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    Bewegliche Ziele
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Bewegliche Ziele
    Von Björn Becher

    Es ist schon eine interessante Geschichte, wie Peter Bogdanovich zu seinem Regiedebüt kam. Wie so viele seiner Kollegen aus der Ära des New Hollywood Cinema sammelte er erste Erfahrungen bei Roger Corman, der immer Leute brauchte, die ihm halfen, in wenigen Tagen billige Filme runterzukurbeln, die er dann unter seinem Namen veröffentlichen konnte. Von Bogdanovich war er so schnell überzeugt, dass er ihn nach nicht einmal einem Monat gemeinsamer Arbeit fragte, ob er einen Film für ihn drehen könne. Bogdanovich war einverstanden. Die Bedingungen waren einfach. Die große und gealterte Horrorlegende Boris Karloff schuldete Corman noch zwei Drehtage. Die sollte er nun bei Bogdanovich ableisten. Dazu sollte Bogdanovich zwanzig Minuten aus einem Trash-Filmchen von Corman mit Karloff nehmen [1] und noch weitere Szenen mit anderen Darstellern drehen. Das Gesamtbudget lag bei 125.000 Dollar. Bogdanovich stand also vor dem Problem, einen Film mit einem Hauptdarsteller drehen zu müssen, der ihm nur zwei Tage zur Verfügung stand, dazu Material aus einem Film zu verwenden, der ihm überhaupt nicht gefiel, und für alles kaum Geld zur Verfügung zu haben. Doch gemeinsam mit seiner damaligen Frau Polly Platt, mit der er für einige Jahre eines der kongenialsten Duos Hollywoods bilden sollte, machte er sich an das Drehbuch zu „Targets - Bewegliche Ziele". Sein Freund, der erfahrene Regisseur Samuel Fuller („Pickup On South Street"), überarbeitete es nicht nur kostenlos für ihn, sondern verzichtete sogar auf jegliche Erwähnung im Vorspann, damit keiner auf die Idee kommen könnte, der alte Hase hätte das Drehbuch geschrieben und nicht der Novize Bogdanovich.

    In seinem Film macht Bogdanovich aus seinen kleinen Möglichkeiten das Beste. Da die Zeit mit Karloff bei weitem nicht reichte, um einen ganzen Film mit ihm zu drehen, stellte er zwei Geschichten in den Mittelpunkt des Films. Die eine ist die von Boris Karloff selbst. Er spielt die alternde Horrorfilmlegende Byron Orlok, die sich nur dem Namen nach von Karloff unterscheidet. Orlok hat das Filmemachen und die zahlreichen viktorianischen Horrorstreifen, in denen er immer und immer wieder die gleiche Rolle spielen musste, einfach satt. Nach dem Testscreening seines letzten Films, der mal wieder fürchterlich geworden ist, wie er selbst sagt (so konnte Bogdanovich die Szenen aus Cormans B-Movie unterbringen), verkündet er zur Überraschung der Anwesenden, dass er keine weitere Rolle mehr spielen werde. Er weigert sich sogar, das neue Drehbuch des jungen Regisseurs Sammy Michaels (gespielt von Peter Bogdanovich selbst) zu lesen, obwohl er viel von ihm hält und dieser ihm garantiert, dass es eine ganz andere Rolle sei als bisher. Er hat einfach keine Lust mehr auf die Schauspielerei und auf die ewigen Horrorstreifen, über die sich sowieso keiner mehr gruseln kann, bei dem viel realeren Horror draußen auf den Straßen.

    Damit schafft Bogdanovich die Überleitung zum zweiten Handlungsstrang, der inspiriert wurde von einer Serie wahlloser Massenmorde, die in den USA für Aufregung sorgten. Allen voran der Fall eins gewissen Charles Whitman, der 1966 vom Dach eines Turms einer Universität willkürlich auf Studenten schoss, die über den Campus liefen. Bogdanovichs Whitman ist der Versicherungsagent Bobby Thompson (Tim O'Kelly) - wie sein Vater ein großer Waffennarr. Sein Amoklauf bahnt sich langsam an, eines Morgens schlägt er zu. Als seine Frau aufwacht, erschießt er sie. Dann geht er in die Küche, erschießt seine Mutter und einen jungen Mann. Bevor er das Haus verlässt, hinterlässt er einen Brief. Er weiß, dass man ihn kriegen wird, schreibt er, doch vorher werden noch viele sterben („I just killed my wife and my mother. I know they'll get me. But before that, many more will die..."). Thompson versteckt sich auf einem Turm am Rande eines Highways. Dort setzt sich sein Amoklauf fort. Wahllos erschießt er die Insassen der vorbeifahrenden Autos, als die Polizei eintrifft, flieht er unerkannt. In einem nahegelegen Autokino versteckt er sich.

    Wie es der Zufall so will, treffen dort der reale Horror und der Filmhorror aufeinander. Orlok hat sich mittlerweile von seiner Assistentin Jenny (Nancy Hsueh) und Sammy Michaels überzeugen lassen, den letzten schon im Voraus vereinbarten Auftritt, doch nicht abzusagen. Einmal will sich der Schauspieler Orlok noch seinem Publikum präsentieren und nach der Filmvorführung ein paar Fragen beantworten und zwar in jenem Autokino, in dem Thompson auf der Lauer liegt. Der Film beginnt, erst bleibt alles ruhig, doch dann feuert Thompson die ersten Schüsse ab.

    Es ist wirklich erstaunlich, was Bogdanovich aus seinen geringen Mitteln gemacht hat. Man merkt dem Film weder an, dass die gesamte Drehzeit bei nur drei Wochen lag (über die Hälfte davon ging für die letzten zwanzig Filmminuten drauf), noch dass der Hauptdarsteller sogar planmäßig nur zwei Tage zur Verfügung stand (allerdings war Karloff so angetan von dem Film, dass er unentgeltlich ein paar Überstunden machte). Bogdanovich lässt fast laufend sein großes Talent aufblitzen, das er in seinen großen Filmen, die danach folgten (zum Beispiel „Die letzte Vorstellung", „Paper Moon" oder Is´ was, Doc) noch bestätigte. Nicht umsonst galt er als der vielleicht talentierteste Regisseur des New Hollywood, wurde in Fachkreisen noch höher eingeschätzt als die Kollegen Spielberg, Scorcese und Coppola. Schade, dass Bogdanovich nach der Trennung von seiner Frau fast nichts mehr Gutes zustande brachte und in den letzten Jahren fast ausschließlich uninteressante Auftragsarbeiten fürs Fernsehen erledigt hat.

    „Targets" ist zwar auf den ersten Blick ein Horror-Thriller, doch die Spannungskurve ist bei weitem nicht so stark ansteigend, wie bei großen Filmen des Genres (was aber nicht heißt, dass der Film nicht spannend wäre). Das ist es aber gar nicht, wovon Bogdanovichs Debütwerk lebt. Es lebt von seinen vielen Interpretationsmöglichkeiten. So ist der Film natürlich zum einen eine Hommage an den großartigen Boris Karloff. Ein würdiger Schlusspunkt für dessen lange Karriere. Dabei schildert der Film aber auch den Frust des Schauspielers, der sein ganzes Leben auf immer wieder die gleichen Rolle festgelegt war und beäugt dadurch natürlich auch sehr kritisch die Mechanismen von Hollywood, wo man lieber den vierzigsten und fünfzigsten viktorianischen Horrorstreifen mit immer dem gleichen Handlungsverlauf und Karloff in der Hauptrolle für die Autokinos drehte, als mal etwas Neues mit diesem großartigen Schauspieler zu probieren. Bogdanovich äußert sich hier auch sehr kritisch zu seinem Förderer Corman, der genau das, einen weiteren typischen Karloff-Horrorfilm, von ihm erwartet hat, und nicht einmal davor gescheut hat, ihm zwanzig Minuten aus einem alten Film zum recyceln zu geben.

    Wie nachdrücklich Bogdanovich dies feststellt, zeigt sich in einer der besten Szenen. Der junge, von Bogdanovich gespielte Regisseur trifft sich mit Orlok in dessen Hotelzimmer, um noch einmal zu versuchen, ihn zu überzeugen, doch sein Drehbuch zu lesen. Darin soll er eine Rolle spielen, die so anders ist, als das was Orlok bisher gespielt hat. Endlich eine anspruchsvolle Rolle, wo er kein Monster, sondern einen Menschen darstellen kann. Doch als sich Orlok mit dem jungen Mann unterhalten will, unterbricht dieser jegliche Konversation mit einem Zischen. Im Fernsehen läuft gerade „Das Strafgesetzbuch" von Howard Hawks mit Karloff (hier natürlich Orlok genannt) in der Hauptrolle. Plötzlich ist das Filmmonster doch wieder interessanter als der Mensch.

    Das ist aber nur einer der vielen Teilaspekte des Films. Ein wichtiger Punkt ist sicher noch die Gegenüberstellung von realem Horror und Filmhorror. Wie kann man sich noch vor einem untoten Butler in einem viktorianischen Streifen fürchten, wenn die reale Bedrohung allgegenwärtig ist, wenn sich irgendwelche Bürger aus der Mittelschicht das komplette Auto voller Schusswaffen laden können und damit Amok laufen. Auch eine, heute immer noch aktuelle Kritik an den zu laschen Schusswaffengesetzen in den USA. Wenn Thompson sich im Waffengeschäft bis an die Zähne bewaffnet und es keinerlei Probleme gibt, er nicht mal bezahlen muss, sondern wie in einer Kneipe anschreiben lassen kann, weil er ja schon als kleines Kind oft mit seinem Vater da war, dann zeigt dies, dass hier etwas nicht richtig läuft (Einzige Nachfrage des Waffenladenbesitzers: „What're you hunting this time?" - Antwort von Thompson: „Gonna shoot some pigs").

    So ist Bogdanovichs Regiedebüt ein herausragender und für einen Horror-Thriller sehr komplexer Film, der aber durch seine reale und plötzliche Art der Gewaltdarstellung schockt und deswegen keine leicht verdaubare Kost ist. Es ist auch ein Film mit einigen für sich schon alleine sehenswerten Einzelszenen, so zum Beispiel, wenn Orlok verkatert aufwacht und sich vor sich selbst im Spiegel erschrickt. Nun sieht sogar er selbst sich als Filmmonster. Etwas schade ist es übrigens, dass der Film trotz guter erster Kritiken in den Kinos damals floppte. Doch nachdem kurz vor dem Filmstart Martin Luther King und Robert Kennedy innerhalb von kürzester Zeit durch Heckenschützen getötet wurden, gab es in der Öffentlichkeit keine Akzeptanz mehr für einen Film mit diesem Thema.

    Die deutsche DVD kann übrigens nachdrücklich empfohlen werden. Die DVD hat nicht nur eine akzeptable Ton- und Bildqualität, und bietet neben der deutschen Tonspur auch u. a. die Originalsprache, sondern wartet auch mit Extras auf. Peter Bogdanovich erzählt in einem Interview ausführlich zur Entstehung des Films und enthüllt zudem im Audiokommentar weitere interessante Einzelheiten und lässt ein paar Mal auch sein unglaubliches Filmwissen durchblicken. [2] Eine ganz klare und nachdrückliche Empfehlung.

    [1] Dabei handelt es sich um dem Film „The Terror - Schloss des Schreckens", in dem neben Karloff auch ein damals völlig unbekannter Darsteller namens Jack Nicholson mitspielte, der bei Corman lernte und bei einigen Szenen zu „The Terror" Regie führen durfte, wie übrigens auch der spätere Oscargewinner Francis Ford Coppola (Der Pate, Apocalypse Now)

    [2] Bogdanovich notierte sich früher zu jedem Film, den er sah, Details und seine Eindrücke auf Karteikarten und brachte es zwischen seinem zwölften und dreißigsten Lebensjahr nach eigenen Angaben auf 5.316 Karteikarten und schaute sich mit seiner Frau Polly Platt über einen längeren Zeitraum jeden Tag fünf Filme im Kino an.

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