Mein Konto
    Sling Blade
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Sling Blade
    Von Christopher Dröge

    Dustin Hofman in „Rain Man", Tom Hanks in „Forrest Gump", Daniel Day-Lewis in „Mein linker Fuß": Die Darstellung von Behinderten gilt unter Hollywoods ambitionierten Schauspielern als direkter Weg zum Oscar-Gewinn. Wenn jedoch die entsprechenden Angebote ausbleiben, ist Eigeninitiative gefragt. Billy Bob Thornton jedenfalls wollte Mitte der Neunziger nicht mehr auf eine markante Hauptrolle warten und schrieb sie sich kurzerhand selbst. Er nahm sich seinen 1994 gemeinsam mit George Hickenlooper gedrehten Kurzfilm „Some Folks Call It A Sling Blade" vor und erweiterte das Drehbuch zu einem Spielfilm. Doch nicht nur das Buch schrieb Thornton (und wurde dafür mit dem Oscar ausgezeichnet) auch die Regie und Hauptrolle übernahm er. Trotz vieler „Southern Gothic"-Elemente widersteht Thornton der Versuchung, aus dem tragischen Stoff eine Schauermär zu machen und erzählt die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem geistig behinderten Mörder und einem Teenager.

    Der leicht zurückgebliebene Karl Childers (Billy Bob Thornton) hat sein halbes Leben in einem Krankenhaus für kriminelle Geisteskranke verbracht. Im Alter von zwölf Jahren hatte er seine Mutter mit ihrem Liebhaber überrascht, an ein Verbrechen geglaubt und beide erschlagen. 25 Jahre später wird Karl als geheilt entlassen und kehrt in seine Heimatstadt zurück. In der ihm unbekannten Welt findet er sich kaum zurecht und arbeitet in einer kleinen Werkstatt, in der er auch sein Lager aufschlägt. Karl ist zwar langsam, aber nicht dumm und sein Talent für Motoren macht ihn zu einem respektierten Mitarbeiter. Zur gleichen Zeit schließt Karl Freundschaft mit dem zwölfjährigem Frank (Lucas Black), der im gleichen Alter wie Karl einen schweren Schicksalsschlag erlitt als sein Vater Selbstmord beging. Trotz des Altersunterschieds entwickelt sich eine Art Bruderverhältnis zwischen den beiden, die auch die Enthüllung von Karls Vorgeschichte übersteht. Schließlich lädt Frank Karl ein, in seiner Garage zu wohnen, wodurch er auch Franks Mutter Linda (Natalie Canerday), ihren schwulen Boss Vaughan (John Ritter), und ihren cholerischen Freund Doyle (Dwight Yoakam) kennen lernt. Karl wird allmählich zu einem Teil einer seltsamen Patchwork-Familie, in die sich jedoch bald Misstöne einschleichen: Doyle sieht seine Stellung bedroht und wird zunehmend rabiat. Als er droht, gegenüber Linda und Frank gewalttätig zu werden glaubt Karl, dass nur er ein Unglück verhindern kann...

    Irgendwas muss dran sein, am morbiden Charme der amerikanischen Südstaaten, die mit den „Southern Gothics" immerhin ein eigenes literarisches Genre inspiriert haben. Die Hitze, verfallene Villen als Zeugnisse vergangenen Glanzes und dazu verschrobene Hinterwäldler sind ein guter Nährboden für Geschichten über menschliche Abgründe. Auch „Sling Blade" macht ausgiebig Gebrauch von diesen Instrumentarium und fügt sich nahtlos in das Genre ein. Aber Thornton, der selbst aus dem Süden stammt und diesen als Country-Musiker oft besungen hat, geht mit seinem nuancierten Regiedebüt deutlich über diese Klischeedarstellung hinaus. Voller Sympathie für den Süden und seine Bewohner erzählt er seine Geschichte und nimmt sich viel Zeit für präzise Beobachtungen.

    Im Zentrum des Films steht Karl, mit dem Thornton einen unvergesslichen Charakter geschaffen hat. Der stets verkniffene Gesichtsausdruck, die gebeugte Haltung, sprachliche Manierismen wären für manchen Method-Actor ein gefundenes Fressen gewesen, doch nicht so für Thornton: Er macht die Figur nicht zur Karikatur, sondern spielt sie lebensecht und mehrdimensional und reiht sich mühelos in die Reihe ähnlicher Außenseiterfiguren wie etwa John Malkovichs Lenny in „Von Mäusen und Menschen" ein.

    Neben Thornton überzeugt vor allem der damals 13jährige Lucas Black, der seinen teil des ungleichen Bruderpaars mit großer Emphase gibt. Auch der Rest des Ensembles ist treffend besetzt – allen voran John Ritter, der als Vaughan so etwas wie das emotionale Zentrum der Familie ist. Einzige Ausnahme ist Dwight Yoakam, dem nicht viel anderes übrig bleibt, als das Klischee vom ebenso cholerischen wie nichtsnutzigen Macho-Redneck wiederzukäuen. Wie so oft kommt dabei die Frage auf, wieso sich überhaupt irgendjemand mit diesem Typen einlässt. Der einzige andere Kritikpunkt an „Sling Blade" ist Lauflänge von über zwei (im Director's Cut sogar zweieinhalb) Stunden. Das teilweise sehr gemächliche Tempo lässt einige Längen entstehen, es sei denn man lässt sich komplett vom Charme der Südstaaten und seiner Menschen begeistern.

    Fazit: „Sling Blade" ist ein altmodisches Hollywood-Drama, dass seinen Figuren und Dialogen viel Raum und Zeit lässt, sich im Südstaaten-Setting zu entfalten. Als Regisseur, Autor und Hauptdarsteller in Personalunion ist Billy Bob Thornton ein bemerkenswertes Regiedebüt gelungen.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top