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    Die zwei Leben des Daniel Shore
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Die zwei Leben des Daniel Shore
    Von Christian Horn

    Eins muss man Michael Dreher lassen: In seinem ambitionierten Kinodebüt „Die zwei Leben des Daniel Shore“ wagt er ein Vielfaches mehr als die meisten anderen Regie-Neulinge. Wo sich für gewöhnlich auf bewährte (und dogmatisch erlernte) Erzähl- und Inszenierungsmuster verlassen wird, ragt Drehers Drama durch einen komplexen und eigenwilligen Ansatz heraus, der den Zuschauer fordert und nicht selten – ganz bewusst – auch überfordert. Dass die verschachtelte Erzählhaltung des Films sich zunehmend selbst im Weg steht, lässt sich daher leichter verzeihen.

    In Marokko lernt Daniel Shore (Nikolai Kinski) die schöne Imane (Morjana Alaoui) kennen, mit der eine Romanze beginnt. Als Imanes Sohn unter seltsamen Umständen ums Leben kommt, muss Daniel wieder zurück nach Deutschland reisen. Dort angekommen, bezieht er eine Wohnung im Mietshaus seiner verstorbenen Großmutter und bereitet sich, von Schuldgefühlen geplagt, auf seine Doktorarbeit vor. Die verschrobenen Mieter des Hauses - vor allem eine sexuell gestörte Sängerin (Katharina Schüttler, Ganz nah bei Dir), ein höchst seltsamer Bankangestellter (Matthias Matschke) und die unheimliche Haushälterin Kowalski (Judith Engel, „Milchwald“) - wecken Daniels Interesse, das bald regelrecht paranoide Züge annimmt…

    Die im Titel angekündigten zwei Leben des Daniel Shore sind eigentlich eins: ein zeitlich früheres und eines, das in der filmischen Gegenwart spielt. Dadurch, dass die beiden Lebensabschnitte nicht - wie in der obigen Rekonstruktion - nacheinander als Ursache und Wirkung, sondern chronologisch völlig durchmischt erzählt werden, kommentieren sie sich auf vielfältige Weise und spielen mit der Erwartungshaltung des Zuschauers. Drehers Film beginnt mit dem Ende der ersten Episode, dem Tod des marokkanischen Jungen und der überstürzten Abreise. Wie es dazu kam, wird erst nach und nach in Momentaufnahmen erzählt. Die parallele Gegenwartshandlung in Deutschland breitet sich dazwischen aus, bis am Ende beide Handlungsstränge eng geführt werden. „Die zwei Leben des Daniel Shore“ ist also ein stetiger Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart, wobei Dreher sich vor allem für die daraus resultierende Identität seines Protagonisten interessiert.

    Wichtig ist deshalb, dass die filmische Erzählung durchweg die Perspektive seines Protagonisten einnimmt. Es ist Daniels Blick durch den Türspion, den der Zuschauer sieht, und es sind seine Erinnerungen, die Aufschluss über die Ereignisse in Marokko geben. Bei dieser Erzählhaltung werden Erinnerungen an Filme wie Polanskis Der Mieter oder auch Barton Fink von den Coen-Brüdern wach, die auf ähnliche Weise radikal subjektiv erzählen. Zudem spielt auch „Die zwei Leben des Daniel Shore“ in einem recht ominösen Mietshaus, dessen Bewohner arg verschroben sind.

    Ganz unterschiedliche Grenzen zwischen „Innen“ und „Außen“ werden in Drehers Film verhandelt, wobei vor allem das häufig wiederholte Tür-Motiv auffällt. Außerdem spielt die Marokko-Episode größtenteils draußen: Hier dominieren helle Farben, ein leicht dokumentarischer Gestus und Laiendarsteller. Die Episode in Deutschland spielt hingegen fast ausschließlich innen: im Mietshaus, als Studiodreh mit Theaterdarstellern. Als Bindeglieder ziehen sich die erwähnten Motive sowie Daniels Paranoia und die diffus-bedrohliche Grundstimmung durch den Film. An vorderster Front ist dabei stets der Protagonist, der von Nikolai Kinski sehr überzeugend verkörpert wird. Als Identifikationsfigur und roter Faden hält er die dramaturgische Unzuverlässigkeit der Narration, die nie vorhersehbar und zu keiner Zeit einfach konsumierbar ist, zusammen.

    Seinen eigentlichen Mehrwert erhält Drehers Film durch die irritierende Erzählweise. Es liegt am Zuschauer, die gerade zu Anfang wahllos anmutenden und überfordernden Szenenfolgen einzuordnen. Ein aktueller Kommentar zu den immer undurchsichtiger werdenden Bilderströmen der Gegenwart soll „Die zwei Leben des Daniel Shore“ sein – und auf dieser Ebene, also als theoretisches Konstrukt, funktioniert er durchaus. Leider will die inhaltliche Ebene nicht ganz so gut funktionieren; besonders in der deutschen Episode doppelt der Film zu viele Informationen und lässt die Ereignisse ein wenig zu sehr im Unklaren. Am Ende hinterlässt Michael Drehers Debütfilm daher einen ambivalenten Eindruck: Die Grundanlage und der Mut zum Eigenwilligen überzeugen, aber richtig aufgehen tut das alles nicht.

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