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    Pietje Bell und das Geheimnis der schwarzen Hand
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Pietje Bell und das Geheimnis der schwarzen Hand
    Von Martin Thoma

    „Pietje Bell und das Geheimnis der Schwarzen Hand“ ist ein Kinderfilm - kein Weihnachtsfilm von Walt Disney. Dennoch gehört er in den Niederlanden zu den erfolgreichsten Filmen des Jahres. In einer Szene beschmeißen seine kindlichen Helden ihren wahrlich verabscheuenswerten Lehrer mit Pferdeäpfeln. Es ist ganz ohne Zweifel, die Szene, die bei den Kindern im Kinosaal die größte Heiterkeit auslöst. Wir stellen fest: Die erste Regel für Erfolgskomödien, die da besagt, dass die, nun ja, eher einfachen Witze noch immer am besten funktionieren, gilt im Kinderfilm genauso wie im Film für Erwachsene.

    Die niederländische Regisseurin und Drehbuchautorin Maria Peters ist eine Erfolgsfrau auf dem Gebiet des Kinderfilms. Ihr Debüt „Der Taschendieb“ erhielt 1995 von der Kinderjury der Berlinale den Gläsernen Bären für den besten Kinderfilm. Ihr Film „Krümelchen“ von 1999 wurde mit 1,3 Millionen Zuschauern der meistbesuchte niederländische Spielfilm des Jahres. „Pietje Bell und das Geheimnis der Schwarzen Hand“ hat bislang knappe eine Million Niederländer ins Kino gelockt. Ganz alleine am Film liegt das allerdings nicht, hier greift auch die erste Regel für erfolgreiche Kinderfilme: Verfilme einen Kinderbuchklassiker, den die Eltern, als sie selbst noch Kinder waren, geliebt haben, und sie werden (vielleicht) von Nostalgie beseelt, ihre Kleinen unter Androhung von Stubenarrest ins Kino schleppen. „Krümelchen“ und „Pietje Bell“ sind solche Verfilmungen, beide nach Kinderbüchern des in den Niederlanden sehr bekannten Autors Chris van Abkoude. „Pietje Bell“ ist also ein kalkulierter Erfolg, nicht ganz so überraschend, wie man zunächst annehmen könnte. Kein Grund, ihn deshalb zu verreißen. Man muss vielmehr anerkennen, dass Maria Peters vieles sehr richtig macht - allerdings auch einiges falsch.

    Die Geschichte spielt im Rotterdam der 30er Jahre. Pietje (Quinten Schram) ist ein Streiche spielender achtjähriger Junge, der sich von Autoritäten nicht im Mindesten einschüchtern lässt, sie im Gegenteil zu seinen bevorzugten Opfern zählt. Zuweilen richtet er recht erheblichen Sachschaden an, aber im Gegensatz zu so manchem spießigen Erwachsenen hat er ein reines und gutes Herz. Pietje wird zum Volkshelden, weil ein junger Chefredakteur auf die Idee verfällt, die wegen der Wirtschaftskrise verarmende Bevölkerung nicht mehr mit deprimierenden Nachrichten aus Politik und Finanzwelt zu behelligen, sondern stattdessen mit den neuesten Heldentaten des kleinen frechen Pietje zu unterhalten. (Die Risiken und Nebenwirkungen solcherart von Journalismus, der uns heute nur zu bekannt vorkommt, lassen nicht lange auf sich warten.) Maria Peters hat fünf der insgesamt acht „Pietje Bell“-Bücher in ihren einen Spielfilm einfließen lassen. Das heißt, dass sich die Story nach einigen relativ unzusammenhängenden komischen Nummern nicht ohne Längen und Stolperer zu einem Haupthandlungsstrang hinbewegt, in dem Pietje mit seiner Bande, der Schwarzen Hand, ein Lager mit Diebesgut findet, die Schätze an die Armen verschenkt und natürlich sehr bald in einige Schwierigkeiten mit den Dieben gerät.

    Dass es an den Nahtstellen des Drehbuchs immer wieder knirscht und so auch ein paar Längen entstehen, ist der eine Hauptkritikpunkt an diesem Film. Das andere Problem hat seine Ursache ebenfalls in dem gewaltsamen Unterfangen, fünf Bücher zu einem Spielfilm zu machen: Es gibt zu viele zu flache Figuren. Damit ist ausdrücklich nicht der Kretin von Lehrer gemeint, den Stijn Westenend weit jenseits von Gut und Böse, aber mit vollem Einsatz chargierend spielt. Diese strohdoofe, tölpelhafte, bösartige, sadistische und in der übertragenen wie in der wörtlichen Bedeutung schleimige Kreatur sieht genau so aus, wie wohl sehr viele Schüler und gewesene Schüler ihre liebsten Lieblingslehrer schon immer mal im Kino dargestellt sehen wollten. Ein klein wenig übertrieben vielleicht, aber in einem höheren Sinn wahr. Ganz anders und auch noch recht gelungen ist die Figur von Pietjes Freund Sproet (Frensch de Groot), der aus einer in Armut lebenden Familie kommt, von seinem Vater geschlagen wird und Pietje zunächst nur über die Zeitung als seinen persönlichen Helden kennen lernt. Die Freundschaft gerät auseinander, weil Sproet in eine Situation gerät, in der er seine Familie nur schützen kann, indem er an Pietje Verrat übt. Hier ist Maria Peters einmal offensichtlich daran interessiert, eine etwas komplexere Geschichte zu vermitteln, was dem Film gut bekommt, allerdings von seinem missratenen Ende fast kaputt gemacht wird. Sproets Vater gehört leider zu den zu vielen eindimensionalen Figuren und muss durchgängig den selben finsteren Gesichtsausdruck vor sich her tragen. Immerhin dürfte er auf kleinere Kinder ziemlich furchteinflößend wirken. Pietjes stets gut gelaunter Vater dagegen, der an allen Streichen seines Sohnes kaum verhohlene Freude zeigt, ist als Charakter eben nicht nur flach, sondern auch langweilig. Er ist nicht der einzige, auf den das zutrifft. Selbst der Chefredakteur, der Pietje zu seinem Titelhelden macht, bleibt blass, obwohl er zwischen den vielen holzschnittartigen Figuren als jemand, der weder zu den Guten noch zu den Bösen gehört, eigentlich besonders interessant hätte werden müssen. Die Kinder, mit denen Pietje die Schwarze Hand gründet, bekommen erst in der zweiten Hälfte des Films (nach Sproets Verrat) Raum, um etwas in den Vordergrund zu treten, ohne dass sie sich als Figuren noch entfalten könnten.

    Solche Schwächen scheren die Filmemacher wahrscheinlich genauso wenig, wie ihren Helden eine erboste Gardinenpredigt. Die meiste Zeit ist der Film ja auch unterhaltsam und charmant. Es ist der Charme des typischen Kinderhumors, des absolut wörtlich Nehmens von Befehlen Erwachsener wie: „Du gehst jetzt direkt nach Hause, ohne auch nur einmal nach links oder rechts zu gucken!“, und einer unverhohlen Freude an allem, was Chaos verursacht; und es ist der Charme gewisser zeitloser Abenteuerspiele mit Geheimverstecken und Sachensuchen. Pietje ist nicht der Held, zu dem ihn der Chefredakteur geschrieben hat, er ist auch kein übernatürliches Wesen wie Pippi Langstrumpf oder das Sams, trotzdem lässt er sich nichts sagen und tut Dinge, die sich Kinder normalerweise nicht trauen (und ihre Eltern erst recht nicht). Wahrscheinlich würde ein Pietje Bell, wenn es ihn denn wirklich gäbe, heute endlose Elternabende, Besuche beim Kinderpsychologen, Diskussionen über das Zappelphillipsyndrom, ein paar eingestellte Strafverfahren, zig unangenehme Zivilklagen, eine Stellungnahme von Günther Jauch und zwei neue Super-Nanny-Sendungen verursachen. Schön, ihn so unbehelligt durch diesen Film laufen zu sehen. In einem Weihnachtsfilm von Walt Disney ginge das nicht.

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