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    Kinatay
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Kinatay
    Von Ulf Lepelmeier

    Der unbestrittene Skandalfilm der Filmfestspiele von Cannes 2009 war Lars von Triers Antichrist, aber im Schatten des großen Kritikerschrecks gab es auch in Bezug auf die Brutalität und Unbarmherzigkeit von „Kinatay“, der für die beste Regie ausgezeichnet wurde, heftige Diskussionen. Der philippinische Regisseur Brillante Mendoza behandelt in seinem Gesellschaftsdrama zwar ein abartiges Verbrechen, geht dabei aber so distanziert, ja, nahezu dokumentarisch vor, dass man mehr mit dem moralischen Dilemma des noch unbescholtenen Protagonisten beschäftigt ist, als sich mit dem eigentlichen Opfer zu identifizieren oder gar mit ihm zu leiden. Taucht der Film in der ersten Hälfte noch in die bunte, belebte Welt Manilas ein, konzentriert sich der weitere Verlauf unter Verwendung von Wackelkamera und düsteren, grobkörnigen Bildern darauf, wie ein junger Polizeianwärter einer unvorstellbaren Tat beiwohnt und dabei seine moralische Unschuld verliert.

    Peping (Coco Martin) ist gerade 20 Jahre alt und steht kurz davor, die Mutter seiner gerade sieben Monate alten Tochter zu heiraten. Als Polizeischüler ist der fröhliche junge Mann immer knapp bei Kasse und versucht daher, mit einigen Nebenjobs irgendwie für seine Familie aufzukommen. So wird er gelegentlich auch als Geldeintreiber für ein lokales Syndikat tätig. Eines Abends, nachdem er den Straßenverkäufern das Schutzgeld abgenommen hat, wird er von seinem Boss (Julio Diaz), einem ehemaligen Polizisten, aufgefordert, bei einem besonders gut bezahlten Auftrag zu helfen, der die gesamte Nacht in Anspruch nehmen wird. Peping steigt unbedarft in einen Kleinbus ohne zu ahnen, welch schrecklichem Verbrechen er als Bewährungsprobe beiwohnen soll...

    Für die Einführung, in der Peping vor der Kulisse der lebhaft-bunten Philippinen-Metropole Manila als fürsorglicher Vater und Ehemann vorgestellt wird, nimmt sich Regisseur Brillante Mendoza („Serbis“, „Foster Child“) viel Zeit. Er zeigt seinen Protagonisten beim standesamtlichen Ehegelöbnis, der anschließenden Familienfeier und beim Absitzen der Zeit in der Polizeischule. Beinahe dokumentarisch wird hier das unaufgeregte, alltägliche Leben eingefangen, das sich später als harscher Kontrast zu den folgenden Ereignissen erweisen wird. Mit einem eindrucksvollen Sonnenuntergang endet diese Phase, bevor dann der inhaltlich wie filmisch extrem düstere Teil der Story eingeläutet wird.

    Ab dem Moment, in dem Peping in den Bus steigt, kommt nur noch eine unruhige Handkamera zum Einsatz und es wird einzig auf die gegebenen Lichtquellen zurückgegriffen. Dies hat extrem dunkle Bilder zur Folge, die Geschehnisse und Gesichter nur noch schemenhaft wiedergeben. Gerade die Fahrt zu einem abgelegenen Haus am Rande der Großstadt erweist sich als quälend lang. Bei der in die Länge gezogenen Fahrt bleibt dem Zuschauer genug Zeit, während im Hintergrund ein beunruhigender Geräuschteppich mitklingt, das Minenspiel des jungen Peping zu beobachten, das sich von fragend über besorgt bis hin zu angsterfüllt entwickelt. Hier stellt sich noch die Frage, ob der angehende Polizist vielleicht einen Versuch unternehmen wird, das sich abzeichnende Verbrechen zu verhindern. Hauptdarsteller Coco Martin („Next Attraction“) spielt dabei sehr natürlich und gibt Peping als Identifikationsfigur, deren Ohnmacht die eigentliche Grausamkeit des Films ausmacht.

    Die Verschleppung, Vergewaltigung und anschließende Schlachtung des Opfers läuft nahezu in Realzeit ab und ist allein aufgrund der Dauer schwer zu ertragen. Die schreckliche Tat selbst wird zwar letztlich nur angedeutet und versinkt in der Dunkelheit der verwackelten Bilder, aber allein die furchtbaren Laute, die das brutale Schlachten mit sich bringt, reichen aus, um Schecken der Ereignisse wirkungsvoll zu transportieren.

    „Kinatay“ ist verstörend ohne menschenverachtend oder abstoßend brutal zu sein. Damit ist er auch keinesfalls mit rein an Gewaltbetrachtungen interessierten Folterpornos à la Hostel zu vergleichen. Regisseur Brillante Mendoza zeigt mit seinem unangenehm düsteren Film die gesellschaftlichen Missstände seiner sich (zu?) rasant entwickelnden Heimatstadt auf, in der Gewalt und Korruption allgegenwärtig sind. Allerdings erscheint es mehr als fraglich, ob dafür zwingend eine solch grausame Tat ins Zentrum gestellt werden muss, die zudem in Echtzeit und mit einer an Blair Witch Project erinnernden Optik erzählt wird. Bleibt so doch die Vermutung, dass Mendoza nur darauf spekulierte, sich die werbewirksame Titulierung Skandalfilm in Cannes abzuholen. Während sich nie ein (Mit-)Gefühl für das weibliche Opfer einstellt, gelingt es dem Regisseur aber zumindest, den Zuschauer für den überforderten Peping zu interessieren, dessen Leben nach dieser monströsen Nacht nie wieder so sein wird wie zuvor.

    Fazit: „Kinatay“ ist ein schwer verdauliches Gesellschaftsdrama über den geschäftigen Alltag der Großstadt Manila und den Verlust der moralischen Unschuld, das mit bestürzender Konsequenz die Vorbereitung und Durchführung eines abstoßenden Verbrechens in den Mittelpunkt stellt und dem Zuschauer damit in vielerlei Hinsicht einiges zumutet.

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