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    Die zweigeteilte Frau
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die zweigeteilte Frau
    Von Andreas Staben

    Am Anfang steht eine falsche Fährte: Die hypnotische Autofahrt durch eine rötlich eingefärbte Landschaft zu leidenschaftlichen Klängen von Puccini erweist sich schnell als genüssliche Spielerei eines alten Kino-Fuchses. Claude Chabrol verweist uns auf die Künstlichkeit des Mediums, dessen Tricks er seit gut 50 Jahren aus dem Effeff beherrscht, ehe er ein weiteres Mal kühl Schein und Sein im großbürgerlichen Milieu der französischen Gesellschaft ins Visier nimmt. Mit erstaunlicher Konstanz dreht der Bonvivant des europäischen Kinos wenig schmeichelhafte Porträts seiner eigenen sozialen Schicht. Mit einer vorzüglichen Auswahl versierter Darsteller gelingt es Chabrol („Süßes Gift“, „Biester“), seinem Lieblingsthema auch in seinem neuen Thriller neue Facetten und Schattierungen zu verleihen. Er greift einen bereits 1955 von Richard Fleischer als „Das Mädchen auf der Samtschaukel“ verfilmten Kriminalfall auf und überträgt die Handlung in seine Welt. Mit seinem durchaus wörtlich zu nehmenden Titel ist „Die zweigeteilte Frau“ ein gewohnt pessimistisches Abbild menschlicher Schwächen gespickt mit ironischen Details und gesellschaftskritischen Untertönen.

    Bestsellerautor und Frauenheld Charles Saint-Denis (François Berléand) verlässt seine ländliche Luxusvilla, um in Lyon Werbung für sein neues Buch zu machen. Bei einer Signierstunde trifft er die Wetterfee des lokalen Fernsehsenders, die junge Gabrielle Deneige (Ludivine Sagnier), wieder. Routiniert nimmt er ihre Verführung in Angriff. Bald wird sie seine Geliebte und erfüllt ohne Scheu seine sexuellen Wünsche, als heimlicher Treffpunkt dient die Stadtwohnung des verheirateten Schriftstellers. Auch der reiche, unstete Erbe Paul Gaudens (Benoît Magimel), den ein dunkles Geheimnis quält, buhlt unterdessen um die Gunst der schönen Gabrielle. Sie geht auch mit ihm aus, kommt aber nicht von Charles los. Dieser denkt allerdings nicht daran, seine Frau zu verlassen. Nachdem er Gabrielle in einen exklusiven Privatclub eingeführt hat, verschwindet der Autor geraume Zeit nach London. Paul kümmert sich um die am Boden zerstörte Gabrielle und macht ihr einen Heiratsantrag. Doch Charles kehrt zurück und es kommt zu einer Katastrophe.

    In seinem vorangegangenen Film Geheime Staatsaffären hat Claude Chabrol kaum verhüllt vom größten Wirtschaftsskandal in Frankreichs Geschichte, dem Fall Elf-Aquitaine, erzählt. Seine Darstellung eines verschworenen Zirkels von macht- und genusssüchtigen Firmenbossen und Politikern, der für das Land wichtige Entscheidungen unter sich ausklüngelt, legte den bitteren Befund einer von Korruption, Opportunismus und Entmenschlichung hoffnungslos zerfressenen Gesellschaft nahe. Mit „Die zweigeteilte Frau“ kehrt Chabrol von dieser politischen Makro-Perspektive wieder zur fast inzestuösen Milieustudie des (Groß)Bürgertums zurück, die seit den späten 60er Jahren und Filmen wie „Zwei Freundinnen“ und „Die untreue Frau“ als seine ureigene Spezialität gilt. Aber die Malaise erfasst diesmal nicht nur die Angehörigen des Gaudens-Clans, der sich unter der unbarmherzigen Fuchtel der Witwe, deren Kälte in Caroline Silhols (La Vie En Rose) Darstellung die Temperatur im Kinosaal zu senken scheint, ein eigenes System von Regeln und Täuschungen gegeben hat. Lokalpolitik und Medien kommen nicht besser weg: Gabrielles lüsterne Vorgesetzte hoffen ganz offensichtlich auf eindeutige Gefälligkeiten, wenn sie ihre Karriere fördern, und der Small Talk beim Empfang des Bürgermeisters zeigt den satirischen Beobachter Chabrol in Hochform. Auch die Montage und Eduardo Serras (Blood Diamond, „Die Flügel der Taube“) Kameraarbeit tragen mit kleinen rhythmischen und perspektivischen Verschiebungen immer wieder fast unmerklich zur Studie der Abweichungen und Doppelbödigkeiten bei.

    Chabrol macht sich Charles' Interviewaussage zu eigen, nach der die französische Gesellschaft am Scheideweg zwischen Prüderie und Dekadenz steht. Das hedonistische Doppelleben des Schriftstellers mit seinen perversen Obsessionen steht für die Entwicklung zur Hemmungslosigkeit. Dass Chabrol diese nicht explizit ins Bild setzt, wirkt dagegen wie ein Ausdruck der angesprochenen Tendenz des verschämten Puritanismus. Die Schwarzblende, mit der er uns den Blick hinter die Kulissen des Privatclubs verweigert, wo die Reichen und Mächtigen ihre Orgien feiern, ist einerseits ein Spiel mit den voyeuristischen Fantasien der Zuschauer. Zum andern ist hier ein Hauch von Selbstzensur zu erahnen. François Berléands (Zwei ungleiche Schwestern, The Transporter) Interpretation verstärkt diese Mischung von Ablehnung und Faszination noch, sein geistreicher und charmanter Charles weiß trotz aller charakterlichen Verkommenheit für sich einzunehmen.

    Als Gegenpol zum selbstsicheren Genussmenschen Charles ist Paul ein verstörter Neurotiker, dessen schneidiges Auftreten tiefe psychische Verwerfungen kaschiert. Mit blonden Strähnchen und Luxus-Cabrio verkörpert Benoît Magimel (Sky Fighters, Die Klavierspielerin), der wie Berléand schon vorher mit Chabrol gearbeitet hatte, vergnügt die „Hoppla, jetzt komm ich“-Mentalität des vage gelangweilten Müßiggängers, dessen Männlichkeit der sardonische Regisseur nebenbei immer wieder in Frage stellt. Die Maßlosigkeit Pauls weiterer Handlungen und ihre Rückführung auf ein traumatisches Kindheitserlebnis aus dem Musterbuch des Professors Freud werden dann nurmehr routiniert zum Besten gegeben.

    Chabrol ist nicht an in der individuellen Psychologie seiner Charakter interessiert, sondern illustriert mit seinen Figuren seine Sicht auf bestimmte gesellschaftliche Sphären. Gabrielle bleibt zwischen den beiden schillernden Männern nur ein Spielball. Schon ihr Name Deneige ist mit seinem Verweis auf den Schnee natürlich auf absurde Weise passend für eine Wetteransagerin. Die Assoziation mit der Farbe Weiß, mit Unschuld und Naivität wird bei Chabrol darüber hinaus zum Programm. Aus dem vermeintlichen Paradies – das ist der Name auf dem Klingelschild von Charles' Liebesnest – führen die Obsessionen der Männer sie in Höllenqualen. Ludivine Sagnier ist eine reizvolle Besetzung für eine solche Projektion: ein geeignetes Instrument in der Illusionsmaschine des Magiers und des Regisseurs.

    „Die zweigeteilte Frau“ wirkt in Chabrols Filmographie wie ein Zwischenspiel mit leichter Hand. Auf gewohntem Terrain, aber mit nicht nachlassender Lust an seinem Beruf bleibt sich der Altmeister treu und vielen jüngeren Kollegen ein Vorbild. Es bleibt zu hoffen, dass auch die neuen Werke der nicht weniger umtriebigen alten Weggefährten Chabrols aus „Nouvelle Vague“- Zeiten, Jacques Rivette (Die schöne Querulantin) und Eric Rohmer („Pauline am Strand“), noch den Weg in unsere Kinos finden.

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