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    Candy – Reise der Engel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Candy – Reise der Engel
    Von Deike Stagge

    Die Anzahl der Filme der Berlinale 2006, die sich als so genannte „First Date Movies“ qualifizieren, ist gering. „First Date Movies“, das sind harmlose, unterhaltende Komödien oder Action-Abenteuer, deren Konsum den späteren Teil des Abends (etwa durch negative Stimmungen) nicht beeinträchtigt. Ganz eindeutig nicht in diese Kategorie fällt auch der australische Wettbewerbsbeitrag, das Drogen-Drama „Candy“.

    Candy (Abbie Cornish) ist ein hübsches Mädchen aus einem konservativen, gut behüteten Elternhaus und möchte Malerin werden. Ihr Freund Daniel (Heath Ledger), ein selbsternannter Schriftsteller, kommt aus eher zerrütteten Verhältnissen und hängt in der Drogenszene um den alternden aber gutmütigen Caspar (Geoffrey Rush, Muenchen) ab. Auch Candy ist in die Welt der Drogen eingestiegen und segelt langsam und unaufmerksam der Heroinabhängigkeit entgegen. Problem bei beiden Künstlern ist natürlich der Geldmangel. Schließlich prostituiert sich die hübsche Blondine, um den unverzichtbaren Kick der Droge für beide finanzieren zu können. Im Rausch ihrer eigenen kleinen Welt heiraten die zwei. Schon auf der Feier sind sie total high, so dass Candys Eltern Wind von Daniels Drogenproblem bekommen. Statt die beiden damit zu konfrontieren, lassen sie sie gewähren. So kämpfen die Frischvermählten wieder um das tägliche Geld für den Schuss. Zum ersten Mal streiten sie sich darüber, dass nur Candy ihren Körper verkauft, um die Drogen bezahlen zu können.

    Als Candy schwanger wird, ändern sich die Dinge. Die beiden sind mit einer Verantwortung konfrontiert und beschließen, wieder clean zu werden. Natürlich wird aber zuerst noch einmal der „Lucky Last“, der letzte Schuss, gesetzt. Doch auch in der Vorfreude auf das Kind bekommen sie ihren Entzug nicht wirklich hin. Die Familiensituation wird unter dem Druck von Candys Eltern immer unerträglicher. Und in Problemzeiten wirken Drogen noch viel, viel verlockender…

    Drei Kapitel präsentiert Regisseur Neil Armfield seinem Publikum. Sie sind mit den Überschriften Himmel, Erde und Hölle betitelt. Das lässt schon mal nicht unbedingt auf einen fröhlichen Abschluss hoffen. Aber wer jetzt denkt, dass man zwangsweise daran das Ende erahnen kann, wird überrascht sein. Der durch seine Theaterarbeit bekannt gewordene Armfield geht absolut differenziert und feinfühlig mit seinen Figuren um. Bis zum Ende scheint er ihnen, wenn man seine Kameraarbeit und die Inszenierung der Charaktere genauer betrachtet, besonders nah zu sein. „Candy“ schiebt niemandem die Schuld für das Geschehene zu, sondern porträtiert die Lebenswege der beteiligten Personen, die sich entscheiden, ihre Zukunft auf eine bestimmte Art und Weise zu gestalten. Dabei bewegen sich die Eltern ebenso wie das junge Paar am Abgrund. Die Drogensucht ist nicht das alleinige Thema des auf dem Roman von Luke Davies basierenden Films. Sie ist lediglich der Aufhänger, um das Familienleben und die Beziehungen zwischen Liebenden, Eltern, Kindern und Freunden genauer zu untersuchen. Das schweigende Tolerieren der hilflosen Eltern steht ebenso im Mittelpunkt wie die Leugnung der Probleme durch die beiden Junkies, die sich ihre eigene Lebenswelt schaffen. Candy und Daniel halten sich nur an den positiven Dingen ihrer Beziehung fest und schaffen es so, an ein Funktionieren ihres Lebens zu glauben.

    Gestützt wird die Wirkung des Films vor allem auch durch seine mutigen Darsteller. Heath Ledger sorgte nach seinem Komödienstart mit „10 Dinge, die ich an Dir hasse“ und Ritter aus Leidenschaft vor allem durch seine ernsten Rollen wie zuletzt in Brokeback Mountain für Furore. Auch in „Candy“ überzeugt er durch die Glaubwürdigkeit, mit der er die verletzliche Seite Daniels und die Fürsorge für seine Frau darstellt. Wenn er weint, ist man als Zuschauer ehrlich betroffen - und er muss oft weinen. Neben ihm sticht Abbie Cornish als Newcomerin auf der internationalen Bühne hervor. Sie balanciert die Aura einer Rebellion gegen die Eltern und die „Egal, was ich für den Schuss tun muss“-Einstellung eines fertigen Junkies perfekt und macht aus Candy den gefallenen blonden Engel, den Dan so unglaublich liebt. Sicherlich wird sie in der Zukunft einen Ausflug nach Hollywood machen dürfen.

    „Candy“ ist für den Zuschauer ein anstrengender Film. Man muss zwei Stunden mitleiden und sich dem Teufelskreis missglückter Beziehungen und Drogenabhängigkeit aussetzen. Die Kamerabewegung und das Setdesign treten hinter der Erzählstruktur zurück. Trotzdem, vielleicht sogar gerade deswegen, ist „Candy“ ein sehenswerter Film, weil er darüber hinaus auch behutsam mit seinen Figuren umgeht und sie respektiert. Allerdings bietet er nichts, was der US-Film Requiem For A Dream nicht noch schockierender und eindrucksvoller präsentiert hat. In dieser Hinsicht ist „Candy“ nicht ganz so beeindruckend, weil ihm streckenweise einfach neue Impulse fehlen und die Spannungskurve erst nach einer relativ ereignislosen halben Stunde einsetzt. Wer Requiem For A Dream nicht gesehen hat, sollte sich aber durchaus mit „Candy“ auseinandersetzen. Allerdings sollte man nicht planen, nach dem Film noch großartig auszugehen. Die Lust darauf vergeht dem Zuschauer schon nach 10 Minuten.

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