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    NVA
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    NVA
    Von Nicole Kühn

    Wehrdienst ist keine lustige Angelegenheit – zumindest wenn man ihn selbst ableisten muss. Außenstehenden dagegen gereichen die Sitten in der Truppe nicht selten zum vergnüglichen Amüsement. Obwohl einem das Lachen im Halse stecken bleiben kann, wenn man genauer hinsieht und dabei entdeckt, welche Demütigungen und Machtspielchen unter der Zielvorgabe der Disziplinierung und Mannwerdung vor sich gehen. Angst und bange kann einem zuweilen werden, lässt man sich die Legitimationsreden des Militärs auf der Zunge zergehen. Dies eint die Wehrdiensttruppen wohl weltweit, fragt sich also, was das Besondere an der titelgebenden „NVA“ ist.

    Um es kurz zu machen: Die Frage stellt man sich am Ende dieses neuen Werkes von Herr Lehmann-Regisseur Leander Haußmann immer noch. Die jungen Männer, die eingezogen werden, sind weder überzeugt noch begeistert von der ganzen Sache, die größten Sorgen bereiten ihnen die nicht vorhandenen Frauen und untereinander wird schnell die Hackordnung festgelegt. Der zarte Romantiker Henrik (Kim Franke, der mit der Single „Du trägst keine Liebe in Dir“ der Gruppe „Echt“ bereits seine Feinsinnigkeit zeigte) trifft auf den robusten Querdenker Krüger (Oliver Bröcker). Das äußerlich ungleiche Paar findet über die Unangepasstheit den Weg zu einer tiefen Freundschaft, die sich (die Unangepasstheit) bei Henrik im Rückzug auf Ironie und Schöngeist versteckt, bei Krüger durch vorlaute und zähe Schlagfertigkeit hervorbricht. Zu ihrer Gruppe gehören der Allergiker Traubewein (Robert Gwisdek) und der streberhafte Stadlmair (Philippe Graber). Während Henrik den Tag der Vereidigung und damit das Wiedersehen mit seiner Eva herbeisehnt, hat Krüger sich gleich von seiner Herzdame verabschiedet und sucht nun per Inserat eine „Beziehung für immer oder die nächste Zeit“. Unter der penibel strengen Aufsicht von Oberst Kalt (Detlev Buck) und dem ewig mosernden Knilch Futterknecht (Ignaz Kirchner) robben sich die jungen Männer durch Schlamm und Gräben, bis sie schließlich in die „Bude“ kommen, wo die Entlassungskandidaten ihre verbleibenden Tage bereits zählen und Belustigung suchen. Das tun sie vornehmlich auf Kosten der Neuen. Bei einem Waldmanöver lernt Henrik unversehens die hübsche Marie kennen. Eine neue Liebe blitzt auf! Krüger dagegen verpatzt seinen Einsatz und muss Strafrunden laufen, worauf er sich als Simulant grinsend ins Krankenhaus einliefern lässt. Als sein Schwindel auffliegt, hat das Folgen: Er muss in die Strafeinheit Schwedt, wo noch aus jedem Faulpelz ein richtiger Soldat gemacht wurde. Unterdessen macht Henrik die Schwachstellen des Systems ausfindig und wartet auf den Augenblick der süßen Rache.

    Leander Haußmann (Sonnenallee) kann sich bei seinem neuesten Werk nicht so recht entscheiden, wo sein Finger hin zeigen soll. Auf der einen Seite gibt er die NVA mit der sie natürlicher Weise durchdringenden Ideologie des Kommunismus gnadenlos der Lächerlichkeit preis. Die Inbrunst, mit der aus westlicher Sicht absurde Weltmodelle gepredigt werden und alles, was nicht passend ist eben passend gemacht wird, mag amüsant sein. Die Chancen auf geistreichen Witz verspielt Haußmann ein ums andere Mal. Wirklichen Witz produziert er nur an wenigen Stellen wie bei der frechen und unübersehbaren Anspielung auf Full Metal Jacket. Umso befremdlicher wirkt es, wenn in diese Jugendkomödie plötzlich der Ernst des unerbittlichen und unsichtbaren Drills hereinlugt und der Rebell Krüger nach einem unfreiwilligen Aufenthalt in einer Strafeinheit funktioniert wie eine Maschine. Passender Weise löst sich dieses Trauma denn auch flugs bei einer wortlosen Umarmung seines Flirts, den er kurz vor seiner Züchtigung noch kennen lernte. So einfach geht das!

    Die Personenkonstellation hält keine Überraschungen bereit, auf beiden Seiten sind die üblichen Verdächtigen zur Stelle: bei den Rekruten der Romantiker und der Quertreiber, der Streber und der Schwächling, die sarkastisch-sadistischen Alteingesessenen, die denn doch gegen die Obrigkeit unversehens ihr Herz wieder finden und mit den jungen Wilden gemeinsame Sache machen; beim Militärapparat der kaltschnäuzige Oberst, der hysterisch größenwahnsinnige Beamte, der fiese Unteroffizier und der vor Machtgier blinde Hauptmann. Dass die neue Liebe Henriks, die wortgewandte und gutherzige Marie zufällig die unbedarfte Tochter des gefühlskalten Oberst ist, wundert kaum. Mehr schon, dass aus dieser Situation sich weder nennenswerte Konflikte noch Komik ergeben.

    Was den Film rettet, sind eindeutig die ambitionierten Darsteller. Detlev Buck hat seinem Repertoire als verknuster Paragraphenreiter zwar nicht viel hinzuzufügen, Spaß macht es trotzdem, ihn verbissen die Lippen zusammenpressen zu sehen. Der große Sympathieträger ist Oliver Bröcker, der die Wandlungen, die ihm das Drehbuch verpasst, zu tragen vermag. „Ausdruckslos gucken“ ist eine seiner schwersten Übungen, aber auch die meistert der bereits zwei Mal für den Deutschen Fernsehpreis nominierte Nachwuchsdarsteller. Etwas an den Feinheiten üben darf Kim Frank, der in seiner ersten Hauptrolle manchmal etwas zu verdutzt die Augen ungläubig weitet. Umso mehr seine Figur sich selbst findet, umso glaubwürdiger agiert auch Frank.

    Mit Frank Griebe konnte Leander Haussmann, der auch die Romanvorlage schrieb, einen der vielversprechendsten jungen Kameramänner aus Deutschland verpflichten. Mit mehreren Preisen dekoriert, u. a. den Bundesfilmpreis für die Beste Kamera für „Winterschläfer“ und Lola rennt, fand Griebe auch für diese Geschichte einige schöne Bilder, die für sich sprechen. Viel aussagekräftiger als lange Monologe der Oberen über die Unerlässlichkeit gegen den imperialistischen Feind ist es, wenn ein Rekrut auf einem großen leeren Platz Herbstlaub von links nach rechts zusammenfegen muss – während der Wind kräftig von links nach rechts weht. Amüsant sind auch die Diskussionen zur farblichen Gestaltung einer Mauer. Das Ergebnis hätte der Kommentare durch den Oberst kaum bedurft, um dem Zuschauer zu erklären, wo hier die Ironie liegt. Drehbuchautor Thomas Brussig kann es besser, Co-Autor und Regisseur Leander Haußmann erst recht. Bei Sonnenallee kam die Zusammenarbeit zu einem weitaus besseren Ergebnis, so dass die Hoffnung bleibt, bei kommenden Werken der beiden, ob einzeln oder zusammen, wieder etwas mehr Hintersinn serviert zu bekommen.

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