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    Death Proof
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Death Proof
    Von Carsten Baumgardt

    Die Idee klang so verwegen wie vielversprechend: Die Kult-Regisseure Quentin Tarantino und Robert Rodriguez (From Dusk Till Dawn, Sin City) taten sich zusammen, um das Grindhouse-Schmuddelkino der 70er Jahre wieder auferstehen zu lassen. Ein klassisches Double Feature, unterbrochen durch wahnwitzige Fake-Trailer, sollte es sein. An der filmischen Qualität mangelte es dem Projekt Grindhouse auch keineswegs, die hohen Erwartungen in dieser Hinsicht wurden erfüllt, nur das Marketing war von vorn bis hinten ein Desaster, was letztlich zu Tarantinos erstem Flop führte. Das begann mit der Entscheidung, die Filme in Europa nicht in einer Doppelvorstellung zu zeigen, und damit den Sinn und Zweck des Ganzen ad absurdum zu führen, und endete in den Legenden, denen zufolge viele der offenbar einfältigen US-Besucher nach dem ersten Film des Doppels bereits aus Unwissenheit den Saal verließen – ohne den Tarantino-Teil überhaupt zu Gesicht bekommen zu haben. Für die europäische Auswertung wurden sowohl Tarantinos „Death Proof“ als auch Rodriguez’ Planet Terror um rund 30 Minuten aufgeblasen, um kommerziell zu retten, was zu retten ist. Den Anfang macht „Quentin Tarantinos Death Proof - Todsicher“ (ein Titel wie ein verzweifelter marketing-technischer Hilfeschrei). Doch die 113-Minuten-Version zeigt Tarantino in Hochform, wobei die Dialoglastigkeit ein Massenpublikum aber wohl dennoch abschrecken wird.

    Austin, Texas: Die heiße Jungle Julia (Sydney Tamiia Poitier) will mit ihren nicht minder attraktiven Freundinnen Arlene (Vanessa Ferlito) und Shanna (Jordan Ladd) das Wochenende verbringen – ohne verbindlichen Männeranhang. Einen zusätzlichen Kick verspricht Julias kühne Aktion: Die Radiomoderatorin hatte in ihrer Sendung angekündigt, dass der erste Mann, der ihre Freundin Arlene, alias Butterfly, ausfindig macht und ihr ein bestimmtes Gedicht exakt rezitiert, einen Lapdance von der Schönheit erhalten werde. Allerdings ist Butterfly in die Nummer nicht eingeweiht und zunächst wenig begeistert. Julia sieht es eher als Chance für die Gruppe, Männer aufzureißen. Doch manchmal ist der Teufel ein Eichhörnchen. Der erste Bewerber um den lukrativen Lapdance ist der äußerst eigenwillige Stuntman Mike (Kurt Russell). Er hängt in derselben Bar am Tresen bei Wasser und Virgin Pina Coladas ab. Eine furchteinflößende Gesichtsnarbe hat den Haudegen entstellt, was Arlene trotz reichlich Alkohol im Blut deutliches Unbehagen bereitet, als Stuntman Mike das Versprechen eingelöst haben will. Dass der höfliche Gentleman der alten Schule auch ganz anders kann, muss wenig später dessen Tresenbekanntschaft Pam (Rose McGowan) erfahren. Sie ahnt nicht, dass der Gang in Stuntman Mikes Dodge Charger ihr letzter sein wird. Stuntman Mike ist ein durchgedrehter Serienkiller, der sich alsbald auf die Verfolgung des Damentrios macht... 14 Monate später heftet sich der Psychopath in Lebanon, Tennessee, an die Fersen eines weiteren Frauengespanns. Doch Kim (Tracie Toms), Zoe (Zoe Bell), Abernathy (Rosario Dawson) und Lee (Mary Elizabeth Winstead) sind selbst Früchtchen, die Stuntman Mike besser nicht unterschätzt hätte...

    Ein Vielfilmer ist Quentin Tarantino nicht gerade. In 13 Jahren drehte der Mann aus Knoxville, Tennessee, nur fünf Kinofilme – allesamt Meisterwerke, die – mit Ausnahme von Jackie Brown - den Weg in die berühmten Top 250 der imdb gefunden haben. Der märchenhafte Aufstieg vom Videothekar und Filmmaniac zu einem der besten Regisseur der Neuzeit verlief verdammt rasant. Bereits mit seinem zweiten Werk Pulp Fiction gelangte Tarantino in der Ewigkeit an. Sein Stil ist so markant wie unverkennbar und spiegelt sich in allen Werken von Reservoir Dogs bis zu Kill Bill Vol. 1 und Kill Bill Vol. 2 wider. Brillante Dialoge, packende Storys, geniale Montagen, herausragende Soundtracks und Unmengen von cleveren Filmzitaten kennzeichnen Tarantinos Filme seit jeher. Mit der famosen Grindhouse-Hommage „Death Proof“ knüpft der Exzentriker mühelos an seine früheren Meisterwerke an. Doch diesmal setzt er trotz vertrautem Inszenierungsstil auf einen anderen Fokus. Die wüst-geniale Mischung aus Road Movie, Serienkiller-Reißer und B-Action-Trash ist weniger blei-, sondern vielmehr extrem dialoghaltig und zu hundert Prozent aus weiblicher Sicht erzählt.

    Die erste von zwei Episoden, die durch Hauptfigur Stuntman Mike verbunden sind, könnte Tarantino-typischer nicht sein. Er lässt das Hot-Chick-Trio Sydney Tamiia Poitier (Tochter von Sidney Poitier), Vanessa Ferlito und Jordan Ladd eine dreiviertel Stunde reden... und reden... und reden. Was diesen dirty girls talk auszeichnet, sind die aberwitzigen Dialogzeilen, der wieder einmal unwerfende Soundtrack und die unglaublich coole Inszenierung Tarantinos. Obwohl praktisch nur geschwafelt wird, baut sich eine zunehmende Spannung auf, die durch das Auftauchen des seltsamen Vogels Stuntman Mike zugespitzt wird. Was hat dieser Kerl, der wirkt, als hätte er Colt Sievers das Handwerk beigebracht, vor? Aalglatt und lammfromm gibt er sich, als wolle er sich eine Begleiterin für einen texanischen Tanztee ausgucken. Stuntman Mike etabliert sich als eine der skurrilsten von vielen skurrilen Figuren des Tarantino’schen Universums. Obwohl seine Wandlung zum Psychopathen zu erahnen ist, startet er dennoch von 0 auf 100 mit einem gezielten Burnout durch und setzt seinen speziellen, „todesresistenten“ Stuntwagen als Waffe ein, was in der ersten von zwei wahnwitzig-spektakulären Actionsequenzen mündet.

    In der zweiten Episode um das Girls-Quartett Tracie Toms, Zoe Bell, Rosario Dawson und Mary Elizabeth Winstead ändern sich plötzlich die Vorzeichen, die Perspektive von Jäger und Gejagtem verschiebt sich mehrfach. Die hartgesottenen Stuntfrauen Kim und Zoe lassen sich nicht zu Freiwild abstempeln und liefern sich mit Stuntman Mike die atemberaubendste Autoverfolgungsjagd seit den Tagen eines Steve McQueen in Bullitt oder Gene Hackman in French Connection. Dieser archaische Überlebenskampf, diese Hommage an „Fluchtpunkt San Francisco“ („Vanishing Point“, 1971), Dodge Charger gegen Dodge Challenger, kommt komplett ohne Spezialeffekte aus und bringt das gesamte Konzept des Films auf den Punkt – inklusive Finale, das noch einmal als blutrote Garnierung eruptive Gewalt selbstironisch serviert. Gleichsam demontiert Tarantino seinen sorgfältig aufgebauten Charakter Stuntman Mike auf das derbste, was zu einem weiteren Spannungsfeld führt.

    Schauspielerisch bleiben bei „Death Proof“ keine Wünsche offen, jeder erfüllt perfekt seinen Zweck. Hervorzuheben ist natürlich vor allem Kurt Russell (Poseidon, Dark Blue, Backdraft), der in Sachen Coolness an die Zeiten von „Die Klapperschlange“ anknüpfen kann und seinen Psychopathen erstaunlich differenziert gibt. Die Darstellung ist zwar genretechnisch völlig over the top, beinhaltet aber mehrere selbstrefferenzielle Ebenen. Die Frauen, die Tarantino auffährt, sind heiß, besonders Vanessa Ferlito (Der Herr des Hauses, Spider-Man 2) und Sydney Tamiia Poitier („Veronica Mars“) stechen mit ihrer sexy Präsenz heraus. Diese hippe Inszenierung, die ohnehin schon augenzwinkernd ist, bricht Tarantino immer wieder mit zusätzlicher geballter Ironie. Die Figur der Cheerleader-Schauspielerin Lee, passend mit Knockout-Girl Mary Elizabeth Winstead (Final Destination 3, Stirb langsam 4.0, Bobby) besetzt, ist ein einziges ironisches Accessoir. Den größten physischen Einsatz muss die Neuseeländerin Zoe Bell erbringen. Die Stuntfrau doubelte Uma Thurman in „Kill Bill“ und bekommt hier ihren großen Auftritt, den sie zum großen Teil auf der Motorhaube des Dodge Challengers verbringt. Tarantino selbst guckt, wie es bei ihm Sitte ist, mal kurz (als Barmann) vorbei. Dazu erhält auch sein Kumpel Eli Roth (Hostel, Hostel 2) die Chance, mitzuspielen. Konsequenterweise darf er sich an Jordan Ladd (Inland Empire, Club Mad) heranmachen, die in seinem heftig umstrittenen Debüt Cabin Fever die Hauptrolle spielte.

    Die Grindhouse-Version und die Langfassung von „Death Proof“ unterscheiden sich an zwei Punkten am markantesten. Zum einen gelangt Stuntman Mike im Euroschnitt an den begehrten Lapdance und zum anderen ist eine mehrminütige Schwarz/Weiß-Sequenz eingefügt (und optisch interessant aufgelöst). Berechtigung haben beide Filme – als Teil des Double Features und als eigenständiger Film, der sich mühelos tragen kann, selbst wenn der Grindhouse-Feeling-Aspekt verloren geht.

    Natürlich ist „Death Proof“ kein reinrassiger Grindhouse-Film mehr. Tarantino destilliert die Zutaten der Exploitation-Ära der 70er und montiert diese in neuem Zusammenhang in der Gegenwart – inklusive vergrisselten Bildern und Technikaussetzern. Die meisterliche Leistung - und das, was seine Fans schließlich davon erwartet haben – ist die Tatsache, dass er das Grindhouse-Konzept um seinen persönlichen künstlerischen Anspruch erweitert und etwas völlig Neues schafft, dessen filmische Qualität weit über den Vorbildern steht. Tarantino ist derart stilsicher, wie nur eine Handvoll seiner Kollegen überhaupt. Dass „Grindhouse“ in den USA floppte, ist zwar ärgerlich, aber es muss und wird Tarantino nicht übermäßig plagen. Nach eigener Aussage ist er stolz auf seine Filmvision und längst in den Dimensionen angekommen, in denen es keine übergeordnete mehr Rolle spielt, ob der letzte Film nun gerade ein Hit war oder eben nicht. Tarantino wird trotzdem alles finanziert erhalten, was er will und jeden Schauspieler bekommen, den er haben möchte.

    Fazit: Regie, Drehbuch, Kamera: Quentin Tarantino. Wer nach diesen einfachen Fakten eine Kinokarte löst, ist an der richtigen Adresse. Aber Vorsicht: „Death Proof“ ist absolut nicht mainstreamtauglich (!), sondern vielmehr ein stilistisches Kunstwerk für Cineasten, die Zitate, Referenzen und Innovationen zu goutieren wissen. Wer einen straighten Actionfilm erwartet, wird sich vermutlich an den Rand der Bewusstlosigkeit langweilen...

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