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    Die Chroniken von Erdsee
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Die Chroniken von Erdsee
    Von Christoph Petersen

    Urspünglich hatte sich die US-amerikanische Bestseller-Autorin Ursula K. Le Guin den führenden Anime-Macher (aka -Gott) Hayao Miyazaki für die Leinwandumsetzung ihres erfolgreichen Erdsee-Zyklus (die fünf Bände erschienen 1968, ´70, ´72, ´90 und 2001) gewünscht. Immerhin bestimmte Miyazaki mit seiner Produktionsfirma Studio Ghibli und Meisterwerken wie „Mein Nachbar Totoro“, Kiki´s kleiner Lieferservice, Prinzessin Mononoke und Chihiros Reise ins Zauberland die letzten 20 Jahre des japanischen Animationskinos wie kein anderer. Weil Hayao jedoch noch mitten in den Arbeiten an Das wandelnde Schloss steckte, nutzte sein Sohn Goro die Chance, um hier zum ersten Mal auf dem Regiestuhl Platz zu nehmen. Er hat sich fraglos eine ganze Menge von seinem bedeutenden Vater abgeschaut. Genau wie dieser erzählt Goro mit „Die Chroniken von Erdsee“ ein spannendes Fantasy-Abenteuer voll aufregender Magie, berührenden Charakteren und mit einer intelligenten Moral. Ganz so genial wie sein alter Herr ist der aufstrebende Anime-Nachwuchs jedoch lange noch nicht. An manchen Stellen ist die Story zu kompliziert, an manchen zu sehr vereinfacht – und schlussendlich fehlt Goro auch noch ein wenig die eigene Handschrift.

    Das Gleichgewicht in Erdsee ist gestört. Eine düstere Macht hat das Tor zwischen den Welten der Lebenden und der Toten weit aufgestoßen. Der junge Prinz Arren spürt die Veränderungen am eigenen Leib. Plötzlich wird er von einem düsteren Schatten verfolgt, der ihn immer wieder zu Gewaltausbrüchen veranlasst. Bei einem solchen hat er auch seinen Vater, den König von Enland, heimtückisch ermordet. Auf der Flucht durch die Wüste begegnet Arren dem gutherzigen Erzmagier Ged, genannt Sperber. Gemeinsam reisen die beiden weiter zur Stadt Hort. Auch hier machen sich die Auswirkungen bereits bemerkbar: Die Zauberer haben ihre Kräfte verloren, die Menschen richten sich mit der Droge Hazia selbst zu Grunde und selbst die ansonsten so friedliebenden Drachen töten sich mittlerweile gegenseitig. Ged lässt Arren bei einer befreundeten Bäuerin zurück, während er selbst sich aufmacht, um das Geheimnis hinter der sich ankündigenden Apokalypse zu lüften. Dabei stößt er auf eine Bande Sklavenhändler und die mächtige Hexe Cob, die auf der Jagd nach dem ewigen Leben vor keiner Schandtat zurückschreckt. Doch allein hat Ged gegen die dunklen Mächte keine Chance. Nur mit Hilfe von Arren und dessen magischem Schwert wäre eine Rettung Erdsees noch möglich. Dumm nur, dass der junge Prinz mittlerweile unter dem verführerischen Einfluss der gefährlichen Hexe steht...

    „Die Chroniken von Erdsee“ ist ein Manga für Fortgeschrittene. Im Gegensatz zu seinem Vater pflegt Goro einen temporeicheren Erzählstil, bei dem viele Randerscheinungen nur äußerst kurz angesprochen werden. Arrens Spaltung in Gut und Böse, die Droge Hazia und die Macht der wahren Namen erhalten beispielsweise nur kurze Erwähnungen, obwohl das Verständnis dieser Parts ohne vorherige Lektüre der Erdsee-Romane kaum zwingend vorausgesetzt werden kann. Auch ist die Schwerpunktsetzung der Story im Vergleich zur Vorlage deutlich abgeändert. Le Guin hat einen philosophisch angehauchten Fantasy-Zyklus verfasst, während sich Goro nun in erster Linie auf die actionreicheren Szenen stürzt. Das ist zweifelsfrei spannend und unterhaltsam, nur wurde man vom Studio Ghibli in Sachen Atmosphäre und Tiefgang in den letzten zwei Dekaden nun einmal unglaublich verwöhnt. Wäre „Erdsee“ ein herkömmlicher No-Name-Anime, er wäre ohne Frage eine positive Überraschung. Aber aus dem Hause Miyazaki ist man nichts anderes als Meisterwerke gewöhnt. Und ein solches ist Goro zumindest mit seinem Erstling definitiv nicht gelungen.

    Dabei darf man jedoch auf keinen Fall vergessen, dass auch Papa Miyazaki sein erstes Meisterwerk, nämlich Das Schloss im Himmel (1986), erst im dritten Anlauf abgeliefert hat. Und einiges an Potential, um auch einmal ein ganz Großer zu werden, offenbart Goro bereits. Der Zeichenstil ist makellos. Im Gegensatz zum Vater, der seine Bilder gerne mit unzähligen Details vollstopft, verfolgt Goro zwar einen erheblich geradlinigeren Stil, doch dies ist wohl im Endeffekt nicht mehr als reine Geschmackssache. Die Charaktere, vor allem der unglaublich differenziert ausgestaltete Arren und das verschüchterte Waisenmädchen Therru, vermögen allesamt zu berühren. Und schließlich kann auch die Moral überzeugen. Wo Le Guin mit Arren, der aus Angst vor dem Tod zur dunklen Seite überläuft, ein ambitioniertes, philosophisches und religionskritisches Statement abgab, vereinfacht Goro die Sache ein bisschen, belässt es schließlich bei einem Aufruf im Hier und Jetzt zu leben. Doch dieser funktioniert dafür – trotz der einen oder anderen etwas oberlehrerhaften Note - fraglos hervorragend.

    Fazit: Das Ergebnis der ersten Regie-Schritte von Miyazaki-Sprössling Goro reicht sicherlich nicht an die alles überragende Qualität seines Vaters heran. Dennoch ist „Die Chroniken von Erdsee“ ein durchaus sehenswertes Anime-Epos.

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