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    Shahada
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Shahada
    Von Christoph Petersen

    Das Episodendrama „Shahada“ des jungen Debütregisseurs Burhan Qurbani, dessen Eltern 1979 aus Afghanistan nach Deutschland geflohen sind, ist eigentlich ein typischer Beitrag für die Berlinale-Sektion „Perspektive Deutsches Kino“. Dass der Film es trotzdem in den Wettbewerb geschafft hat, liegt zum einen sicherlich am Handlungsort Berlin, aber wohl noch mehr an seinem tagesaktuellen Bezug: Er handelt von den Schwierigkeiten muslimischer Immigranten der zweiten Generation. Nun bedeutet diese Beförderung nicht nur mehr mediale Aufmerksamkeit, sie macht den Film auch angreifbar. Schließlich fällt es nur allzu leicht, auf dieser Entscheidung für die Aufnahme in den Wettbewerb herumzureiten. Doch wer sich mit solchen Überlegungen aufhält, übersieht dabei leider, dass Burhan Qurbani tatsächlich ein vielversprechendes Debüt gelungen ist, das im Kern nicht ein Thema beackert, sondern von Menschen und ihren universellen Problemen erzählt.

    Bei einer Razzia in einem Großmarkt trifft der Polizist Ismail (Carlo Ljubek, Der Baader Meinhof Komplex) auf Leyla (Marija Skaricic), jene Frau, deren ungeborenes Baby er einst mit einem überhasteten Schuss tötete. Die Schuldgefühle haben ihn damals fast in den Selbstmord getrieben. Nun verlässt er seine Frau Sarah (Anne Ratte-Polle, Willenbrock), um die illegal in Deutschland lebende Immigrantin zu unterstützen und so seine Schuld zu begleichen… Auch der Teenager Sammi (Jeremias Acheampong) arbeitet auf dem Großmarkt. Er ist in seinen Kumpel Daniel (Sergej Moya) verschossen, doch sein strenger Glauben und die Schwulenfeindlichkeit der übrigen Kollegen halten ihn davon ab, seine Gefühle offen auszusprechen… Maryam (Maryam Zaree) hat illegal abgetrieben. Doch irgendetwas ist schief gelaufen, die Blutungen hören einfach nicht auf. In ihrer Not stürzt sich die moderne junge Frau in einen geradezu fanatischen Glauben, um überhaupt noch etwas zu haben, an das sie sich klammern kann…

    Auf den ersten Blick ist „Shahada“ einer dieser sich an einem „wichtigen Thema“ abarbeitenden Episodenfilme, wie sie das deutsche Kino in den vergangenen Jahren wahrlich zur Genüge hervorgebracht hat. Die Gesetze des Genres werden dann auch brav befolgt. Etwa überlappen sich die drei Geschichten, ohne aber wirklich etwas miteinander zu tun zu haben. Diese Spielerei gehört inzwischen eben einfach zum guten Ton. Doch es gibt einen feinen Unterschied, der „Shahada“ trotz seiner ausgelutschten Form sehenswert macht. Während die meisten Filme dieses Genres bereitwillig ihre Protagonisten einer alles bestimmenden Aussage opfern, ist es hier genau andersherum. Ohne sich auf eine Moral von der Geschicht‘ festnageln zu lassen, nutzt Burhan Qurbani sein Thema, um von spannenden Charakteren zu erzählen. So mutet „Shahada“ zwar formal wie ein Themenfilm an, ist aber eigentlich ein sehr persönliches Drama, das von viel universelleren Konflikten als den Problemen muslimischer Immigranten handelt.

    Sind ein schwuler Muslime und ein unter Schuldkomplexen leidender Polizist nicht gerade originelle Filmthemen, so offenbart zumindest die Episode um Maryam eine ungewöhnliche Facette des Fanatismus. Das junge Mädchen wendet sich nicht einem strengen Glauben zu, weil sie von irgendwelchen Predigern dazu verführt oder gedrängt wird. Ihr Vater, der Imam der Gemeinde, ist im Gegenteil ein sehr toleranter und verständnisvoller Mann, der seiner Tochter sogar die Abtreibung ohne zu zögern verzeiht. Trotzdem stürzt sich Maryam in den Fanatismus, weil sie das Gefühl hat, für ihre Sünden büßen zu müssen. Ihre Weltsicht würde in sich zusammenstürzen, käme sie einfach so davon. Glauben als Selbstgeißelung – eine Sicht der Dinge, die sonst immer eher dem christlichen Glauben zugeschrieben wurde. Doch auch hier erlaubt sich Burhan Qurbani kein abschließendes Urteil. Er arbeitet mit offenen Enden und ohne vorgefertigte Moral. Dieses Fehlen einer alles zusammenfassenden Aussage ermöglicht es dem Regisseur, sich ganz auf seine Charaktere zu konzentrieren – und die lassen ihn nicht im Stich.

    Fazit: Auch wenn „Shahada“ formal zu unselbstständig daherkommt, ist Burhan Qurbani mit seinem Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg dank einfühlsamer Charakterzeichnung und einem für sein Alter unerwartet weisen Blick auf den Islam doch ein beachtliches Langfilmdebüt gelungen.

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