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    Lemmy
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Lemmy
    Von Jonas Reinartz

    „Ist Rock`n`Roll sehr wichtig für dich?“ Der verlebte alte Mann mit dem Glas Whiskey-Cola in der rechten Hand ist merklich irritiert. Da sitzt er draußen vor einem spießigen Bistro in einem gottverlassenen Ort namens Brackel (bei Lüneburg) und bekommt zusätzlich diese unnötige Frage gestellt. Er ist schließlich Ian Fraser Kilmister, besser bekannt als „Lemmy“, eine britische lebende Rock-Legende, jemand, der regelmäßig Konzerte mit der lapidaren Ansage „We are Motörhead and we play Rock`n`Roll!“ einläutet. Nach Arbeiten wie dem Blixa-Bargeld-Porträt „Dandy“ (1991) oder „Nina Hagen=Punk+

    Glory“ (1998) versucht sich der deutsche Dokumentarfilmer Peter Sempel nun in „Lemmy“ an einem Porträt von Lemmy Kilmister und begleitete ihn über einen Zeitraum von vier Jahren.

    Kilmister begann seine Karriere als Bassist in diversen kleineren Rockbands und verdiente sich als Roadie, u.a. für Jimi Hendrix, ein wenig Geld dazu. 1971 trat er der Space-Rock-Band Hawkwind bei, die bereits zu diesem Zeitpunkt für ihren ausufernden Drogenkonsum berüchtigt war. Dies hielt den Rest der Truppe jedoch nicht davon ab, ihr neues Mitglied bereits vier Jahre später aufgrund seiner Amphetamin-Sucht zu feuern. Innerhalb kürzester Zeit stellte Kilmister eine eigene Band auf die Beine, mit ihm an Bassgitarre und Mikrofon, Larry Wallis an der E-Gitarre und Lucas Fox am Schlagzeug. Als Name wurde „Motörhead“ gewählt, ein amerikanischer Slangausdruck, der je nach Auslegung „Speedfreak“ (im Bezug auf Kraftfahrzeuge) oder „Konsument von Amphetaminen“ bedeutet. Das „Ö“ wurde benutzt, um das Logo, nach eigenen Aussagen, „böser, deutscher“ aussehen zu lassen.

    Motörheads Musik stellt gewissermaßen das Bindeglied zwischen klassischem Hardrock, der noch im Blues und Rock`n`Roll verwurzelt ist, und schnellem Punkrock dar. Mit ihrem schnörkellosen, reduzierten und nicht zuletzt ohrenbetäubend lauten Sound eroberten sie schnell eine loyale Fangemeinde, besonders in Deutschland. Daran konnten auch hämische Kommentare der Fachpresse, die sie regelmäßig als untalentierteste und hässlichste Band der Welt titulierte, nichts ändern. Charterfolge blieben jedoch weitgehend aus, bis auf einige wenige in der Anfangszeit. Angesichts interner Streitigkeiten (allein Kilmister ist vom ursprünglichen Line-Up noch übrig geblieben), schlechtem Management, dem daraus resultierenden Geldverlust, pausenlosen Tourneen, um dies zu kompensieren, und nicht zuletzt exzessivem Konsum nahezu aller verfügbaren illegalen Substanzen, ist es nahezu ein Wunder, dass dieses Trio weiterhin existiert.

    Konzertsequenzen werden in der Dokumentation „Lemmy“ mit Interviews, sowohl mit dem Porträtierten, als auch mit Kollegen, Freunden und Weggefährten vermischt. Dabei erinnert die Inszenierung, besonders während der Liveauftritte, an ein Homevideo von bescheidener Qualität. Die Kameraführung ist unruhig, einige Schnitte sind zu abrupt, die Bilder geraten gelegentlich unscharf und auch der Ton ist nur mäßig. Mit einiger Nachsicht ist dies aber zu verzeihen, da gerade diese Merkmale eine Authenzität bewirken, die dem Sujet angemessen wirkt. Die Bezeichnung „cinemaveritémotörartpunkfilm“ ist zwar etwas hochtrabend, aber dennoch akzeptabel. Eine Hochglanzästhetik wäre hier auch völlig unangemessen gewesen, auch wenn man sich gelegentlich wünscht, Sempel hätte etwas mehr Sorgfalt walten lassen.

    Selbstverständlich ist der Film für Motörhead-Fans ein netter Zeitvertreib. Ihr Idol erscheint als humorvoller und eloquenter Gesprächspartner, der trotz einiger naiven Fragestellungen des Regisseurs seine Fassung bewahrt und den Bistrobesitzer, der ihn während des Gespräches, das als erzählerische Klammer dient, laufend mit Getränken versorgt, ohne jeglichen Zynismus als Helden feiert. Von Rockstargehabe keine Spur. Der Spleen, sich wie besessen stundenlang mit allen Arten von Glückspielautomaten zu beschäftigen, erregt Heiterkeit. Neben dieser stumpfsinnigen Marotte gibt Kilmister aber noch einige interessante Ansichten über die Stadt Berlin nach der Wende, der Welt der Politik und dem Dritten Reich zum Besten. Aufgrund seiner Sammelleidenschaft, Nazi-Memorabilien betreffend, wurde ihm mehrfach vorgeworfen, mit dem Nationalsozialismus zu sympathisieren. Glaubhaft stellt er dar, dass er sich lediglich für das Thema interessiere - die Ästhetik fasziniere ihn, jedoch verurteile er die Verbrechen. Insgesamt sind seine Äußerungen von entwaffnender Ehrlichkeit, so antwortet er etwa auf die Frage, warum er ausgerechnet in Los Angeles und nicht in einer anderen Großstadt lebt, dass dort die Frauen größere Brüste besäßen, da Silikonimplantate dort nichts Seltenes seien.

    So vergnüglich das alles für Freunde des Heavy Rock sein mag, eine gewisse Redundanz ist unvermeidlich. Dass Freunde und Mitarbeiter nur in den höchsten Tonen von ihrem „Lemmy“ schwärmen, war zu erwarten und stört auch nicht weiter. Dennoch ist es bedauerlich, dass Sempel nicht den Versuch unternimmt, tiefer unter die Oberfläche des Rockstarlebens zu gelangen. Ein großer Teil seiner Fragen ist naiv bis dümmlich, was man den leicht genervten Reaktionen auch deutlich anmerkt. Nur gelegentlich gelingen eindrucksvolle Momente, die traurig stimmen. Bei Fototerminen und Tourneepausen sieht man einen müden alten Mann mit glasigem Blick, der in die Jahre gekommen ist und dem der ganze Rummel um seine Person eigentlich zuviel ist. Aber wie er selbst sagt, so sieht sein Leben eben aus. Anders kann er es sich auch gar nicht mehr vorstellen.

    Mit „Lemmy“ gelang Regisseur Peter Sempel ein unterhaltsames Porträt einer Hardrock-Legende, die jedoch außerhalb der stark eingeschränkten Zielgruppe kaum Zuschauer finden wird. Wer die ästhetischen Defizite außer Acht lässt und an der Musikrichtung Gefallen findet, wird sicher nicht enttäuscht werden. Ob eine Kinoauswertung jedoch unbedingt nötig gewesen wäre, ist eine andere Frage.

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