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    Resident Evil 5: Retribution
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Resident Evil 5: Retribution
    Von Björn Becher

    Vier Mal nahm es Milla Jovovich nun schon als unverwüstliche Amazone Alice mit scheinbar endlosen Scharen an Zombies auf – man könnte meinen, dieses Konzept muss sich einfach langsam mal erschöpft haben. Doch den Machern der „Resident Evil"-Filme gelingt es immer wieder, die Reihe gleichsam neu zu erfinden, sei es mit einem Western-Endzeit-Szenario wie in „Resident Evil 3: Extinction" oder mit dem erstmaligen Einsatz von 3D im vierten Teil. Doch bei jenem „Resident Evil 4: Afterlife" verzettelte sich Regisseur und Autor Paul W.S. Anderson („Death Race", „Die drei Musketiere") nach einer fulminanten Eröffnungssequenz irgendwo zwischen der Eiswüste Alaskas, einem Gefängnis in L.A. und einer bedeutungsschwangeren Geschichte. Nun reißt er erneut das Ruder herum: Anderson wirft endgültig alle erzählerischen Fesseln ab und kommt beim fünften Teil „Resident Evil: Retribution" mit dem absolut unabdingbaren Minimum herkömmlicher Handlung aus. Er nutzt diese Freiheit, um virtuos zwischen den Erzählebenen zu wechseln, dem Zombie-Horror eine Prise Science-Fiction hinzuzufügen und alle Karten neu zu mischen. Das ergibt ein mit einigen spannenden neuen Ideen angereichertes regelrechtes „Best-Of" des Franchise und vor allem eine einzige 3D-Action-Orgie. Das filmgewordene Computerspiel ist somit der Traum aller Fans der Kino-Reihe, ein vor allem in der denkwürdigen ersten halben Stunde brillant inszeniertes Dauerfeuerwerk ohne Verschnaufpause – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

    Nach der Konfrontation mit ihrer einstigen Freundin Jill Valentine (Sienna Guillory) und deren Armee stürzt Alice (Milla Jovovich) von Bord des Riesentankers Arcadia ins Meer. – Schnitt – Eine glückliche Hausfrau und Mutter Alice erledigt mit ihrer kleinen Tochter Becky (Aryana Engineer) und ihrem Mann (Oded Fehr) die Morgenroutine als plötzlich eine Zombieinvasion über die ruhige Vorstadt hereinbricht. Während sie ihre Tochter noch verstecken kann, stirbt Alice trotz der Hilfe einer unbekannten Frau (Michelle Rodriguez) im Kampf mit den Zombies. – Schnitt – Alice ist gefangen in der Zentrale der Umbrella Corporation tief unter dem russischen Eis. Dort wird sie von Jill Valentine im Auftrag des Supercomputers Red Queen (Gesicht: Megan Charpentier, Stimme: Ave Merson-O'Brian) gefoltert, doch plötzlich öffnet sich die Tür zum Hochsicherheitsgefängnis. Ausgerechnet ihr Erzfeind Albert Wesker (Shawn Robert) hat sich in den Rechner gehackt und will Alice zur Flucht verhelfen. Zu ihrer Unterstützung hat sich bereits die kampferprobte Spionin Ada Wong (Bingbing Li) eingeschlichen und von der Oberfläche nähert sich ein Trupp um Widerstandsführer Leon S. Kennedy (Johann Urb), den Draufgänger Barry Burton (Kevin Durand) und Alice‘ alten Bekannten Luther West (Boris Kodjoe). Doch der Ausbruch aus Umbrellas hektargroßer Zentrale ist keine einfache Angelegenheit, denn dazu müssen Alice und ihre Befreier zombieverseuchte Computersimulationen von Tokyo, New York, Moskau und einer uns gut bekannten Vorstadt durchqueren...

    Wer sich nach der Inhaltsangabe erst einmal verwirrt am Kopf kratzt, der sei beruhigt: Das hört sich deutlich komplizierter an als es ist - zumal Paul W.S. Anderson das Geschehen der Vorgängerfilme nach bewährter Manier von Alice am Anfang zusammenfassen lässt. Letztlich verläuft die Story – wenn man sie überhaupt so nennen mag – in einer ganz einfachen Dynamik: Alice und Ada wollen aus der Anlage von Umbrella raus, zu ihrer Unterstützung schleichen sich Luther und seine Truppe dort rein und nach dem Zusammentreffen auf halber Strecke soll es gemeinsam hinaus gehen. Aber der Computer Red Queen hat etwas dagegen und schickt immer neue Zombie-Monster sowie Jill Valentine und ihre Armee. Damit bricht Paul W.S. Anderson die Dramaturgie endgültig auf die simple Struktur eines Ego-Shooters herunter. Wie im Computerspiel gilt es, verschiedene Levels zu durchqueren, Hindernisse zu überwinden und Gegner zu besiegen; ist dies geschafft, erreicht man das nächste Level (das nächste Städteszenario). Mit sichtbarem Vergnügen weist Anderson direkt auf diese Spielemechanik hin, etwa mit Countdowns und der Einführung neuer Waffen in einer neuen Stufe – und zwischendurch werden immer mal wieder förmlich die Spielregeln erklärt. Hier ist es fast schon selbstverständlich, dass die (hervorragenden) Städtekulissen von New York, Moskau und Tokyo nur Simulationen sind, die ebenfalls auf das Nötigste beschränkt sind (kein Tageslicht, keine Sterne).

    Während das, was wir landläufig als Story betrachten, konsequent auf ein Minimum reduziert wurde, ist die Inszenierung völlig entfesselt. Schon der Anfang ist atemberaubend. Wer nach dem offenen Ende von „Resident Evil 4" mit den anrückenden Truppen von Jill Valentine dachte, das Thema des Nachfolgers zu kennen, sieht sich getäuscht. Anderson frühstückt diese Konfrontation in einer kurzen, rückwärts laufenden und visuell überwältigenden Sequenz ab, um unvermittelt zum nächsten Highlight zu wechseln. In der folgenden Vorstadt-Episode zeigt er uns Alice plötzlich als „Normalo" mit Mann und Kind im klassischen Zombie-Film-Szenario. Auf diesen Überlebenskampf folgt ein weiterer harter Schnitt und nun ist die so gut wie nackte Alice Gefangene in einem gleißend weißen Nichts. Wenig später lässt Anderson eine in den verregneten Straßen Tokyos beginnende, sich in die grell leuchtenden Gänge der Umbrella-Zentrale verlagernde Auseinandersetzung mit einer Zombie-Horde folgen: ein Action-Prunkstück, das in diesem Kinojahr nur der indonesische Martial-Arts-Reißer „The Raid" toppen kann. In Zeitlupe prügelt sich Alice durch die Zombies, zerschmettert Köpfe mit ihren Stiefeln oder einer Eisenkette und jagt Kugeln (in 3D und Großaufnahme!) durch Zombie-Schädel. Das ist völlig überdreht, komplett abgefahren und ungemein spaßig.

    Wie schon beim Vorgänger kann Anderson das Niveau des fulminanten Anfangs im weiteren Verlauf des Films nicht ganz halten, aber diesmal vermeidet er einen ähnlich starken Abfall. Er bietet Action satt statt erzählerischer Verwicklungen und im dann wiederum furiosen Finale hat er vor dem denkwürdigen apokalyptischen Schlussbild, das sich als zudem perfekt als Cliffhanger zum geplanten „Resident Evil 6" eignet, noch einen besonderen optischen Leckerbissen zu bieten. Er lässt die Kamera in die Körper der Kämpfenden zoomen, zeigt dabei brechende Knochen und stoppende Herzen – „Crank" lässt grüßen. Und ganz ähnlich wie dort kommt auch hier der Humor nicht zu kurz: Wenn Alice und ihre Begleiter sich eine rasante Autoverfolgungsjagd im Rolls-Royce mit einer Horde Kommunisten-Zombies liefern, fragt man sich als Zuschauer nach einer Weile, warum die schwer bewaffneten Muskelmänner nicht endlich mal auf die Verfolger ballern. Wie auf Kommando fragt dann auch Alice: „Kein Bock? Oder worauf wartet ihr?" Und wenn dieses Mal gleich zwei der eindrucksvollen Axemen-Monster aufgefahren werden (der „Endgegner" aus dem vierten Teil) werden sie fast spielend von Alice und Ada erledigt.

    Nicht nur vertraute Mutanten, sondern auch Figuren aus den bisherigen Filmen tummeln sich zahlreich im neuesten Teil. So gibt es ein Wiedersehen mit Michelle Rodriguez und Colin Salmon (aus Teil 1), mit Sienna Guillory als Jill Valentine (Teil 2 und 4), mit Oded Fehr (Teil 2 und 3) und auch mit Shawn Roberts als Wesker (Teil 4), der hier für eine Überraschung sorgt. Dazu kommen neue Figuren wie Ada Wong, auf die sich Fans der Videospielreihe schon lange freuen. Möglich wird diese unerwartete Vereinigung der „Resident Evil"-Figuren durch einen einfachen, aber effektiven Kniff. Die Umbrella Corporation hat die Klontechnik weiterentwickelt und über die Doppel- und Wiedergänger bringt Anderson nicht nur gewissermaßen Tote wieder zurück, sondern auch einige interessante inhaltliche Aspekte in seine Action-Orgie. Wenn Alice durch ein Lagerhaus für Klone läuft, in der unzählige Kopien von ihr oder der kleinen Becky wie Anzüge in einer Wäscherei an Haken hängen, ist dies ein unheimlicher Moment, der inmitten der Gaudi innehalten lässt.

    Die Frage, wie sehr Alice nach all den Experimenten, die an ihr vollzogen wurden, noch sie selbst ist, bekommt hier eine ganz neue Dimension. Es ist eine der großen Stärken von „Resident Evil 5", dass die Auseinandersetzung mit Themen wie Identität und Realität trotz platter Dialoge gleichsam nebenbei eine für die Reihe neue Tiefe erreicht. Die beklemmenden Bilder von Verlorenheit und Isolation der gefangenen Alice zu Beginn sprechen eine deutlichere Sprache als langwierige Erklärungen. Neu ist auch die emotionale Unterfütterung der Thematik durch die aufkeimenden Muttergefühle von Alice für Betty, die das Herz des optisch eindrucksvollen Science-Fiction-Actioner bilden – hier steht die Echtheit der Empfindungen gegen die Künstlichkeit der ganzen Existenz fast so wie in Steven Spielbergs „A.I. - Künstliche Intelligenz". Die teilweise über Zeichensprache ablaufende Kommunikation zwischen Alice und Becky sorgt zudem für sehr kurze, aber nötige Ruhephasen. Und sie sorgt dafür, dass der Zuschauer nicht nur wegen der Schauwerte staunt, sondern in entscheidenden Phasen mitfiebert. Da muss dann gegenüber der Rettung der „Tochter" auch die gesamte Menschheit erst mal zurückstehen.

    Fazit: „Resident Evil: Retribution" ist der ultimative „Resident Evil"-Film! Zum Mini-Jubiläum mit Teil 5 kommen alte Bekannten wie zu einem Klassentreffen wieder vorbei und haben einfach nur Spaß. Wer schon beim eindrucksvollen Auftakt von „Resident Evil 4: Afterlife" nicht aus dem Staunen herauskam, wird nun trotz manch schwacher Dialogzeile und kleinerer Hänger mit dem besten Teil der Reihe belohnt.

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