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    Das Konzert
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Das Konzert
    Von Florian Schulz

    Mélanie Laurent und Christoph Waltz sitzen sich im Caféhaus gegenüber: Nur eine der Szenen für die cineastische Ewigkeit, die uns Quentin Tarantino in „Inglourious Basterds" kredenzte. An ihre Höchstleistungen unter Tarantinos Direktive anzuknüpfen, fällt auch großen Namen bemerkenswert schwer. Wer würde bei Uma Thurman nicht eher an „Pulp Fiction" oder „Kill Bill" als an „Die Super-Ex" oder „Percy Jackson - Diebe im Olymp" denken? Auch Waltz und Laurent sind nun erst einmal auf Bewährung aus dem Filmfigurenkabinett des Kultregisseurs entlassen. Während der taufrische Oscar-Gewinner bis zum Kinostart von „Water for Elephants" noch Verschnaufpause hat, schlug für die Pariserin bereits 2009 die Stunde der Wahrheit. „Das Konzert" heißt der mit vielen Vorschusslorbeeren bedachte und mit zwei Césars ausgezeichnete Überraschungshit des rumänisch-französischen Filmemachers Radu Mihaileanu („Geh und lebe"). Am französischen Box Office konnte die originelle Komödie bereits mächtig abräumen. Und auch für den deutschen Kinostart stehen die Vorzeichen gut, denn die warmherzig erzählte Reise eines chaotischen Orchesters begeistert mit ihrem facettenreiches Konzept und zeigt zudem erneut eine Laurent in Höchstform.

    Vom Tellerwäscher zum Millionär? In der Sowjetunion der 80er Jahre konnte sich das bekannte Bottom-Up-Phänomen ganz schnell auch in ein Top-Down-Prinzip verwandeln: Nachdem Stardirigent Andrei Filipov (Aleksei Guskov) jüdische Musiker nicht aus dem Orchester werfen wollte, degradierte ihn die kommunistische Regierung zur Reinigungskraft. Jahre später lauscht der einst so passionierte Dirigent heimlich den Proben des neuen Orchesters und beklagt wehmütig das Fehlen einer musikalischen Seele. Eines Tages fällt ihm im Büro des Direktors ein Fax des Theatre du Châtelet in die Hände: Das Bolschoi wird um eine Gastvorstellung im berühmten Pariser Konzerthaus gebeten. Rasch sackt Filipov das Fax ein und löscht die dazugehörige E-Mail. Seine wahnwitzige Idee: Die Originalbesetzung des Orchesters zusammenzutrommeln und kurzerhand selbst in Paris aufzutreten. Doch das Vorhaben gestaltet sich komplizierter als gedacht, denn die einstigen Mitglieder sind inzwischen in alle Himmelsrichtungen und über alle Gesellschaftsschichten verstreut...

    Den Titel erhebt Radu Mihaileanu kurzerhand zum Programm, denn gleich einem Orchester steht und fällt „Das Konzert" mit der Ausrichtung seiner Teile. Für den Zusammenprall zwischen französischer Haute Culture und rustikal-russischem Anarcho-Charme bedient sich der Regisseur zwa allerlei kultureller Klischees, findet aber dennoch immer wieder zurück zu einer erzählerischen Mitte. Innerhalb des cineastischen Quintenzirkels verschmelzen verschiedene Stimmungen und ergänzen sich zeitgenössische Farbtupfer sowie burleske Überzeichnung zu einem harmonischen Gesamtbild. Das Russland nach dem Fall der Sowjetunion stilisiert der in Bukarest geborene Filmemacher als kurioses und immer auch nostalgisch-verklärtes Potpourri, in dem eine frivole Hochzeitsfeier inklusive freizügiger Bedienungen auch mal jäh in einer brachialen Schießerei endet. Und auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, als strapaziere der Regisseur seinen extravaganten Humor bis an die Schmerzgrenze aus, lebt das orchestrale Konzept gerade von diesem facettenreichen Vielklang.

    Andrei Filipov fungiert dabei als erzählerisches Epizentrum. In seiner dirigierenden Funktion fließen die Elemente ineinander und finden ihren Platz im Motiv der musikalischen Perfektion. Über die auditive Metapher entkleidet Radu Mihaileanu nach und nach das Mysterium seiner beiden Hauptcharaktere und lässt sie erst im fulminant gefilmten Crescendo ihr persönliches Erwachen erleben. Während Quentin Tarantino, um noch ein letztes Mal diese Referenz zu bemühen, ganz auf die dekonstruierende Wirkung seiner radikal überstilisierten Bilder setzt, nutzt der Rumäne sein musikalisches Motiv hier vor allem rekonstruierend. Und das funktioniert ganz hervorragend. Die Konzertreise erweist sich als Ausflug in die biografischen Winkel der Figuren und wird zudem zwischenzeitlich immer wieder mit politisch-historischen Versatzstücken angereichert. Apropos Crescendo: In seiner audiovisuellen Wucht wird der Schlussakkord zum intensiven Kinoerlebnis. Eine knappe Viertelstunde lang zelebriert der Regisseur das titelgebende Ereignis und zieht dabei alle Register seines Könnens. Die Einspielung retrospektiver Bildelemente wirkt dabei zwar nicht immer zwingend und trägt das Pathos mitunter etwas zu dick auf. Es gelingt aber dennoch völlig überzeugend, den emotionalen Kern der Partitur auf die Leinwand zu projizieren und die Musik zur ersten Geige der Erzählung zu erheben.

    Vor diesem Hintergrund sind die Leistungen von Mélanie Laurent („Keine Sorge, mir geht´s gut") als Geigenvirtuosin Anne-Marie Jacquet und eben Aleksei Guskov („Ragin") nicht hoch genug zu bewerten. Ihnen fällt es zu, das feinfühlige Changieren zwischen zügelloser Satire und leisem Charakterdrama in der sprichwörtlichen Waage zu halten. Beiden gelingt dies mit Bravour. Vor allem Guskov verkörpert den ehrgeizigen Komponisten mit verbissener, aber nie unglaubwürdiger Introversion, während Laurent ein weiteres Mal ihre ungeheure Leinwandpräsenz ausspielt. Somit ist auch ihre Post-Tarantino-Vorstellung unbedingt erinnerungswürdig. Auch die Nebendarsteller werden nicht ausschließlich für komödiantische Zwecke verheizt. Von Dimitri Nazarov als gemütlichem Cellisten bis hin zu Anna Kamenkova als multitaskingfähige Ehefrau des Dirigenten treffen ausnahmslos alle ihre – oft schrägen - Töne und versprühen trotz teils überkandidelten Rollenentwürfen jederzeit genügend Authentizität.

    Fazit: Gekonnt vermengt Radu Mihaileanu burleske Komödie und tiefgreifendes Charakterdrama zu einem kurzweiligen Kinoerlebnis. In „Das Konzert" treffen zeitgeschichtliche Kuriositäten auf formelle Raffinesse, umspielt die Musik die Erzählung und gerinnt die Erzählung schließlich wieder zur Musik. Auch wenn die Prämisse noch so haarsträubend sein mag, kann man sich der Faszination der ungewöhnlichen Reise spätestens im fulminanten Finale kaum mehr entziehen.

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