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    Ein Mann sieht rot
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Ein Mann sieht rot
    Von Gregor Torinus

    Mit „Ein Mann sieht rot" schuf Regisseur Michael Winner 1974 den Prototypen des Rachethrillers. Für den Hauptdarsteller Charles Bronson wurde die Figur dieses Rächers zu seiner bekanntesten Rolle. Der Film traf zu seiner Entstehungszeit auf breite Ablehnung bei der Kritik und ist auch noch heute sehr umstritten. So ist die ungeschnittene Fassung in Deutschland nach wie vor indiziert. Dabei hat „Ein Mann sieht rot" durchaus eine Reihe von Qualitäten, die diesen Film deutlich über das Niveau vieler anderer Genrevertreter erheben.

    Paul Kersey (Charles Bronson) ist ein erfolgreicher Architekt in New York. Nachdem er aus einem gemeinsamen Urlaub mit seiner Frau Joanna (Hope Lange) auf Hawaii zurückkehrt, geht er gleich wieder seiner Arbeit nach. Während seiner Abwesenheit dringt eine Bande Jugendlicher in ihre Wohnung ein und misshandelt Pauls Frau und Tochter Carol Anne (Kathleen Tolan). Joanna erliegt im Krankenhaus ihren Verletzungen, Carol Anne überlebt stark traumatisiert und muss kurz darauf in ein Sanatorium eingewiesen werden. Der vollkommen desillusionierte Paul vertieft sich noch mehr in die Arbeit. Um New York eine Weile zu verlassen, übernimmt er für seine Firma einen Auftrag in Tucson. Sein dortiger Auftraggeber (Stuart Margolin) ist ein Waffennarr, der Paul zu einem Schießstand einlädt. Er erkennt Pauls Talent im Umgang mit der Pistole und schenkt ihm zum Abschied einen Revolver. Als Paul zurück in New York von einem Drogensüchtigen um Geld erpresst wird, erschießt er diesen in scheinbarer Notwehr. Ab sofort nimmt er das Gesetz selbst in die Hand und startet seinen persönlichen Rachefeldzug.

    Handwerklich zeigt sich „Ein Mann sieht rot" weit überdurchschnittlich. Der Film ist gut fotografiert, der Großteil der Bildeinstellungen sorgfältig komponiert. Zusätzlich wird das Geschehen von einem sehr gelungenen funkigen Soundtrack von Jazz-Legende Herbie Hancock unterlegt. Nicht, dass dadurch die unangenehmste und berüchtigste Szene des Films – das Eindringen der Rowdys in die Wohnung mit der folgenden Vergewaltigung der beiden anwesenden Frauen – in irgendeiner Form abgemildert würde . Michael Winner zeigt diese Tat auf eine schonungslos realistische Art, die auch heute noch schockiert. Zugleich werden die Eindringlinge, unter denen sich auch der spätere Star Jeff Goldblum („Die Fliege", 1986) befindet, nicht als wirklich glaubwürdige Charaktere dargestellt. Michael Winner geht mit „Ein Mann sieht rot" einen mittleren Weg, der Aspekte eines ernsthaften Dramas mit Exploitation-Elementen verbindet.

    Anders als in den meisten Revenge-Movies führt die auslösende Gräueltat in diesem Film nicht sofort zu einem mindestens ebenso abscheulichen Racheakt. Zunächst macht Paul Kersey eine längere Phase der inneren Zermürbung und der Desillusionierung durch. Der scheinbar unfähigen New Yorker Polizei stellt Winner Pauls Auftraggeber in Tucson, einen ebenso einfachen wie pfiffigen Charakter gegenüber, der weiß, wie er seine Interessen durchzusetzen hat. „Ein Mann sieht rot" appelliert somit ganz direkt an das alte Frontier-Ethos, das besagt, ein richtiger Amerikaner sei selbst für sein Leben verantwortlich und gebe diese Verantwortung nicht an einen schwachen Staat weiter. Mit diesem Appell an uramerikanische Tugenden traf „Ein Mann sieht rot" in einer Phase der immer weiter zunehmenden Kriminalität und Gewalt den Nerv der damaligen Zeit.

    Doch „Ein Mann sieht rot" heroisiert Paul nicht und auch die öffentliche Anerkennung für seine Taten bleibt ihm versagt. Stattdessen schiebt ihn die Polizei nach Chicago ab, damit sein Beispiel nicht weitere Nachahmer findet. So weckt der Film zwar durchaus Verständnis und Sympathie für die Figur des Rächers. Zugleich wird dieser aber als eine sehr ambivalente und innerlich gebrochene Person gezeigt, mit der man nicht wirklich tauschen wollte. Gleichzeitig ist Paul Kersey der einzige differenziert ausgearbeitete Charakter des Films und somit auch die einzig mögliche Identifikationsfigur. Dennoch verweigert „Ein Mann sieht rot" eine klare Position und überlässt die letztendliche Beurteilung des Geschehens dem Betrachter.

    Fazit: „Ein Mann sieht rot" ist kein einfaches Plädoyer für Selbstjustiz, sondern legt seine Hauptfigur durchaus ambivalent an. Zugleich ist der Film letztlich viel zu sehr Unterhaltungskino, als dass kritische Ansätze weiter vertieft würden. Als Thriller ist „Ein Mann sieht rot" jedoch sehr gut umgesetzt.

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