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    Wüstenblume
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Wüstenblume
    Von Sascha Westphal

    Die Frage hat sie in der einen oder anderen Form schon unzählige Male gehört und auch beantwortet. Sie weiß schließlich genau, was die Autoren und Redakteure der Mode- und Life-Style-Magazine hören wollen, wenn sie nach dem Tag fragen, der ihr Leben verändert hat. Doch an diesem einen Tag in New York hat das aus Somalia stammende Topmodell Waris Dirie keine Lust, das übliche Erfolgsmärchen vom armen Nomadenmädchen, das die Catwalks der Welt erobert hat, zu erzählen. Also spricht sie erstmals von dem Tag in der Wüste, an dem sie, damals war sie gerade fünf Jahre alt, von einer alten Frau auf archaische Weise beschnitten und verstümmelt wurde. Auf diesen Moment, in dem das ganze verdrängte Leid und der immer unterdrückte Schmerz aus ihr herausbrechen, läuft alles in „Wüstenblume“, Sherry Hormanns Verfilmung der gleichnamigen Romanautobiographie von Waris Dirie, hinaus. Mit dieser zutiefst verstörenden Rückblende erreicht der aufklärerische Furor dieses individuellen und doch weit über Waris Diries Schicksal hinausweisenden Dramas seinen emotionalen Höhepunkt. Manchmal sind Filme eben doch genau das richtige Medium, um wichtige Botschaften zu verschicken.

    Bisher hat die 13-jährige Waris, die zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern in einem Zelt in der Wüste lebt, immer alles gemacht, was ihr Vater wollte. Doch nun will er sie an einen viel älteren Mann verheiraten. Um diesem Schicksal zu entrinnen, macht sie sich alleine auf den lebensgefährlichen Weg durch die Wüste und kommt wie durch ein Wunder in Mogadischu an, wo sie Unterschlupf bei ihrer Großmutter findet. Als sie eine Anstellung als Dienstmädchen in der somalischen Botschaft in London findet, scheint ihr Glück perfekt. Doch der Traum erweist sich als wahrer Albtraum. Der Botschafter und seine Familie behandeln sie praktisch wie ihre Sklavin. Erst Jahre später gelingt es Waris (Liya Kebede Der gute Hirte) zu flüchten. Nur ein paar Tage später findet sie, die nun illegal in London ist, in der Verkäuferin Marylin (Sally Hawkins, Cassandras Traum, Happy-Go-Lucky) eine gute Freundin. Durch sie bekommt Waris einen Job als Putzfrau in einem Schnellrestaurant. Und dort wird sie dann von dem berühmten Modephotographen Terry Donaldson (Timothy Spall, Lügen und Geheimnisse, Sweeney Todd) entdeckt.

    Sherry Hormanns Adaption reiht sich praktisch nahtlos in die lange Reihe der Biopics ein, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten fürs Fernsehen wie fürs Kino produziert wurden. Doch in einer Hinsicht unterscheidet sie sich dann doch grundlegend von Filmen wie Flash Of Genius oder Coco Chanel, die all das betonen, was ihre Protagonisten einzigartig macht. Sherry Hormann bemüht sich dagegen von Anfang an, eher das Exemplarische an Waris Diries Lebensgeschichte zu betonen. Natürlich hat ihr Werdegang etwas von einer typischen Aschenputtel-Story. Das war schließlich auch der Grund dafür, dass sich die Hochglanz-Magazine schon in den ersten Jahren ihrer Modellkarriere so sehr für sie interessiert haben. Aber gerade diesen Aspekt ihrer Biographie erzählt Sherry Hormann erstaunlich beiläufig.

    „Wüstenblume“

    Filmstarts vor Ort: Bericht und Bildergalerie von der Premiere in Berlin.

    So wie Waris Dirie erst einmal mit einer gehörigen Portion Misstrauen auf Terry Donaldsons Angebot reagiert, Probeaufnahmen von ihr zu machen, so scheint auch die Filmemacherin den Konventionen der typischen Erfolgsbiographen eher skeptisch gegenüberzustehen. Und das nicht ganz zu Unrecht, schließlich versperren die meisten von ihnen mit ihrer impliziten Behauptung „Seht her, auch ihr könnt das schaffen!“ den Blick auf die realen Verhältnisse. Für Sherry Hormann ist eben nicht die Karriere des Modells Waris Dirie allgemeingültig, sondern die Verstümmelung, die sie als Fünfjährige erleiden musste und die ihr ganzes weiteres Leben geprägt hat. Das Glück, das sie später in London hatte, ist in dieser Sicht der Dinge nur etwas, das es ihr ermöglicht hat, die Welt auf die unzähligen Mädchen aufmerksam zu machen, die immer noch Tag für Tag zu Opfern dieses archaisch-patriarchalischen Rituals werden.

    Sherry Hormann ordnet alles dem großen und wichtigen Thema und ihrem Anliegen, dass es endlich ein Ende haben muss, mit der Beschneidung von Mädchen und Frauen unter. Selbst Sally Hawkins und Timothy Spall, die hier beide so wirken, als seien sie direkt von den Dreharbeiten eines Mike-Leigh-Films gekommen, variieren nur ihre typischen Auftritte. Weder die flippige Marylin noch der überaus sympathische Photograph werden zu mehrdimensionalen Charakteren. Aber das müssen sie auch gar nicht. Sie schaffen ein Umfeld, in dem Waris’ Verschlossenheit nur umso wirkungsvoller zur Geltung kommt. Aus den traurigen Augen Liya Kebedes spricht dabei das ganze Leid aller Frauen, die das Schicksal des Modells teilen.

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