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    Fluchtpunkt San Francisco
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Fluchtpunkt San Francisco
    Von Carsten Baumgardt

    Anfang der Siebzigerjahre taumelt die USA in eine Bewusstseinskrise. Die Ideale der Hippies sind längst verraten, der Vietnam-Krieg tobt unvermindert und das Misstrauen gegen den Staat nähert sich seinem Höhepunkt. In dieses Klima der nationalen Verunsicherung und Desorientierung platziert Regisseur Richard C. Sarafian mit „Fluchtpunkt San Francisco" (Original: „Vanishing Point") einen Kultfilm, der die Befindlichkeiten der Gegenkultur in einer minimalistischen Story destilliert und dennoch atmosphärisch mitreißend zelebriert.

    Der Ex-Rennfahrer Kowalski (Barry Newman) hat sein Leben in den festen Bahnen der Gesellschaft hinter sich gelassen und verdient sein Geld mit der Überführung von Autos. Sein neuester Auftrag führt ihn von Denver nach San Francisco: Er soll einen 400 PS-starken Dodge Challenger R/T innerhalb von nur 15 Stunden in Kalifornien abliefern - auf dem Papier eine unmöglich zu meisternde Herausforderung. Um wach zu bleiben, schmeißt Kowalski eifrig Amphetamine ein und drückt aufs Gas – und zwar kräftig. Es dauert nicht lange, bis ein ganzer Rattenschwanz von Gesetzeshütern an seinem Auspuff schnüffelt. Doch Kowalski zieht sein Ding durch und erwirbt sich unterwegs am Wegesrand eine treue Anhängerschaft, die sein Treiben mit Sympathie verfolgt...

    In der zweiten Filmhälfte seiner Grindhouse-Hommage Death Proof verneigt sich Quentin Tarantino knietief vor Sarafians Kult-Klassiker, indem er eine Truppe Mädels auf eine wilde Fahrt mit einem weißen Dodge Challenger schickt. Kein Wunder, schließlich zählt „Fluchtpunkt San Francisco" zu den Lieblingsfilmen des Kult-Regisseurs. Das Road-Movie-Drama ist auf den ersten Blick so simpel wie nur irgend möglich. Ein schweigsamer Outlaw auf Drogen rast von Punkt A nach B. Aber Regisseur Sarafian lädt seinen Höllenritt mit einem Maximum an politischem Subtext auf und rebelliert gegen alles, was auch nur ein bisschen nach Staatsmacht riecht. Mit seiner politischen Intension hält Sarafian nicht hinter dem Berg, offen stellt er sich gegen die Allmacht des Gesetzes und lässt seinen Antihelden den uramerikanischen Drang nach Freiheit exzessiv ausleben und so gegen Rassismus und Gewalt Position beziehen. Love, Peace, Happiness und ein eiserner Gasfuß!

    Dramaturgisch bewegt sich „Fluchtpunkt San Francisco" aber nicht nur vorwärts, in kurzen, sehr geschickt installierten Rückblenden erzählt Regisseur Sarafian Kowalskis gescheitertes Leben... von seiner Zeit in Vietnam, der unehrenhaften Entlassung aus dem Polizeidienst und seiner draufgängerischen Karriere als Rennfahrer. Nirgendwo hat er ein Zuhause gefunden. Richtig frei fühlt er sich nur hinter dem Steuer. Auf seiner Flucht vor Gesetz und Ordnung macht Kowalski, dieser letzte amerikanische Held, hier und da Station, lässt sich vom Anti-Establisment immer wieder aus der Klemme helfen und steuert seinem unausweichlichen Ziel unbeirrt entgegen. Dieser Fatalismus, mit dem er sich seinem Schicksal zuwendet, ist beißend-zynische Kritik am US-amerikanischen System der frühen Siebziger.

    Doch dieses Abfeiern der wüsten politischen Note markiert nur einen Teil des Meisterwerks – quasi den Unterbau. Da ist zum Beispiel noch Barry Newman (Daylight, Bowfingers große Nummer), der zwar kaum drei Worte mit seinen Mitmenschen wechselt, aber dies mit so unbändiger Coolness durchzieht, dass er sich die Sympathien des Publikums dennoch mühelos erspielt. Und Cleavon Littles Ode, die er als blinder Radiomoderator über den Äther jagt, hat schon längst Eingang in die Popkultur gefunden und wurde beispielweise von Guns N‘ Roses oder auch Primal Scream in Samples zitiert:

    „There goes the Challenger. Being chased by the blue blue meanies on wheels. The vicious traffic squad cars are after our lone driver. The last American hero. The electric centaur, the demi god. The super driver of the golden west. Two nasty Nazi cars are close behind the beautiful lone driver. The police number are getting closer, closer. Closer to our soul hero, in his soul mobile. Yeah baby, they're about to strike. They're gonna get him, smash him. Rape the last beautiful free soul on this planet." – Super Soul

    Der zweite Hauptdarsteller ist kein menschlicher. Der legendäre Dodge Challenger R/T ist streng genommen ein eigener Charakter. Der markante Bolide schneidet sich durch die betörend-schöne Ödnis des amerikanischen Westens, hinterlässt eine Spur der Verwüstung und ist einfach nicht zu stoppen. Die Freiheit scheint grenzenlos, diesen Drang danach fordert „Fluchtpunkt San Francisco" mit jedem Meter Film ein. Doch das offizielle Amerika versucht dieses Ausleben der eigenen Persönlichkeit zu verhindern – um jeden Preis. Und ja, natürlich ist Sarafians Film romantisierend, Partei nehmend, unfair und überzogen, aber dabei so poetisch und schlicht mitreißend.

    Fazit: „Fluchtpunkt San Francisco" zählt nach Dennis Hoppers Easy Rider zu den einflussreichsten Road Movies der Geschichte – selbst wenn Richard C. Sarafians fantastisch photographierte und von einem berauschenden Progrock-Soundtrack getragene Post-Hippie-Meditation mittlerweile ein wenig in Vergessenheit geraten ist. Perfekt transportiert der Film das Klima der amerikanischen Gegenkultur, die sich nach dem Verrat zu orientieren versucht. Denn eines ist ganz klar: „The question is not, when he's gonna stop, but who's gonna stop him." Und auf diese Frage gibt „Fluchtpunkt San Francisco" eine Antwort... eine spektakuläre... allerdings erst in der allerletzten Szene...

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