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    Sweet and Lowdown
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Sweet and Lowdown
    Von Florian Schulz

    Ein spitzfindiger Philosoph aus Königsberg schrieb einst, das Werk eines Genies sei nicht reproduzierbar. Die Kunst begründet darin ihren Personenkult. Emmet Ray ist ein solches Genie. Und wer möchte, kann sich auf einer ihm gewidmeten Myspace-Seite das Wissen um das Schaffen des legendären Jazz-Gitarristen aneignen. Nachgezeichnet von Jazz-Historiker Dirk Dickens persönlich. Der Clou: Dirk Dickens gibt es nicht. Und Emmet Ray ebenso wenig. Beide sind das kreative Produkt der Tragikomödie „Sweet And Lowdown“, mit der Woody Allen, seines Zeichens real existierende Person, im Jahre 1999 eine einzigartige Hommage an den Jazz schuf. Man kann Allen nicht vorwerfen, aus bloßem Kalkül auf den Mockumentary-Zug aufgesprungen zu sein, schließlich hat der stets experimentierfreudige Autorenfilmer das erste Mockumentary der Spielfilmgeschichte auf dem Kerbholz: 1969 kreierte der New Yorker mit „Woody, der Unglücksrabe“ bereits einer Melange aus Spielfilm und Dokumentation. Zelig schlug Jahre später in dieselbe Kerbe. Wo vergleichbare Filme damit kokettieren, gelingt es dem Großstadtneurotiker, das Format unaufdringlich im Hintergrund zu arrangieren und dennoch zu einem tragenden Element zu machen. „Sweet And Lowdown“ ist ein großartig gespieltes Charakter-Drama mit komödiantischen Elementen und einem tollen Soundtrack, das aber vor allem auch durch seine Doppelbödigkeit besticht.

    Die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts: Emmet Ray (Sean Penn) ist Jazzmusiker. Abseits der Bühne säuft der zweitbeste Gitarrist der Welt, zieht die Frauen reihenweise durch die Koje, schießt begeistert unvorsichtige Ratten auf der Müllkippe, betreibt nächtliches Train-Watching und wird nicht müde zu erwähnen, dass ihm keiner das Wasser reichen könne. Fast keiner, denn Ray hat seine ganz eigene Nemesis: Django Reinhardt, bester Gitarrist der Welt. Sieht er diesen auch nur von Weitem, fällt Ray regelmäßig in Ohnmacht und hat auch sonst eine neurotische Angst vor seinem Idol entwickelt. Bald schon lernt Ray die stumme und geistig zurückgebliebene Hattie (Samantha Morton) kennen, mit der der beziehungsphobische Musiker ein eigensinniges Verhältnis eingeht. Doch da es den exzentrischen Playboy nicht lange an einem Ort und schon gar nicht bei einer Frau hält, tritt er Hals über Kopf die Flucht an und landet schließlich in den Armen der Möchtegern-Schriftstellerin Blanche (Uma Thurman)…

    Ein Künstler, wie er im Buche steht, möchte man meinen. Nicht ganz! Denn „Sweet And Lowdown“ dekonstruiert den einmal etablierten Mythos recht clever. Besonders eindrücklich gelingt dies in der ambivalenten Beziehung zwischen Ray und Hattie: Vonseiten des egozentrischen Jazzers mit völliger Respektlosigkeit bedacht, begibt sich die Wäscherin in eine naive Abhängigkeit zu ihrem rücksichtslosen Rüpel. Auf sprachlicher Ebene treffen seine schillernd-selbstverliebten Monologe immer wieder auf ihr kindliches Schweigen, während sich in den feinen Gesten eine sensible Alltagspraxis abzeichnet, die die exzentrische Fassade des Egomanen immer wieder brüchig werden lässt, ohne aber einen persönlichen Kern zu entkleiden. Kontrastierend dazu die adrette Blanche Williams: Stellvertretend für die Psychiater dieser Welt, mit denen Allen eine tiefe Feindschaft verbindet, führt die Schmalspur-Schriftstellerin akribisch Buch. Doch anstelle eines psychoanalytisch deutbaren Ray Emmet bekommen sie und der Zuschauer einen unbestimmbaren Exzentriker. Was ihn an Zügen so fasziniere, fragt sie interessiert, worauf ein verbaler Kinnhaken in Richtung Sigmund Freud folgt. Ein Schelm, wer hier autobiografische Muster vermutet.

    Zwischen seinen in warmen Bildern erzählten Episoden und jazzigen Intermezzi lässt der New Yorker einige Zeitzeugen zu Wort kommen, darunter auch B-Prominenz aus der goldenen Ära des Swing. Und was für einige sicher erleichternd sein dürfte: Auch Allen selbst ist in den kurzen Interviews zu sehen – und zwar nur dort. Neben der Funktion, die einzelnen Episoden ineinander überzuleiten und damit einen schlüssigen Aufbau zu gewährleisten, basteln die Kommentatoren munter am Mythos rund um den Jazzmusiker mit. Ein äußerst kluges Kabinettstückchen, mit dem Allen die selbst ausgelegten Fallen umgeht: Durch die raffinierte Dopplung der Erzählebenen erfährt das Gesehene eine narrative Relativierung. Greifbar wird der Musiker also erst in seiner essayistisch-skizzenhaften Ausgestaltung durch den äußeren Rahmen des Films.

    Für seine überragende Darstellung strich Sean Penn eine Oscar-Nominierung ein. Kaum überraschend, denn eigentlich ist es unnötig, für den Ausnahmemimen weitere Superlative zu bemühen. Penn verkörpert seine Rolle mit derartiger Inbrunst, dass es zuletzt nur seine Schuld wäre, würde der Jazzmusiker irgendwann tatsächlich Allens Fiktion entwachsen. Gleichermaßen honoriert wurde die Leistung der bis dahin weitgehend unbekannten Samantha Morton als Nebendarstellerin. Penn und Morton sind gerade im Zusammenspiel eine Wucht. Dem Duo gelingt die Gratwanderung zwischen kindlich-fragiler Tiefe und konfligierender Oberfläche, die die Doppelbödigkeit des Films über weite Strecken trägt. Dass Morton kein One-Hit-Wonder war, bewies die Britin fünf Jahre später in Jim Sheridans In America, wo es sogar zur Nominierung als beste Hauptdarstellerin reichte. Als Dritte im Bunde sei Uma Thurman genannt, die ihre Rolle wie gewohnt äußerst souverän spielt und ihr die nötige Portion ironische Distanz verleiht.

    Fazit: „Sweet and Lowdown“ ist emotionales Kino, verquickt souverän komödiantische Elemente Allen‘scher Prägung mit tragischer Charakterstudie und ist ganz nebenbei auch in formeller Hinsicht unverschämt intelligent – ein Balanceakt, dessen Gelingen der Regisseur vor allem auch seinem Cast zu verdanken hat. Jazz-Liebhaber haben natürlich einen Grund mehr sich das Kleinod nicht entgehen zu lassen. Der brillante Soundtrack, für den Allen den Gitarristen Howard Alden und die Dick Hyman Group eigens einige Stücke arrangieren ließ, trägt sein ganz eigenes Stück zum Mythos Ray Emmet bei. Da dieser jedoch auch Jim Morrison heißen könnte, bleibt „Sweet And Lowdown“ aber vor allem eines: die treffsichere Dekonstruktion eines beständigen Topos.

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