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    Caterpillar
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Caterpillar
    Von Christoph Petersen

    Seitdem er Anfang der 60er Jahre mit dem Filmemachen begann, beackert Koji Wakamatsu („Secret Behind The Wall“, „United Red Army“) immer wieder ein und dasselbe Thema: den Kampf des einzelnen gegen das autoritäre System, der erst in Wut und Rachegelüsten mündet, ehe es zu Eruptionen von Verlangen und Gewalt kommt. Auch der im zweiten Chinesisch-Japanischen-Krieg angesiedelte „Caterpillar“, der im Wettbewerb der 60. Berlinale seine Weltpremiere feierte, ist da keine Ausnahme. Anhand eines verkrüppelten Soldaten und seiner ihn pflegenden Frau zeigt der Film, welche Abgründe hinter der nach außen demonstrierten Kaisertreue lauern. Das ungemütliche, die Grenzen des guten Geschmacks pulverisierende Exploitation-Drama ist ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, für die Ehre und Vaterland an erster Stelle stehen.

    Japan, 1940: Leutnant Kyuzo Kurokawa (Shima Ohnishi) kehrt hochdekoriert, aber versehrt von der Front zurück. Fortan ist es an seiner Frau Shigeko (Shinobu Terajima), sich um den Krüppel zu kümmern, der alle vier Gliedmaßen sowie sein Hör- und Sprachvermögen im Krieg eingebüßt hat. Außerdem ist seine rechte Gesichtshälfte durch ein Feuer furchtbar entstellt. Während Kyuzo nur noch schlafen, fressen und ficken will, sonnt sich die angeekelte Shigeko im Ruhm ihres Mannes. Sie kleidet ihn in seine Uniform, steckt ihm seine Orden an und schiebt ihn in einer Art Schubkarre durchs Dorf...

    Das Exploitationkino...

    Koji Wakamatsu hat „Caterpillar“ auf HD gedreht. Die Folge ist ein billig-schmutziger Look, der an japanische Softpornos oder Splatterstreifen gemahnt. Er ergötzt sich geradezu an dem Krüppel und seiner verbrannten Haut. Mitunter inszeniert der Regisseur seinen Protagonisten nicht wie den Kriegsversehrten in einem Drama, sondern wie das Monster in einem Horrorfilm. Mehr noch als Kyuzos Brandnarben und Stummel scheint Wakamatsu nur noch der Sex zu interessieren, den er oft und ausführlich ins Bild rückt. Statt um eine gemeinsame Erfahrung geht es hier jedoch immer nur ums Benutzen oder Dienen. Das Essen, im Eröffnungsfilm Apart Together noch ein sinnlich zelebriertes Erlebnis, besteht hier aus einer speichelähnlichen Reispampe, die Shigeko unappetitlich in Kyuzo hineinlöffelt. Und Wakamatsu ist sich nicht zu schade, sich in diesem Schleimigen, Perversen, Versehrten zu suhlen.

    ... und darüber hinaus

    Anders als sonstige Exploitation-Filmemacher begnügt sich Wakamatsu jedoch nicht mit dem Ausbeuten. Zwar bedient er die Gesetze des Genres, aber darüber hinaus stürzt er sich in eine Militär-Kritik, die sich in dieser krassen Form wohl nur wenige andere getraut hätten. Kyuzo ist keinesfalls das hochverdiente Kriegsopfer, für das ihn alle halten. Ganz im Gegenteil: Seine Verletzungen erlitt er, als er gerade dabei war, eine Chinesin zu vergewaltigen und zu töten. Auch Shigeko ist nicht die aufopferungsvolle Soldatenfrau, als die sie von den übrigen Dorfbewohnern bewundert wird. Stattdessen nutzt sie ihren Krüppel-Mann aus, um sich immer wieder selbst zu versichern, eine gute Japanerin zu sein. Doch auch wenn sich dieser Tritt in die Eier der ehrenvollen japanischen Armee gewaschen hat, bewahrt sich Wakamatsu die größte denkbare Provokation fürs Finale auf: Wenn schließlich die Atombomben auf Nagasaki und Hiroshima niedergehen, ist dies keinesfalls der monströse Höhepunkt, sondern kommt vielmehr einer erlösenden Reinigung gleich.

    Fazit: Koji Wakamatsus zwischen Warploitation, Sexploitation und Freakshow angesiedelter Film ist reine Provokation. Ganz sicher keine angenehme Kinoerfahrung - aber dafür eine wuchtige. Mit „Caterpillar“ erhält der bisher so brave Wettbewerb der 60. Berlinale endlich Ecken und Kanten.

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