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    Komm näher
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    0,5
    katastrophal
    Komm näher
    Von Christoph Petersen

    Seit Hartz 4 und dem großen Erfolg von Andreas Dresens Halbe Treppe sind Sozialdramen im deutschen Kino wieder „in“. Unter der schieren Masse an Filmen lassen sich wie in jedem Genre Perlen genauso wie billiger Ramsch entdecken. Und auch wenn noch kein deutscher Regisseur an etwa die Kraft der Werke der belgischen Brüder Dardenne („L´Enfant“ und „Der Sohn“) oder des Engländers Mike Leigh (All or Nothing und Vera Drake) herankommen konnte, lassen Nachwuchstalente wie Sylke Enders mit „Kroko“ oder schon erfahrenere Leute wie Eoin Moore mit „Im Schwitzkasten“ hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Nun hat sich auch Vanessa Jopp, deren Debüt „Vergiss Amerika“ noch zu Recht gefeiert wurde, mit ihrem dritten Film „Komm näher“ in diese angesagte Richtung gewagt. Leider hat sie aber nicht verstanden, worum es eigentlich geht. Statt die Episoden mit einem kritischen Ton zu unterlegen, führt sie ihre lebensunfähigen Charaktere dem bürgerlichen Publikum wie Pausenclowns zur bloßen Belustigung vor. Auf eine abstoßendere Art und Weise kann man mit der deutschen Sozialmisere kaum umgehen.

    Die Putzfrau Johanna (Heidrun Bartholomäus) ist am Ende. Soziale Kontakte zu knüpfen, scheint ihr fast unmöglich und ihre 16-jährige Tochter Mandy (Marie-Luise Schramm, Bin ich sexy) treibt es jede Nacht wild bei lauter Rockmusik mit irgendwelchen Kerlen. Über eine Kontaktanzeige lernt Johanna dann doch einen Mann, den Taxifahrer Andi (Fritz Roth), kennen und neue Hoffnung keimt auf. Aber was keiner weiß: Andi ist auch der Telefonfreund ihrer Tochter. Mathilda (Meret Becker, Urlaub vom Leben, München) ist eigentlich ein nettes, aufgeschlossenes Mädchen, aber sobald ihr ein Mann zu nahe kommt, zeigen sich die ersten Anzeichen eines Borderline-Syndromes. Sie wird wütend und stößt die Typen grundlos von sich. Aber für den süßen Polizisten Bronski (Hinnerk Schönemann, Fremde Haut) will sie ihre Probleme in den Griff bekommen. Die sympathische Karrierefrau Ali (Stefanie Stappenbeck) lebt ihren Traum von einer intakten Familie ohne Rücksicht auf Verluste. Ihren Mann, den Bilderbuch-Intellektuellen David (Marek Harloff, Blackout Journey), liebt sie schon lange nicht mehr, aber das gesteht sie sich nicht ein, einen Kratzer in ihrer perfekten Scheinwelt will und kann sie sich nicht erlauben. Doch dann verliert sie einen wichtigen Auftrag als Landschaftsarchitektin und David zieht aus…

    In Andreas Dresens Sommer vorm Balkon lacht man trotz aller filmischen Schwächen und trotz Alkoholsucht, Arbeitslosigkeit und Pubertät der Charaktere immer mit seinen Figuren, die ihm offensichtlich sehr am Herzen liegen. Bei „Komm näher“ ist das anders. Wenn sich Andi Ejakulat hinter die Ohren schmiert, um bei den Frauen besser anzukommen, oder Mandy Kondome mit falschem Sahne-Sperma präpariert, um ihre Mutter eifersüchtig zu machen, dann lacht man nicht mit ihnen, sondern über sie. Es fühlt sich an, als ob Jopp sich nur widerwillig an dieses ach so abstoßende Thema herangewagt hat und nun vorsichtig mit Handschuhen und Pinzette darin herumstochert. Gefunden hat sie bei ihrer gefährlichen Suche nach Sozialklischees unter anderem den bierbäuchigen Unterhemdträger und die nicht mehr aus dem deutschen Problemfilm wegzudenkende Borderline-Erkrankte, welche sie nun stolz, wenn auch nur aus sicherer Entfernung, ihren Zuschauern präsentiert. Auch bei der Darstellung des durchgehend gestörten Sexuallebens aller Figuren als etwas nur Schlechtes, fast Krankes, fragt man sich ernstlich, aus welchem Jahrhundert die Autorin eigentlich stammt.

    Die von Jopp durch körnige Optik und häufige Verwendung des Wortes „ficken“ angestrebte Authentizität wird nur solange aufrechterhalten, bis sie den viel zu gewollten Wendungen im Wege steht. Zum Beispiel wird Ali von einem Kaufhausdetektiv festgehalten, weil ihr Sohn im Grundschulalter angeblich geklaut hat. Im realen Leben wäre dies übrigens Freiheitsberaubung und würde mit Sicherheit erst Recht keiner adrett gekleideten Geschäftsfrau passieren, aber für den weiteren Verlauf ist es halt wichtig. Auch die Eigenschaften der Figuren variieren ziemlich beliebig und passen sich perfekt an Jopps kleine Geschichten an. Besonders eklig ist dabei, dass auch Mathildas Krankheit, deren Verlauf genau einer typischen Film-Dramaturgie entspricht, schamlos ausgebeutet wird.

    Jopp wollte einen politisch wütenden Film machen, immerhin schickt sie ihre Charaktere mit schlechten Radionachrichten aus aller Welt ins Bett oder lässt Andi bei seinem ersten Date mit Johanna nur über Hartz 4 wettern. Aber gelungen ist ihr das nicht. Nur ihre Figuren sind wütend, ihr Film selbst ist absolut anbiedernd. Er erzählt dem bürgerlichen Arthouse-Publikum, Menschen aus dem gezeigten Milieu sehen sich einen Film dieser Art ja eh nicht an, genau was sie sehen wollen. Hier können sie sich 90 Minuten lang Rotwein trinkend im klischeehaften Leid anderer Menschen suhlen und das angehängte Happy End – jede Episode bekommt noch eine nicht zum Rest des Films passende Szene – lässt sie ruhig mit dem Gefühl einschlafen, sie hätten sich doch nun genug mit den Sorgen dieser Welt beschäftigt. Das Gefühl ist aber trügerisch, denn Jopps Film ist nur ein auf depressiv getrimmtes, überintellektuelles Abbild, das eigentlich keinen interessieren sollte.

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