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    Séraphine
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Séraphine
    Von Andreas Staben

    Das Geheimnis außergewöhnlicher Kunst ist letztlich unergründlich. „Was hat er, was ich nicht habe?“, fragt der keineswegs unbegabte Salieri in Peter Shaffers Amadeus voller Neid und verflucht den talentierteren Komponisten-Kollegen Mozart. Der entscheidende Unterschied ist kaum erklärbar, aber sofort zu hören. Und als der französische Regisseur Henri-Georges Clouzot (Lohn der Angst) in seinem Dokumentarfilm „Picasso“ dem Maler beim Schaffensprozess buchstäblich auf die Finger schaute, hat er das Mysterium nicht gelüftet, sondern noch betont. Einen ähnlichen Effekt erzielt Clouzots Landsmann Martin Provost mit seinem ruhig erzählten biographischen Drama „Séraphine“ über eine lange Zeit von der Kunstgeschichte Vergessene, das gleich mit sieben Césars ausgezeichnet wurde.

    Im Sommer 1912 mietet sich der deutsche Kunsthändler und Autor Wilhelm Uhde (Ulrich Tukur) mit seiner Schwester Anne Marie (Anne Bennent, „Eine Liebe von Swann“, Silentium) in einem Haus im nordfranzösischen Senlis ein. Die Vermieterin stellt ihm als Haushaltshilfe die Einheimische Séraphine Louis (Yolande Moreau) zur Seite. Durch Zufall entdeckt der Picasso-Förderer Uhde das künstlerische Talent der verschlossenen Mittvierzigerin. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs muss der deutsche Förderer allerdings das Land verlassen. Erst ein Jahrzehnt später kehrt Uhde in die Region zurück und bereitet eine eigene Pariser Ausstellung von Séraphines Werken vor. Für eine Weile ist die Autodidaktin, die in einem Nonnenkloster aufwuchs, in der Lage, sich ganz der Malerei zu widmen, aber die Weltwirtschaftskrise lässt die Ausstellungspläne platzen...

    Einmal fragt der gebildete Kunstexperte Uhde Séraphine, wie sie zur Malerei gekommen sei. Ob ein Familienmitglied ihr Interesse geweckt habe, ob sie Unterricht bekommen habe. Aber die einfache Frau verneint all dies, angetrieben wird sie von einem inneren Drang, dessen Geheimnis Martin Provost und Yolande Moreau zu wahren wissen. Zwar gibt es durchaus vertraute Motive wie besondere Naturverbundenheit und eine Art religiöse Ekstase beim Malen, aber wie so häufig wird das Etikett - in diesem Fall das der naiven oder primitiven Kunst, mit dem Séraphine auch von Uhde versehen wurde – dem Werk nur ansatzweise gerecht.

    Unaufdringlich zeigt uns Provost das Unverständnis, das Séraphine in der dörflichen Gemeinschaft entgegenschlägt. Ihr Außenseitertum ist komplett und mündet schließlich sogar in die Abschiebung in die Psychiatrie. Aber die gesellschaftlichen Widerstände bleiben trotz der fatalen Auswirkungen auf die Protagonisten ähnlich wie die Zeitgeschichte eher im Hintergrund. Wenn Uhde das Land, in dem er nun als Feind wahrgenommen wird, bei Ausbruch des Krieges verlassen muss, zeigt uns Provost keine echte Gefahr und keine inszenierte Tragik, sondern ein fast malerisches Leuchten von Geschützfeuer am Horizont. Provost verzichtet auf ein dramaturgisch glattgebügeltes Erzählkorsett (große Zeitsprünge und andere Auslassungen beweisen seinen Mut zur Lücke) genauso wie auf die psychologische Ausdeutung. Diese Zurückhaltung und die Konzentration auf die Titelfigur verleihen dem Film eine schöne Einfachheit, zu der auch Kameramann Laurent Brunet und Ausstatter Thierry François mit schnörkelloser Arbeit beitragen.

    Während die zahme Inszenierung, der die fast fiebrige Intensität eines Films wie Maurice Pialats „Van Gogh“ gänzlich abgeht, bei aller grundsätzlichen Stimmigkeit manchmal etwas akademisch und unterkühlt wirkt, sorgen die Darsteller für Lebendigkeit. Die unvergleichlich eigensinnige Yolande Moreau verkörpert scheinbar ohne jeden mimischen Kunstgriff geradezu den Inbegriff des Andersseins und zugleich des Bei-Sich-Selbst-Seins. Séraphine folgt einer eigenen Logik, auch wenn sie Haushaltsdienste verrichtet oder ihr mit den Bildern verdientes Geld verprasst, Moreau wiederum verleiht all dem eine Selbstverständlichkeit fern von jeder Überhöhung. Wenn sie ihre Farben mischt, auf einen Baum klettert und sich den Wind um die Nase wehen lässt oder nackt im Fluss badet, dann tut sie das, weil sie es will und weil es so sein soll.

    Die Präsenz Moreaus und das Talent Séraphines wird durch Ulrich Tukurs zurückhaltende Darstellung des Uhde, der damit fast so etwas wie ein Doppelgänger des Regisseurs ist, noch klarer zur Geltung gebracht. Der vielseitige Mime darf zwar auch hier wieder seine Künste am Klavier demonstrieren, er verzichtet aber auf die joviale Aufdringlichkeit, die er in Das Leben der Anderen oder in Nordwand zeigte, genauso wie auf das grüblerisch-kantige Heldentum von John Rabe. Die Begegnung zweier Welten wird im Spiel der Protagonisten angereichert durch ein zartes freundschaftliches Einverständnis und gibt dem Künstlerdrama eine zusätzliche menschliche Dimension. „Séraphine“ würdigt mit Erfolg ein fast vergessenes Talent und wahrt das Geheimnis seiner Kunst.

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