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    LowLights
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    LowLights
    Von Jan Hamm

    Cruisen bedeutet scheinbar mehr, als mit offenem Verdeck und den Boxen auf Anschlag durchs Viertel zu heizen. Zumindest laut Ignas Miskinis, der die urbane Odyssee zum Akt der Sinnsuche umdeutet. Mit „LowLights“ dreht der Litauer die prollige Videoclip-Ikonographie kurzerhand um. Hier gibt es kein Pfauengehabe, kein ehrfürchtig staunendes Publikum am Straßenrand. Miskinis versteht das Auto als Ort der Introversion, die nächtliche Stadt als fremdartiges Neuland. Innovativ und substantiell soll das sein, immerhin will er mit „LowLights“ erfüllen, was das von ihm mit unterzeichnete Cinema Manifesto vollmundig proklamiert: den Befreiungsschlag im von Banalität und Demagogie korrumpierten Kino Litauens. Nicht, dass der Film diese ideologische Stütze nötig hätte. Miskinis ist eine unkonventionelle Selbstfindungsparabel gelungen, die mit subtiler Inszenierung, einer intensiv gespielten Dreierbeziehung und faszinierenden Nachtbildern punktet.

    Tadas (Dainius Gavenonis) und Laura (Julia Maria Köhler, Ob ihr wollt oder nicht, Jakobs Bruder) sind verheiratet und arbeiten für eine Versicherung - mehr haben sie nicht gemein. Auch die Renovierung einer neuen Wohnung kann ihre Entfremdung nicht überbrücken. Dann trifft Tadas auf seinen alten Schulkollegen Linas (Jonas Antanèlis). Nach anfänglicher Skepsis lässt er sich auf dessen Vorschlag ein, die Nacht am Steuer zu verbringen. Seine gleichgültige Frau bleibt vor dem Fernseher zurück. Der freigeistige Linas erläutert die Tour als befreiendes Ritual, als ziel- aber keineswegs sinnfreie Neuentdeckung vermeintlich bekannten Raumes. Unterwegs begegnen die beiden der mysteriösen Vita (Julia Maria Köhler) und bald zirkulieren die drei Nachtreisenden umeinander, mal gemeinsam unterwegs, mal auf der verspielten Suche nacheinander. Und während Linas seine Flirtkünste spielen lässt, realisiert der sprachlose Tadas beim Anblick der neckischen Femme Fatale eine seltsame Vertrautheit...

    „LowLights“ ist ein geschickt konstruierter Roadtrip gestrandeter, nicht aber gescheiterter Existenzen. Eine präzise und unsentimentale Exposition verdeutlicht die tiefe Kluft zwischen Tadas und Laura, dann geht es gleich auf die Reise. Die Identität der Fremden versucht Miskinis garnicht erst zu vertuschen, interessanter ist ohnehin die Frage, ob Lauras Alter Ego nun ihre Persönlichkeit verschleiert oder erst offenbart. Da ist sich auch Tadas keineswegs sicher und beschließt intuitiv, ihr Spiel mitzuspielen und sie neu zu entdecken. Alle drei suchen einen alternativen Zugang zu Vita, oder übersetzt: zum Leben. Eine spannende Konstellation, die Miskinis behutsam intensiviert, während er den hypnotischen Rhythmus des Films beibehält.

    Linas’ Ritual selbst bietet den passenden Rahmen. Stets werden zwei Liter getankt, nicht mehr, so dass es immer einen Grund für weitere Zwischenstopps und damit Augenblicke der Reflektion gibt. Dabei geht es kaum um biographische Themen. Wichtiger ist: Was passiert, wenn alltäglicher Raum unbelebt und ohne Zeitdruck neu erfahren wird? Mit der nahezu menschenleeren Stadt und dem im Licht der Straßenlaternen schimmernden Asphalt, gekonnt eingefangen von Kameramann Rolandas Leonivicius, visualisiert Miskinis letztendlich nichts anderes, als die Erkundung des unbekannten Selbst. Auch vor kriminellen Spielereien wird nicht zurückgeschreckt, es müssen zwangsläufig Grenzen überschritten werden, um weiter vorzudringen.

    Langsam durchlaufen die Reisenden eine Transformation, die von Julia Maria Köhler, Jonas Antanèlis und Dainius Gavenonis sensibel porträtiert wird. Köhler glänzt als undurchschaubare Verführerin, deren kühle Fassade ihre Verletzlichkeit dennoch nicht gänzlich verbergen kann. Antanèlis gibt den Weltgewandten, der sich nicht eingestehen will, nirgendwo wirklich ankommen zu können. Und Gavenonis lässt Tadas vorsichtig aus seinem Kokon schlüpfen und sein Rückgrat entdecken. „LowLights“ ist ein Versteckspiel, in dessen Verlauf drei Phänomene festgefahrenen Alltags unter die Lupe genommen werden. Bewusst lässt Miskinis offen, wie die Nacht sich dann tatsächlich auswirkt. Er sucht nicht nach Antworten auf Sinnkrisen, sondern, dem Titel entsprechend, nach einer Neubetrachtung des Bekannten in anderem Licht, nach alternativen Konfrontationswegen. Wer hätte gedacht, dass die sich ausgerechnet beim Cruisen eröffnen?

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