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    The Graffiti Artist
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Graffiti Artist
    Von Christoph Petersen

    Subversive Kunst oder mutwillige Verschandelung? Moderne Kommunikationsform oder bloße Sachbeschädigung? Fest steht nur, dass der künstlerische Hintergrund von Graffitis und Tags heftig umstritten ist. Trotzdem definiert sich eine ganze Szene über diese Schmierereien / Kunstwerke an Häuserwänden, Industrieanlagen oder Eisenbahnwaggons, lässt sich weder von Gesetzen, Geldstrafen oder gar Gefängnis davon abhalten, ihren Kreuzzug gegen das System fortzusetzen. Jimmy Bolton ermöglicht nun mit seinem nach „Eban and Charley“ zweiten Langfilm, dem mit geringen Mitteln auf DV gedrehten Drama „The Graffiti Artist“, einen tiefen, ehrlichen Einblick in den Alltag eines jugendlichen Graffiti-Sprayers, der außerhalb der Gesellschaft nur noch für seine Kunst lebt, aber auch feststellen muss, wie schwer es ist, Gleichgesinnte zu finden.

    Die Tage des introvertierten Nick (Ruben Bansie-Snellman) verlaufen meist ähnlich. Einen Happen essen, viel schlafen und mit dem Skateboard rumkurven. Ab und an wird auch Mal die Ausrüstung für die Nacht zusammengeklaut, dann nämlich beginnen die Streifzüge durch die menschenleeren Gegenden Portlands, auf denen Nick jede freie Fläche mit seinen Tags besprüht. Auf einer seiner Touren begegnet er Jesse (Pepper Fajans), dessen Graffitis er bis nach Seattle folgt. Zunächst ziehen sie nur gemeinsam los. Dann kauft Jesse Nick ein Skateboard und schließlich darf Nick sogar bei Jesse einziehen. Nach einer gemeinsamen Liebesnacht verändert sich die Freundschaft aber schlagartig. Jesse stößt Nick immer weiter von sich weg, bis es wieder zurück in Portland endlich zur Aussprache kommt…

    „Stop! Don´t Move!“ Nach ganzen zehn dialoglosen Minuten reißt dieser Befehl eines Polizisten den Zuschauer aus Nicks Leben, in das er schon so tief abgetaucht war, und startet damit so etwas wie eine Handlung. Vorher haben wir uns darauf beschränkt, Nick bei seinen alltäglichen Besorgungen zu beobachten. Wir haben ihm zugesehen, wenn er sich über dem Gasherd einen Maiskolben brät oder schlafen geht und haben ihn immer wieder auf seinen nächtlichen Graffiti-Streifzügen begleitet. Vielmehr als um eine wirkliche Geschichte geht es nämlich um das Gefühl, das Nick dazu antreibt, seinen Tag „Rupture“ mit Edding an jeder Bushaltestelle zu hinterlassen oder Fotos all seiner Werke in einer Art Tagebuch zu sammeln. Das Bolton mit „The Graffiti Artist“ die Darstellung dieses Gefühls tatsächlich gelingt, verdankt er in erster Linie dem zurückhaltenden, aber trotzdem eindringlichen Spiel seines Hauptdarstellers Ruben Bansie-Snellman. Fast ohne Worte und mit noch weniger offensichtlichen Emotionen deckt der junge Schauspieler eine solche Bandbreite menschlicher Gefühle, von heimlicher Liebe über Verunsicherung bis hin zu Angst, ab, dass ein Hollywood-Darsteller für die gleiche Rolle wahrscheinlich Unmengen an Wut- und Tränenausbrüchen gebraucht hätte, um ähnlich intensiv rüber zu kommen.

    In der vorsichtigen Freundschaft zwischen Nick und Jesse spiegeln sich zwei Themen, ein universelles und ein sprayerinternes, wieder. Zum einen geht es natürlich um die Homosexualität der beiden Protagonisten. Während Nick, wenn auch auf seine zurückhaltende Art, dazu steht, sieht es bei Jesse, der nach der gemeinsamen Nacht vor einer weiteren Konfrontation geradezu flieht, schon anders aus. Der Film versteht es dabei geschickt, Jesses Gefühle lange genug im Dunkeln zu lassen, um die Spannung zu halten. Bis zum Schluss kann sich der Zuschauer nicht sicher sein, ob Jesse nur Nick abschießen wollte, oder ob er einfach nicht mit seinem eigenen Schwulsein klar kommt. Auf der anderen Seite geht es auch um das Verständnis von Kunst in der Graffiti-Szene. Während Jesse seine Sachen gerne in einer Galerie ausstellen würde, um so mit seiner Sprayerei Karriere zu machen, geht es Nick nur um den Kampf gegen das festgefahrene System. Oft genug hört man in Diskussionen über Graffiti den Satz: „Es gibt doch extra Flächen für Graffitis und wenn die Sprayer Bilder malen, finde ich ja auch, dass das echt gut aussieht. Aber wenn die einfach nur irgendwo was hinklecksen, dann finde ich das Scheiße.“ Abgesehen davon, ob man Sprayer gut findet oder nicht, zeugt dieser Satz einfach von einem groben Unverständnis. Immerhin ist die Graffiti-Szene eine Subkultur, deren Mitglieder es mit Sicherheit nicht darum geht, Gesellschaftskonforme mit schönen Bildchen zu erfreuen.

    Mit seiner digitalen Handkamera beschränkt sich Bolton darauf, den stillen Beobachter zu spielen. Auf jede Wertung verzichtend, lässt er das Geschehen unkommentiert stehen und die Figuren für sich selbst sprechen. Auch in den dramatischen Momenten wie den Liebes- oder Verfolgungsszenen tut er nichts, außer weiter seine ruhigen Bilder einzufangen, um durch die Inszenierung das Ganze weiter anzuheizen. Untermalt werden die oberflächlich unspektakulären Alltagsszenen durch den zunächst sehr befremdlichen, aber dann doch wunderbar tragenden Score des französischen House-DJs Kid Loco aka Jean-Yves Prieur. Was zunächst an Fahrstuhl- oder Wartezimmeruntermalung erinnert, passt sich mit der Zeit perfekt in den fließenden Stil der Geschichte ein. So kann man „The Graffiti Artist“ getrost das Prädikat „Chilligster Film des Jahres“ verleihen.

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