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    1:1
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    1:1
    Von Nicole Kühn

    Ein bisschen „West Side Story“ im Hier und Heute: Die junge Mie ist glücklich mit ihrem palästinensischen Freund Shadi, auch wenn die Umstände nicht rosig sind. Der Kopenhagener Vorort, in dem sie mit ihrer Mutter und ihrem aufmüpfigen Bruder Per lebt, bietet reichlich Konfliktpotenzial in der Familie und zwischen den aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommenden Bewohnern. Die mühsam niedergekämpften Vorurteile und Ängste brechen sich Bahn, als Per brutal zusammengeschlagen wird und Shadi einen zermürbenden Verdacht hegt. Annette K. Olesens Jugenddrama „1:1“ spürt engagiert den schleichenden Prozessen von Misstrauen und Angst nach, ohne Partei zu ergreifen. Manchmal droht bei der Vielzahl der Perspektiven auf das Geschehen der rote Faden verloren zu gehen, der sich an der Probe orientiert, die die interkulturelle Beziehung zwischen zwei Jugendlichen zu bestehen hat. Der Intensität hätte eine Straffung der Geschichte noch etwas hinzufügen können.

    Mitten in die alltäglichen pubertären Streitigkeiten mit der lieben Familie bricht für die junge Mie (Joy K. Petersen) die schreckliche Nachricht, dass ihr Bruder Per (Jonas Busekist) von Unbekannten brutal zusammengeschlagen worden ist. In der erdrückenden Ungewissheit über das weitere Schicksal ihres Bruders sucht Mie Trost bei ihrem Freund Shadi (Mohammed-Ali Bakier). Der jedoch entzieht sich ungewohnt wortkarg jeder Diskussion. Hinter seinem verletzenden Verhalten steckt Shadis Verdacht, dass sein großspuriger Bruder Tareq (Subhi Hassan) nicht ganz unbeteiligt ist an der ganzen Geschichte. Immerhin sympathisierte Per durchaus mit ausländerfeindlichen Parolen, und die Beziehung Shadis zu einer Dänin ist für den traditionellen Tareq ohnehin indiskutabel. Auf beiden Seiten schleichen sich Misstrauen und Vorurteile ein, selbst da, wo vorher Liebe und Verständnis waren. Für die Beteiligten, allen voran das junge Paar Mie und Shadi, wird der Umgang mit dem, was man weiß und dem, was man darauf folgert, zu einer Belastungsprobe des gegenseitigen Vertrauens.

    Der Umgang mit dem Konflikt konzentriert sich stark auf das direkte familiäre Umfeld und richtet damit den Blick auf die Keimzellen von Vorurteilen auf beiden Seiten. Dabei vermeidet Regisseurin Olesen großflächige Zuordnungen von Verhaltensmustern, sondern gibt beiden beteiligten Familien Raum für differenzierte Ansichten. Dadurch lenkt die Darstellung den Fokus auf die Vielschichtigkeit der Konflikte, die längst nicht mehr nur noch entlang der Nationalitäten oder Ethnien verlaufen, sondern sich mit Generationenkonflikten und verschiedenen Graden der Anpassungsfähig und -willigkeit mischen. Trotz der vielen Ansichten, die sich in den einzelnen Familienmitgliedern personifizieren, vermeidet Olesen jegliche Verurteilung, aber auch jede Lobhudelei. Allen Beteiligten gesteht sie gute Gründe für ihr Verhalten zu, keiner bleibt andererseits frei von Zweifeln und Fehlbeurteilungen. Diese feinfühlige Beobachtung der Versuche von Verständigung über vielerlei Grenzen hinweg führt dem Betrachter vor, was die Grundvoraussetzung für eben diese Verständigung ist: unvoreingenommenes Hinsehen. Etwas unterbelichtet bleibt dagegen das Klima innerhalb der multikulturellen Jugendszene. In diesen sozialen Raum mit seiner ganz eigenen Dynamik tritt die Handlung nur sehr am Rande ein und vergibt damit interessante Einblicke in dieses sensible Feld, in dem sich gesellschaftliche Haltungen Jugendlicher stark formen.

    Kamerafrau Kim Høgh fängt die triste Atmosphäre der Kopenhagener Vorstädte in ruhigen Bildern ein, denen die Farben in dem Maße entzogen sind, wie es die Perspektiven für die Protagonisten sind. Dass die Menschen dennoch an diesem Ort, der trotz aller Widrigkeiten ihr Ort ist, hängen können, spiegelt sich in der Haltung von Søs (Anette Støvelbæk), der Mutter von Mie und Per. Die Sozialarbeiterin möchte dort leben, wo sie arbeitet, auch wenn sie durchaus die Probleme ihrer Umgebung sehr direkt zu spüren bekommt und ab und an der Wunsch durchschimmert, ein Leben in einem kleinen ruhigen Vorort zu führen. Wie tief im Verborgenen manche Konflikte schlummern, offenbart sich durch die mit aufdringlicher Fürsorge agierende Großmutter Bonnie (Helle Hertz). Scheint sie zunächst noch sehr offen und fast zu interessiert an dem Freund ihrer Enkelin, so ist sie es, die in einem entscheidenden Moment die Kommunikation verhindert und bereits vorhandene Zweifel zu einem Verdacht erhärten, der fast schon den Charakter von Überzeugung annimmt. Schwer einzuschätzen ist auch die Haltung des örtlichen Polizisten (Paw Henriksen), der Per auf der Straße gefunden hat. Viele Gedanken macht er sich, scheint jedoch in seiner naiven Sanftmut keine konsequente Haltung annehmen zu können.

    Für diese Gratwanderungen verlässt sich Olesen auf ein Ensemble, das ein hohes Maß an Authentizität auf die Leinwand bringt. Beide Hauptdarsteller wurden über das Integrationsprojekt „Players Project“ des renommierten Betty Nansen Theaters entdeckt, hatten nie Schauspielunterricht und meistern diese nicht einfache Aufgabe überzeugend. Umso trauriger, dass in der Synchronisation offensichtlich kaum Wert gelegt wurde auf eine glaubhafte Übertragung des Slangs in die typischen deutschen Sprachstrukturen junger Migranten. Gerade bei dieser Thematik hätte man sich hier doch mehr Sorgfalt gewünscht. Trotz dieser Schwächen ein Film, der durchaus sehenswert ist und mit seiner Nähe zum Lebensgefühl der Zielgruppe auch bei dieser ankommen dürfte.

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