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    Cattolica
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Cattolica
    Von Nicole Kühn

    Eine trendige Bar, intensive Blicke zwischen Barkeeper und Gast, ein wenig Geplänkel, und dann eine gemeinsame Nacht. Stefan (Lucas Grogorowicz) nimmt das Leben, wie es kommt, macht sich nicht allzu viele Gedanken, und tut was er will, auch gegen Konventionen. Seine nächtliche Begegnung mit dem stillen Martin (Merab Ninidze) beginnt für ihn in Rudolph Julas Drama „Cattolica“ als amouröses Abenteuer und führt ihn schließlich auf völlig unbekannte Wege…

    Das Erwachen kommt unerwartet und heftig: Martin zieht ein Kuvert aus der Tasche, dessen Inhalt Stefans Leben auf den Kopf stellen wird. Martin Mutter hat kurz vor ihrem Tod einen Brief an Stefan geschrieben – denn er war ebenfalls ihr Sohn. Da sie dieses zweite Kind nach der Geburt zu Adoption freigegeben hatte, wussten die Brüder bisher nichts voneinander und lebten vollkommen getrennte Leben. Die unvermutete Beichte der großen Lebenslüge ihrer Mutter macht die beiden nun zu einem unfreiwilligen Gespann, das sich auf die Suche nach dem Vater macht. Die Spuren führen nach Italien, in den Ferienort Cattolica. Schon die Reise dorthin ist konfliktgeladen. Während Stefan die Sache hauptsächlich als abwechslungsreiches Abenteuer nimmt, zieht Martin sich in nachdenkliches Schweigen zurück. Obwohl das gleiche Blut in ihren Adern fließt, scheint den beiden Brüdern nichts gemein zu sein.

    In Cattolica kehren bei Martin Erinnerungen zurück, die sich außer auf wenige Urlaubsfotos, zwei Briefe und eine versteinerte Muschel auf nichts stützen können. Zu wenig, um die heimliche Liebe der Mutter ausfindig zu machen. Für den sachlichen Martin steht nach zwei Tagen fest, dass der Mann, der ihrer beider Väter ist, ein Geheimnis bleiben wird. Auch wenn fest steht, dass ihre Mutter ihn in diesem Sommer des Urlaubs in Cattolica getroffen haben muss, will er die Suche nach einem Stück seiner eigenen Lebensgeschichte abbrechen. Für Stefan indes ist die Reise inzwischen zu einer Suche nach seiner Identität jenseits seines bisherigen unbeschwerten, aber auch unsteten Lebens geworden. Keiner der Brüder kann die Gefühle und Beweggründe des anderen verstehen, so dass sie, hilflos gestrandet am Bahnhof von Cattolica, in Streit geraten. Da macht Stefan eine Entdeckung, und beide machen sich auf, ihre Vergangenheit zu suchen, von der sie nur wissen, dass sie ihnen gemeinsam ist.

    Der Weg, den das ungleiche Geschwisterpaar zu nehmen hat, wird gleichermaßen durch innere und äußere Gegebenheiten bestimmt. Während sie sich durch vage Hinweise wie Detektive einen Weg durch die verschüttete Lebensgeschichte ihrer Mutter bahnen, entdecken sie auch ihre eigenen Persönlichkeiten neu. Nach und nach stellen sie sich immer weniger blind gegenüber den Charaktermerkmalen, die sie am jeweils anderen so sehr befremdlich finden und die sie an sich selbst nicht zulassen, nicht sehen wollen. Ohne dies je explizit zu artikulieren, merken beide Männer, wie sehr sie Produkt ihrer Umwelt und Erziehung sind. In der von fast allen Ablenkungen freien Umgebung finden auch sie zurück zu ihren Ursprüngen.

    Regisseur und Autor Rudolph Jula bemüht für diese Geschichte einer holprigen und späten Familienzusammenführung weder tränenschwere Dramatik noch eruptive Emotionalität. Er begleitet unauffällig zwei Menschen bei einer wichtigen persönlichen Entwicklung. Nicht mehr und nicht weniger. Folgerichtig übt sich auch die Kamera in Zurückhaltung und übernimmt die Perspektive eines nahen, aber nie aufdringlichen Betrachters. Ruhig ruht sie auf dem Geschehen, ohne dabei Langeweile oder Eintönigkeit aufkommen zu lassen. Der Rhythmus, in dem die Bilder geschnitten sind, ergänzt sich mit dem Inhalt zu einer harmonischen Gestalt. Die trotz aller Konflikte angenehm leichte Grundstimmung wird durch das milde Licht und die wild-romantische Landschaft Italiens intensiviert. Die Entscheidung der deutschen Produktion, den wesentlichen Teil in südlichere Gefilde zu verlegen, stellt dem Brüderpaar regelrecht einen Mentor zur Seite, der wie ein Akteur die Handlung an entscheidenden Punkten weiter treibt. Die Musik von Armin Pommeranz setzt subtile Stimmungspunkte, ohne sich in den Vordergrund zu spielen. In der gleichen Weise agieren auch die Darsteller. Ohne jede Affektiertheit lassen sie den Zuschauer teilnehmen an ihrer Reise, die im Äußeren den inneren Weg abbildet. Das Ganze kommt so unaufgeregt daher, dass man sich fragt, was einen so mit hineinzieht in diesen Film. Es ist gerade die Stimmigkeit der einzelnen Elemente, die jede (Ver-)Störung verhindert und deshalb so schön anzusehen ist.

    Manches wird in der erholsamen Urlaubsstimmung, die „Cattolica“ verströmt, zu leicht in Wohlgefallen aufgelöst. Das Einverständnis mit dem Verhalten der Mutter, das ja gravierenden Einfluss vor allem auf Stefans Leben hatte, wird von beiden Brüdern kaum hinterfragt gegeben. Aggression kommt kaum vor bei ihnen, weder gegen die Menschen, denen sie begegnen, noch gegenüber ihrem Schicksal oder untereinander. Konflikte in diesem Kosmos nehmen keine brachiale Gestalt an, sie sind gedämpft von einer tief sitzenden Melancholie. So verkörpern die Figuren ein Ideal, das nicht kämpft um etwas, das ohnehin verloren ist und hinter dem Verhalten eines jeden Menschen grundsätzlich einen akzeptablen Beweggrund sieht. Wenn die beiden Brüder im siedend heißen italienischen Hinterland einmal nicht wissen wohin, beginnen sie einfach damit, einen Fuß vor den anderen zu setzen, immer in der Gewissheit, dass dort anzukommen, wo sie das Schicksal hinführt, schon richtig sein wird. Auch wenn dieses Ideal in seiner Reinform nicht ganz realistisch ist, wünscht man sich und anderen öfter ein wenig von dieser Gelassenheit. Dass es Menschen gibt, die dieses Ideal hochhalten und in harmonische Bilder packen, ist irgendwie beruhigend.

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