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    Karlsson vom Dach
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Karlsson vom Dach
    Von Ulrich Behrens

    Neben Pippi Langstrumpf und Michel aus Lönneberga gehört der fliegende Karlsson vom Dach wohl zu den aufmüpfigen Figuren aus dem umfangreichen Werk der letztes Jahr verstorbenen Kinderbuchautorin Astrid Lindgren. Regisseur Olle Hellbom, der zwischen 1968 und 1973 vier Pippi-Langstrumpf-Spielfilme mit Inger Nilsson in der Hauptrolle drehte, adaptierte den Karlsson-Stoff 1974 für das Kino. Im selben Jahr wurde fürs Fernsehen eine Serie in vier Teilen über Karlssons und Lillebrors Abenteuer fertiggestellt. Nachdem 1997 und 1999 bereits zwei Animationsfilme über Pippi Langstrumpf in die Lichtspielhäuser Einzug gefunden hatten, wurde der Karlsson-Stoff von der norwegischen Regisseurin Vibeke Idsøe jetzt als Zeichentrickfilm aufbereitet. Dabei hielt sich Idsøe zumeist sehr eng an die Textfassung des Buches. Über Jahre hinweg hatte sich Astrid Lindgren gegen die Umsetzung ihrer Geschichten in Trickfilme gewehrt. Nicht ohne Grund. Denn die Vitalität und Phantasie der Lindgrenschen Figuren widersetzt sich eher einer Umsetzung in die oft allzu starren Formen des Animationsfilms. Von Astrid Lindgren erschienen übrigens drei Karlsson-Bände: „Karlsson vom Dach“ (1956), „Karlsson fliegt wieder“ (1963) und „Der beste Karlsson der Welt“ (1968).

    Lillebror ist ein ganz normaler siebenjähriger Junge, der in einer ganz normalen Familie in einer ganz normalen Straße in Stockholm lebt – mit Mama, Papa, Schwester Betty und Bruder Birger, die beide älter sind als Lillebror. Lillebror ist traurig, wie viele andere Jungen auch, die sich wie er einen kleinen Hund wünschen und ihn nicht bekommen, weil die Eltern „erhebliche Bedenken“ gegen ein Tier im Haus haben. Und als er eines schönen Nachmittags wieder einmal traurig in seinem Zimmer herumhängt und sich langweilt, hört er plötzlich ein merkwürdiges Geräusch. Zunächst sieht er nichts, doch als er aus dem Fenster schaut, düst da doch tatsächlich ein kleiner dicker Mann vorbei, mit einem Propeller auf dem Rücken und einem Knopf auf dem Bauch. Karlsson heißt der fliegende Mann, der nicht genau sagen kann, wie alt er ist, sich aber benimmt wie ein Kind. Karlsson kommt Lillebror gerade recht, auch wenn das fliegende Dingsda nicht gerade die Ausgeburt eines guten Freundes ist. Denn Karlsson denkt in aller, aller und nochmals aller erster Linie vor allem: an sich selbst. Er ist verfressen, gibt an wie eine Tüte Mücken und hält sich für den klügsten, schönsten und begabtesten Menschen auf Gottes weiter Welt.

    Doch Lillebror ist das in diesem Moment nicht so wichtig. Auch wenn Karlsson Lillebrors Dampfmaschine in die Luft jagt und auf der Geburtstagsfeier Lillebrors den anderen eingeladenen Kindern den ganzen Kuchen weg isst: Er hat jetzt jedenfalls einen besonderen Freund, kein anderer kann einen solchen sommersprossigen „Flieger“ vorweisen. Karlsson wohnt nur ein paar Häuser weiter auf dem Dach in einem kleinen Häuschen, das er Lillebror zeigt. Von nun an wird es lebendig in Lillebrors Leben. Als die Eltern zu einer Ferienreise antreten, passt Fräulein Bock, eine ältere gestrenge Dame auf den Jungen auf. Zu allem Überfluss taucht auch noch Onkel Julius auf – und beide machen zu ihrem Entsetzen Bekanntschaft mit dem fliegenden Frechdachs Karlsson. Schließlich schleichen noch zwei Gauner in der Wohnung herum, die davon gehört haben, ein UFO würde über Stockholm kreisen, das sie in der Wohnung Lillebors vermuten. UFO? Wer mag das wohl sein ...

    Vibeke Idsøes Trickfilm ist wie ein bewegtes Bilderbuch produziert worden: knallig, aber nicht übertrieben bunt. Der Gegensatz, den Astrid Lindgren in ihren Geschichten (sei es Pippi Langstrumpf, sei es Karlsson vom Dach) setzt – stark überzeichnete egoistische Kinder versus Erwachsene, die durch das Verhalten dieser Kinder „vor den Kopf gestoßen“ werden, eine Konstruktion, die vor allem den machtvollen Willen der Kinder, endlich erwachsen zu werden, zum Ausdruck bringen soll – dieser Gegensatz kam in den Spielfilmen der 70er Jahre noch deutlich zum Ausdruck. Man denke etwa an die Überlegenheit, die eine Pippi Langstrumpf gegenüber der allzu fürsorglichen Frau Prysselius oder den beiden trotteligen Polizisten Kling und Klang an den Tag legte. In den Animationsfilmen dagegen verflacht diese bewusste Überzeichnung der Helden fast notgedrungen und wirkt zum Teil unglaubwürdig, zum Teil nur albern. So auch in dem jetzt angelaufenen Zeichentrickfilm. Aus Karlsson, dem fliegenden Egoisten, der letztlich nur das Verhalten vieler Erwachsener kolportiert, ihnen das Spiegelbild ihrer eigenen Mentalität vorhält, wird eine unrealistische Phantasiegestalt, die eben „einfach“ nur an sich denkt und gern und viel isst.

    Das wirkt oft allzu brav, eben weil es nicht so ganz in die Realität passt. Natürlich sind auch die Figuren aus den Spielfilmen der 70er Jahre Phantasiegestalten. Nur, Kind, Mann und Frau können sich diese Gestalten aus Fleisch und Blut eben doch durchaus als reale Menschen vorstellen. So laufen die Abenteuer und der Schabernack von Karlsson im Trickfilm in zu geordneten Bahnen ab, was zum Teil Langeweile produziert, auch wenn andererseits Jürgen Vogel sich durchaus erfolgreich bemüht, Karlsson eine zumindest in Ansätzen widerspenstige Stimme zu verleihen. Unter alldem leiden Phantasie und Ausgelassenheit, Witz und Verve der Geschichte Astrid Lindgrens. Nur wenige Szenen, etwa wenn Fräulein Bock Karlsson durch die Wohnung jagt oder ihn erst zur Hintertür, und dann – auf seinen Protest hin, einer wie er gehöre wenn schon dann zur Vordertür hinausgeschmissen – nochmals rausschmeißt, zeugen von der Intensität und dem Humor der Geschichte. Wirklich schade.

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