mehr in Lethargie. Während sich sein vom Gram überwältigter Vater selbst vernachlässigt und hinter einer Nebelwand zahlreicher Psychopharmaka zu verschwinden droht, versucht T.J. immer wieder verzweifelt, das lädierte Unfallauto beim örtlichen Schrottplatz auszulösen. Er klammert sich an den Wagen, der zum Sinnbild für einen unabgeschlossenen Trauerprozess wird, den es abzuschließen gilt, bevor das Leben weitergehen kann. Die Trauer und der völlig weggetretene Vater sind jedoch nicht seine größten Probleme. Ein bösartiger Bully der übelsten Sorte macht ihm das Leben zur Hölle - und dann ist da natürlich auch noch Hesher (Joseph Gordon-Levitt)...

    Der Endzwanziger-Metal-Head mit dem Schandmaul, den miesen Manieren und den pyromanen Anwandlungen nistet sich - ohne Gründe zu nennen - im Haus der Großmutter ein und stiftet allerhand Chaos, Unordnung und Verwüstung. So groß der Ärger auch sein mag - Hesher und die schüchterne Supermarktangestellte Nicole (Natalie Portman) schaffen es mit ihrer mitfühlenden Anteilnahme (im Fall von Nicole) und konfrontativem Aktionismus (im Fall von Hesher) T.J. aus seiner Trauer zurück ins Leben zu treiben.

    Auch wenn das Skript dankenswerterweise nie präzise in dieser Hinsicht wird, bietet sich die Deutung an, dass es sich bei Hesher und Nicole um erhoffte und erträumte Heimsuchungen T.J.s handelt, mit deren Hilfe er sich und seinen Vater aus der lethargischen Trauer reißen will. Susser tut gut daran, vieles in der Schwebe zu lassen. Vielleicht ist Hesher eine göttliche Intervention, vielleicht nur der herbeifantasierte brüderliche Freund und wieder vielleicht einfach eine Deux Ex Machina der Autoren Susser und David Michôd („Königreich des Verbrechens"), um die Geschichte voranzutreiben. Susser will sich nicht festlegen und lässt alle Deutungen gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Im Ton seines Werkes verhält er sich dabei ähnlich. Einigen Zuschauern wird die Unentschlossenheit zwischen Drama und Komödie, Kinderfilm und R-Rated-Comedy sicherlich ein Dorn im Auge sein. „Hesher" will sowohl eine bewegende Kindheitsgeschichte über Trauerbewältigung sein, als auch Außenseiterportrait und Suburbia-Groteske mit schrägen Typen und schrillen Bad-Taste-Gags.

    Tatsächlich ist „Hesher" in den Momenten, in denen der Regisseur den Entschluss fasst, ein düsteres Kinomärchen zu erzählen, am stärksten - und hätte so durchaus das Potential besessen, zum kleinen Klassiker aufzusteigen. Besonders der unerwartet heftige Kleinkrieg zwischen T.J. und seinem Bully (Brendan Hill) sowie der dramatische Schlussakt wissen zu gefallen. Bis es soweit ist und er endlich seine eigentliche Stärke erkannt hat, muss man Susser aber leider eine gute Stunde zusehen, wie er versucht, komödiantisches Talent unter Beweis zu stellen und dabei immer wieder scheitert. Lange Zeit ist unklar, ob „Hesher" ein misslungener Versuch einer schwarzen Komödie oder schlicht und ergreifend ein unkomisches Drama sein soll. Das Problem liegt weniger an dem Konzept, beides zu vermischen. Das hat es oft gegeben und oft hat es funktioniert, wenn die richtigen Hände an den richtigen Stellen angelegt haben. Sussers Hände mögen hingegen zwar genau die richtigen sein, wenn es um melancholische Einblicke in die Seele seiner Helden oder triste Vorstädte geht, von Komödien sollte er in Zukunft aber besser die Finger lassen. Anscheinend war eine dreckige Off-Beat-Komödie im Indie-Gewand geplant. Mürrisch im Ton und mit reichlich expliziter Sprache. Heraus kam ein gewollt-exzentrischer und berechnend-vulgärer Anti-Humor, dessen miserables Timing auch die wenigen brauchbaren Gags gegen die Wand fährt.

    Auch Hesher selbst will partout nicht die Kultfigur werden, als die er konzipiert wurde. Da kann man ihm noch so viele ach so verlotterte One-Liner in den Mund legen – so recht will er nicht in seinen eigenen Film passen. Tatsächlich sind es gerade die Casting-Sensationen des Films, die sich vielleicht auf dem Poster gut machen, die Erzählung jedoch immer wieder auf abseitige Wege führen, die oft negativ auffallen. Etwas unmotiviert pöbelt sich „Inception"-Aufsteiger Gordon-Levitt hier durch die Szenerie und versucht so, seine alte Bürgerschreck-Rolle aus Gregg ArakiMysterious Skin" unter neuen Vorzeichen wieder aufleben zu lassen. Die Idee ist leider genau so blöd wie der affektierte Slacker-Slang, mit dem er seine Obszönitäten runterbrabbelt. Natalie Portmann hat es noch schlimmer erwischt. Sie will sich so gar nicht ins Ensemble fügen und auch die graue Maus will man ihr nicht so recht abkaufen. Vielmehr wirkt ihr Auftritt wie der kalkulierte Versuch, ihr fadenscheiniges Profil als „wandlungsfähige Edelmimin" zu schärfen. Schade, dass die gute Arbeit der eigentlichen Stars dabei ins Hintertreffen gerät. Der ewige Nerd-Darsteller Rainn Wilson darf im Schatten von Gordon-Levitt (fast ohne eine Miene zu verziehen) das Drama eines mit voller Wucht geschlagenen jungen Witwers ausspielen, der nur langsam und durch viele Schocks wieder erste schmerzhafte Schritte ins Leben macht. Devin Brochu als T.J. ist ohnehin eine gut gecastete Bank, die in sein Herz zu schließen niemandem schwer fallen dürfte. Leider verliert ihn Susser immer wieder für zu lange Zeit aus den Augen, um stattdessen die leidlich interessanten Abenteuer Heshers zu verfolgen.

    Das Scheitern von „Hesher" bleibt ein tragisches Unterfangen. Die Qualitäten, mit denen Susser in klaren Momenten auffährt, legen Zeugnis von einer fantastischen Tragikomödie mit originellen Ideen und Perspektiven ab, die leider von einer Überzahl „cooler" Ideen verwässert wurde. Es scheint, als hätte Susser während der Produktion immer wieder die Übersicht verloren und sich in den Kopf gesetzt, statt eines sensiblen Dramas doch lieber einen „Instant-Kultfilm" für jedermann zu fabrizieren. Leider war grade niemand zur Stelle, um ihm zu erklären, dass man so etwas nicht planen kann. Wie sein Titelheld bleibt auch Sussers Film in Posen verhaftet. „Hesher" wäre gern finster, edgy und abgefahren - und bleibt am Ende doch nur ein berechnender Crowdpleaser.

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