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    Schwerkraft
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Schwerkraft
    Von Sascha Westphal

    Das deutsche Kino hat die Finanzkrise und damit auch die Figur des Bankers, der eben kein Bankier mehr im althergebrachten Sinne ist, als zeitgenössischen Antihelden oder gleich als Schurken für sich entdeckt. In Leander Haußmanns Posse Dinosaurier erweist sich ein subalterner Bankangestellter geradezu als Inbegriff des klassischen Komödien-Bösewichts, also als dämonische Witzfigur, die schließlich nur umso tiefer fällt. Der von Fabian Hinrichs (Sophie Scholl – Die letzten Tage, 66/67 – Fairplay war gestern) gespielte Kreditsachbearbeiter Frederick Feinermann ist in Maximilian Erlenweins düsterem, dabei aber auch grotesk-komischem Drama „Schwerkraft“ dann schon eine Figur von einem etwas anderem Kaliber. Der innerlich kaputte Protagonist dieses bemerkenswerten, nicht zu Unrecht mit dem First-Steps-Award ausgezeichneten Debütfilms ist genau eines dieser Rädchen, die momentan die Finanzwelt und damit die neoliberale Variante des Kapitalismus am Laufen halten. Die Abgründe in seinem Innern und die Leere um ihn herum weisen somit weit über genretypische Konventionen hinaus. In ihnen spiegelt sich nichts weniger als das Wesen der gegenwärtigen Verhältnisse.

    Bislang hatte Frederick Feinermann (Fabian Hinrichs) sein Leben irgendwie noch im Griff. Seine große, kalt-modernistisch eingerichtete Wohnung über den Dächern der Stadt, seine teueren Anzüge und der übrige Luxus seiner Existenz konnten die Zweifel und die Einsamkeit in Schach halten. Doch eines Morgens haben ihn dann die Auswirkungen seiner Arbeit doch noch eingeholt. Einer seiner Kunden, ein verzweifelter, vollkommen überschuldeter Familienvater, dem er gerade den Kredit gekündigt hat, erschießt sich vor Fredericks Augen. Sein Chef rät ihm daraufhin, einfach so wie immer weiter zu machen, doch das gelingt ihm nicht. Eines Nachts bricht er dann in dessen Haus ein und verliert dabei seine Kreditkarte. Um nicht entdeckt zu werden, wendet er sich an seinen Jugendfreund Vince (Jürgen Vogel, Der freie Wille, This Is Love), einen ehemaligen Einbrecher, der eigentlich mit seiner Vergangenheit brechen wollte. Gemeinsam räumen sie das Haus aus - und das ist erst der Anfang einer ganzen Serie von Raubzügen durch die Wohnungen und Villen von Fredericks Kunden...

    Nicht alles in „Schwerkraft“ geht restlos auf. Wie viele Erstlingswerke kommt auch dieses ein wenig überambitioniert daher. Maximilian Erlenwein will ganz zu Recht viel und auf jeden Fall mehr als viele junge deutsche Filmemacher. Vieles davon gelingt ihm auch geradezu beispielhaft. Aber in einzelnen Aspekten und Momenten wird es dann doch zu viel. Frederick Feinermann ist ohne Frage einer der interessanten Protagonisten im deutschen Kino der vergangenen Jahre. Trotz der recht offensichtlichen Verweise auf Bret Easton Ellis’ Yuppie-Roman American Psycho und David Finchers Fight Club, diese Studie spätmoderner Entfremdung und ihrer (selbst-)zerstörerischen Folgen, wirkt er nie nur wie eine Kinofigur. Fabian Hinrichs versteht es perfekt, diesen Charakter soweit zu erden, dass er trotz aller Überspitzungen genau die Züge der jungen dynamischen Bankangestellten trägt, wie sie in jeder Sparkassen-Filiale um die Ecke arbeiten. Zudem offenbart sich in jedem seiner immer wieder zwischen absoluter Leere und einem fast rauschhaften Lebendigsein hin und her wechselnden Gefühlszustände die Tragik eines Mannes, der all seine Träume verkauft hat. Eigentlich wollte Frederick einmal etwas ganz anderes. Nur was das sein sollte, wusste er nie ganz genau. Also ist er irgendwann einfach mit dem Strom geschwommen, und der hat ihn dahin getrieben, wo er nun festsitzt.

    Das hätte eigentlich schon alles gereicht. Schließlich könnten sich in diesem Banker, der natürlich ein Täter, aber zumindest zu einem gewissen Grad eben auch ein Opfer der Zeit und der Verhältnisse ist, nicht wenige wiedererkennen. Doch Maximilian Erlenwein musste noch einen Schritt weiter gehen. Neben seinen Raubzügen hat Frederick noch eine zweite Obsession, und die gilt seiner ehemaligen Freundin Nadine (Nora von Waldstätten, Falscher Bekenner, Tangerine). Immer wieder beobachtet er sie aus der Ferne oder verfolgt sie gleich. Irgendwann arrangiert er es so, dass er ihr zufällig begegnet und sie ansprechen kann. Fast schon zwanghaft versucht er einen neuen Anfang, der von der gleichen Sehnsucht und Verlorenheit zeugt wie seine nicht über Einbruch und Diebstahl hinausgehende Rebellion gegen die Welt, in der er so lange so perfekt funktioniert hat.

    Doch die zarte Liebesgeschichte, die sich zwischen Frederick und der aufgrund ihrer zerbrechlichen Schönheit und noblen Eleganz nahezu unerreichbar wirkenden Nadine entspinnt, ist nur die eine Seite dieser parallelen Geschichte in der Geschichte. Die andere manifestiert sich in Fredericks Neigung zum Stalking. Dieses obsessive Verhalten verweist auf eine grundsätzliche psychische Störung dieser Figur, oder ganz simpel gesagt: Frederick ist krank, und da er das auch schon war, bevor er seinen Job in der Bank angenommen hat, lassen sich all seine Handlungen und Entscheidungen im Licht dieses Krankseins sehen. So entkräftet Maximilian Erlenwein ungewollt seine eigene Analyse der heutigen Gesellschaft.

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