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    Atemlos vor Angst
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Atemlos vor Angst
    Von Robert Cherkowski

    Nirgendwo ist die Luft so dünn wie an der Spitze. Das musste auch William Friedkin auf die harte Tour lernen. Nach langen Jahren als Fernsehregisseur war er 1971 mit dem wagemutigen Cop-Reißer „French Connection" in die erste Liga des New Hollywood vorgestoßen. Ein paar Oscars später setzte Friedkin noch eins drauf und inszenierte den extrem erfolgreichen Horror-Schocker „Der Exorzist". Mit soviel Ruhm und Erfolg im Rücken nutzte er seinen Status und machte sich an die Verwirklichung eines Herzensprojektes: Dem Remake von Henri-Georges Clouzots Klassiker „Lohn der Angst". Noch heute ranken sich Legenden um die immensen Kosten, die das Projekt verschlungen hat und die es neben andere Mega-Flops wie „New York, New York", „1941" oder „Heavens Gate". „Atemlos vor Angst" (im Original „Sorcerer") ging als einer der Flops des New-Hollywood-Kinos in die Geschichte ein und beendete Friedkins Sonderstatus ein für alle Male. Dennoch lohnt es sich im Internet zu graben oder eine verrauschte VHS zu beschaffen, denn „Atemlos vor Angst" ist eines der großen und zu Unrecht vergessenen Spektakel des modernen Abenteuerkinos.

    Wen es in den Dschungel des (fiktiven) Povenir verschlägt, der hat mit dem Leben in der Zivilisation aus dem ein oder anderen Grund abgeschlossen. So auch der Gangster Jackie Scanlon (Roy Scheider) , der in den Staaten die falschen beklaut hat. Nun fristet er ein karges Dasein und arbeitet wie alle, die in Povenir gelandet sind, für eine amerikanisch gelenkte Ölfirma. Als es zu einem Unfall kommt und die Bohrtürme lichterloh brennen, lässt er sich auf ein tollkühnes Himmelsfahrtskommando ein: Die Ölfirma verspricht denjenigen einen Haufen Geld, die eine schwere Wagenladung Nitroglycerin aus einem naheliegenden Sprengstoffdepot heran karren, um das Feuer „auszusprengen". Das Problem ist nur, dass der Sprengstoff so hochexplosiv ist, dass schon geringste Erschütterungen zur Explosion führen können. Zusammen mit dem spanischen Killer Nilo (Francisco Rabal), dem Palästinenser Kassem (Amidou) und dem französischen Exilanten Victor (Bruno Crèmer) macht sich Jackie auf den gefährlichen Weg.

    Bevor Friedkin sich an die Dreharbeiten machte, traf er sich mit seinem Idol Clouzot und betonte, dass sein Film, egal wie gut er auch werden möge, auf keinen Fall besser sein könne als das Original. Er sollte Recht behalten doch im Vergleich zu „Lohn der Angst" sehen viele Meisterwerke blass aus. Und allein der Gedanke, dass teures Hollywood-Kino so kantig, experimentell und mutig sein kann wie „Atemlos vor Angst", wirkt heute fast unglaublich. Statt große Stars zu verpflichten – angeblich war Steve McQueen Feuer und Flamme für das Projekt – ging Friedkin keine Kompromisse ein und besetzte den Film abgesehen von Charakterkopf Roy Scheider ausschließlich mit europäischen Darstellern wie Bruno Crèmer oder Francisco Rabal. Sie alle werden in langen Sequenzen vorgestellt, die klar machen in welch hoffnungslos verkommener, korrupter Welt dieser vermeintliche „Sommer-Blockbuster" spielt. Vom schwülen Vera Cruz, wo Nilo einen eiskalten Mord begeht, über die schönen Salons von Paris, aus denen der betrügerische Geschäftsmann Victor fliehen muss, den Straßen Jerusalems, wo sich der PLO-Kämpfer Kassem die Hände schmutzig macht, bis ins verregnete New York, wo der Gangster Jackie die Mafia bestiehlt – in dieser Welt beißt ein Hund den anderen.

    Das von Schlamm und Schweiß geprägte Povenir ist dann auch weniger ein entspannter Fluchtpunkt, als das Fegefeuer, in der die Antihelden auf ihr unausweichliches Ende warten. Diese verkommene Welt inszeniert Friedkin mit größtem Naturalismus: Nicht in sterilen Studio-Settings wurde gedreht sondern im echten Dschungel der Dominikanischen Republik. So authentisch verkommen wirkt diese Welt, dass man förmlich die Hühnerscheiße in den Wellblechställen riechen, den billigen Fusel schmecken und das vermoderte Holz spüren kann. Povenir mag ein fiktiver Ort sein, ist jedoch unverkannbarer Platzhalter westlichen Imperialismus und amerikanischer Ausbeutung. Haiti, Honduras oder Nicaragua: all jene Ländern Südamerikas, die für den verschwenderischen Lebensstandart der ersten Welt leiden und bluten mussten waren hier Vorbild.

    Doch ebenso wie in Clouzots Original fokussiert sich der Blick der Geschichte mit Beginn des Himmelsfahrtskommando auf die Mission und versetzt das Publikum in eine permanente Anspannung. Wie Friedkin hier am Spannungsrad dreht, kann nur noch als sadistisch bezeichnet werden. Ähnlich wie Werner Herzog stilisiert Friedkin die Natur zu einem eigenen Organismus, in dem der Mensch nur Spielball größerer Kräfte ist. Allein die nervenaufreibende Sequenz, in der beide Laster während eines Sturms über eine marode Hängebrücke bugsiert werden, hätte einen Logenplatz in der Kinogeschichte verdient. Doch Hollywood ist nicht gerecht und so wurde Friedkin der spektakuläre Misserfolg dieses riskanten Abenteuer-Thrillers nie ganz verziehen. Doch wer sich durch den schlechten Ruf von „Atemlos vor Angst" daran hindern lässt, sich selbst ein Urteil zu bilden ist selber schuld und verpasst nicht zuletzt ein exzessives Finale: Längst dem Wahnsinn verfallen fährt Jackie durch die verkraterten Mondlandschaften der Raffinerien, die nicht von ungefähr an den psychedelischen Schlussakt von Coppolas „Apocalypse Now" erinnern, einem anderen Mammutprojekt dieser Hochphase des amerikanischen Films. Wenn „Atemlos vor Angst" nach zwei wahnsinnig intensiven Stunden mit einer hundsgemeinen Pointe endet, traut man seinen Augen kaum, was für einen spektakulären, fiesen, entschlossenen und schweißtreibenden Film Friedkin hier fabriziert hat.

    Fazit: William Friedkins spektakuläres Remake von Henri-Georges Clouzots „Lohn der Angst" ist ein zu Unrecht in Vergessenheit geratenes Meisterwerk des New Hollywood-Kinos und eine in Spannung, Qualität und Schauwert selten erreichte Speerspitze des modernen Abenteuer-Kinos. Spektakulär, Böse, Gut.

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