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    Die Vögel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Die Vögel
    Von Ulrich Behrens

    Wozu braucht man Ungeheuer, Monster, Fantasy-Gestalten, wenn auch ganz normale Vögel ihr Unwesen treiben können? Genau dies dachte Hitchcock wohl bei einem seiner berühmtesten Streifen, für dessen Realisierung ihm nicht einmal eine ausgefeilte Computertechnik oder digitale Möglichkeiten zur Verfügung standen. Und vor allem: The Master of Suspense lässt sein Publikum völlig im unklaren darüber, was die wild gewordenen Vogelbestien eigentlich so aggressiv werden ließ.

    Melanie Daniels (Tippi Hedren), eine Dame der besseren Gesellschaft mit leicht snobistischem Einschlag, lernt in einer Vogelhandlung in San Francisco den ihr gegenüber sarkastisch auftretenden Rechtsanwalt Mitch Brenner (Rod Taylor) kennen. Melanie ist trotzdem angetan von Mitch und beschließt, ihn, seine Mutter Lydia (Jessica Tandy) und seine Schwester Cathy (Veronica Cartwright) in Bodega Bay zu besuchen, wo die Brenners ihre Wochenenden verbringen. Als Melanie dort ankommt, wird sie von einer Möwe angegriffen. Sie bleibt trotzdem und findet Quartier bei der Lehrerin Annie Hayworth (Suzanne Pleshette), Mitch Ex-Freundin, die Melanie vor dessen Mutter warnt, die eine herrschsüchtige Frau sei.

    Auf Cathys Geburtstag am nächsten Tag werden die Kinder plötzlich auch von Möwen angegriffen. Durch den Kamin des Hauses der Brenners dringen Spatzen. Mrs. Brenner findet einen toten Farmer mit ausgehackten Augen. Und die Kinder in der Schule beobachten, wie sich Raben zusammenrotten, die sie nach Unterrichtende angreifen.

    Beim Versuch, Cathys Leben vor den aggressiven Vögeln zu retten, kommt Annie ums Leben. Das Haus der Brenners, die sich verbarrikadieren, wird zur Zielscheibe der Vögel. Aber auch in der übrigen Stadt traut sich niemand mehr auf die Straße. Einige Leute geben Melanie die Schuld an dem Horror, weil sie zwei Cathy Liebesvögel zum Geburtstag geschenkt hatte, die das Unglück angeblich auslösten ...

    „Die Vögel“ war nicht die erste Verfilmung nach einer Vorlage von Daphne du Maurier. Bereits 1940 hatte Hitchcock in „Rebecca“ einen Roman der Schriftstellerin in Szene gesetzt.

    „The Birds“ fällt im Gesamtwerk Hitchcocks sichtlich aus dem Rahmen. Der Film liefert nicht nur keine Erklärung für das völlig unwahrscheinliche Verhalten der Vögel aller Arten, diese Vögel stehen auch im Mittelpunkt des Geschehens, nicht die menschlichen Figuren. Zudem handelt es sich nicht um Raubvögel, sondern um Raben, Spatzen, Möwen, Finken, also harmlose, ungefährliche Vertreter ihrer Art.

    Der Film ist reine Phantasie, pure Fiktion und unterscheidet sich daher von allen anderen Streifen Hitchcocks. Es ist viel darüber spekuliert worden, welcher Sinn sich hinter dem Geschehen verstecken könnte. Hitchcock selbst äußerte sich einmal, man könne hinter Schock und Spannung eine „packende Deutung“ erkennen, wenn man genau hinsehe. Im Gespräch mit Truffaut allerdings bestätigte er wiederum, dass es sich um ein Produkt der Phantasie handle. Andere sahen in dem Film die Rache der Natur, der Vögel, an den Menschen, die sie fangen, töten, essen, einsperren. Hitchcock selbst äußerte sich in dieser Hinsicht dahingehend, das Verhalten der Vögel habe fast den Anschein von Rache. Das „Lexikon des internationalen Films“ vermutet in „The Birds“ gar „eine hintergründige Vision von Weltuntergangsstimmung“. Ich zweifle an solchen Absichten, zumal sich Hitchcock zu politischen Themen, welcher Art auch immer, in seinen Filmen nie definitiv geäußert hatte. (Selbst „Topas“ [1969], dem das Kuba Fidel Castros als Hintergrund dient, enthielt nicht unbedingt eine politische Aussage.)

    Viel interessanter als diese Spekulationen, denen man sich anschließen kann oder nicht, ist die Art und Weise der Inszenierung selbst. Hitchcock hält sich streng an die Form des klassischen Dramas mit seiner Einheit von Ort (Bodega Bay), Zeit (das Drama entwickelt sich an zwei zusammenhängenden Tagen) und Handlung (keine Nebenhandlungen, es geht ausschließlich um den Angriff der Vögel und die Reaktion der Menschen und die zunehmende Aggression der Tiere; auch die Liebesgeschichte ist letztlich unwesentlich).

    Das schafft eine Situation der Unausweichlichkeit, eine schicksalhafte Tragödie, der sich niemand entziehen kann, unterstützt durch Symbolik. Der Film beginnt mit der Szene in der Vogelhandlung. Mitch Brenner fängt Kanarienvögel ein und sperrt sie wieder in den Käfig, mit der leicht spitzen Bemerkung: „Ich tue sie wieder in ihren goldenen Käfig, Melanie Daniels.“ Melanie ist reich und verwöhnt, arrogant. Später ist sie es, die in einen Käfig gesperrt wird. Sie sucht in einer Telefonzelle Schutz vor den Angreifern. Doch das ist kein goldener, sondern ein Unglückskäfig. Ebenso symbolisch die Szene mit Mitch Mutter, die nach einem Angriff der durch den Kamin eingedrungenen Spatzen zerbrochenes Geschirr aufsammelt, alles gefilmt aus der Sicht Melanies. Als sie zu dem Haus des Farmers fährt, um den zu besuchen, sieht sie an der Wand nur noch die Henkel von Tassen hängen und weiß sofort, was passiert ist – und mit ihr der Zuschauer.

    Das Publikum wird sozusagen „wellenartig“ auf die zunehmende Angriffslust der Vögel eingestimmt, unterbrochen von kleinen Ruhepausen. Man weiß zwar, dass dieses aggressive Verhalten und auch die Zahl der Vögel ständig zunimmt – das Tragische des Geschehens nimmt seinen Lauf –, aber was als nächstes wirklich passiert, weiß man nicht. Besonders drastisch sind die Szenen, in denen sich das Drohende langsam ankündigt. So, als die Schüler beobachten, wie sich die Raben versammeln, oder auch die Schlussszene, als Mitch, seine Mutter und die schwer angeschlagene und unter Schock stehende Melanie das Haus verlassen. Die Vögel, vor allem Raben und Möwen sitzen überall herum; man vernimmt leise Geräusche, weiß nicht einmal so genau, ob das, was man hört, real oder nur Einbildung ist – als ob die Vögel sagen wollten: „Noch ist es nicht so weit, aber wir bereiten uns gerade vor. Gleich greifen wir an ...“

    Ein Vertreter des Tierschutzverbandes war übrigens bei den Dreharbeiten anwesend und überwachte die äußerst schwierigen Aufnahmen. Die Vögel mussten für verschiedene Szenen dressiert werden, z.B. in einer Szene, als ein Vogel einen Tankwart angriff. Die Möwe wurde so dressiert, dass sie von einem bestimmten Punkt aus direkt über den Kopf eines Stuntman hinweg zu einem Zielpunkt flog. Der auf Stürze spezialisiert Stuntman übertrieb seine Reaktion auf den „Angriff“, so dass der Eindruck entstand, die Möwe habe ihn verletzt. Diese Szene wird aus der Sicht Melanie Daniels gezeigt, in einer Phase, als Hitchcock kurz zuvor dem Zuschauer eine Pause gegönnt hatte, die Café-Szene, in der eine Ornithologin erklärt, es sei völlig unsinnig, was über aggressive Vögel erzählt werde, eine Szene, in der ein Betrunkener auftritt, gelacht wird. Dann wird der Tankwart angegriffen.

    „The Birds“ enthält keine Musik. Bernard Herrmann, der schon seit „Ärger mit Harry“ (1955) die Musik für Hitchcocks Filme komponiert hatte, kam die Aufgabe zu, ausschließlich Vogelgeräusche in eine „Partitur“ umzusetzen bzw. den Ton des Films zu überwachen. Dabei eingesetzt wurde u.a. das sog. „Trautonium“ von Oskar Salas, eine Art „Synthesizer“, hier eingesetzt für Flügelschlagen, Kreischen und andere Geräusche. So entstand eine sehr spezielle Art von „musikalischem“ Arrangement ohne jegliche „normale“ Musik.

    Anders als in sonstigen Filmen Hitchcocks kam den Schauspielern in „The Birds“ eine extrem untergeordnete Bedeutung zu. Die „kühle Blonde“ wird hier von Tippi Hedren (übrigens die Mutter von Melanie Griffith) verkörpert. Doch sie und Rod Taylor glänzen weniger durch ausgefallene schauspielerische Leistungen, denn durch die Darstellung aufgescheuchter, verschreckter, verzweifelter, angegriffener Opfer des Vogel-Horrors.

    Ein Film, der aus der Art schlägt und auch nicht. Denn trotz aller Differenzen zum Suspense anderer Klassiker lieferte Hitchcock hier – wenn man so will – eine Art „Mutterfilm“ für Horrorfilme à la „Entsetzen ohne realen Hintergrund“ – und das „nur“ mit stinknormalen Vögeln und ohne digitale Effekte.

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