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    Das Goebbels-Experiment
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Das Goebbels-Experiment
    Von Stefan Ludwig

    Wenn bestimmte Produkte oder Formate Erfolg haben, werden sie in der heutigen Zeit meist schnell in stark unterschiedlicher Qualität kopiert und übersättigen den Markt damit. Für viele erscheint das als ein Unding, findet er so doch etwa beim Durchschalten des TV-Programms entweder unzählige Gerichtsshows, oder wahlweise gestellte Beratungssendungen bzw. Pseudo-Dokumentationen. Die Faszination einer Neuerung verebbt so in kürzester Zeit. Bei Produktionen über die Zeit des Nationalsozialismus scheint sich mittlerweile allerdings ein Dauertrend abzuzeichnen. Doch natürlich erscheint das unter dem Aspekt, dass sich nun mal jede Generation aufs Neue mit dem Thema auseinandersetzen sollte als sinnvoll. Zudem ist diese Zeit sicherlich eine der interessantesten der Geschichte.

    Die Dokumentation „Das Goebbels-Experiment“ von Lutz Hachmeister geht ihren ganz eigenen Weg. Es werden hauptsächlich Originalbild- und Tonaufnahmen gezeigt, die mit Vorträgen aus dem Tagebuch von Joseph Goebbels unterlegt werden. Dieser hat von 1924 bis 1945 ununterbrochen Tagebuch geführt und dementsprechend geben diese komplett erhaltenen Aufzeichnungen Aufschluss über seinen Charakter und seine Denkensweise. Udo Samuel liest diese Sicht von einem der wichtigsten Regierungsmitglieder der Nazi-Herrschaft vor. Sehr passend und gut ausgewählt erscheinen die dabei gezeigten Bilder, die zwischendurch mit Farbaufnahmen aus der heutigen Zeit kontrastiert werden. So werden etwa von Venedig zunächst Bilder aus der Gegenwart gezeigt, bevor die Erzählung wieder in die Vergangenheit reist.

    Goebbels war in seiner Funktion als Reichspropagandaminister dafür verantwortlich, die (Schand)Taten der Regierung sozusagen an das Volk zu bringen. Er beeinflusste die Massen durch seine Redekunst und das absolute Aufgehen in seinen Aufgaben. „Das Goebbels-Experiment“ zeigt, wie zerbrechlich er dabei eigentlich war. Wenn er nicht vollständigen Anklang in Publikum und Parteigenossen fand, war er schnell am Boden zerstört – sein Selbstbewusstsein schien sich in großem Maße am Erfolg zu orientieren. Seine Methoden, die sich nicht selten auf eine simple Abschaffungsmentalität begründeten, spiegeln sich hier ungeschminkt in seinen Formulierungen wider. Alles, was ihm nicht passte, musste weg. Diese Gedanken werden präsentiert, aber fast gar nicht - und wenn dann bloß durch Bilder - kommentiert, wenn nach dem berühmten Ausruf des „Totalen Kriegs“ im Sportpalast die Kanonen feuern. Oder wenn später dann die fatalen Auswirkungen des Kriegs in Berlin gezeigt werden, das Goebbels immer noch halten und verteidigen will. Er erklärt ganz unverblümt, die Berliner seinen schlau – sie wüssten, wenn sie ein Stadtgebiet aufgeben müssten.

    Diese sehr eingeschränkte und indirekte Kommentierung findet ihren Haken in der Verständlichkeit. So mögen die moralischen Gesichtspunkte offensichtlich oder hinlänglich bekannt sein – die geschichtlichen Geschehnisse sind es sicher nicht bei jedem in der Breite, wie der Film sie manchmal erfordert. So sollte der Zuschauer ein ziemlich genaues Wissen über die Zeit und wichtigen Personen mitbringen, um mit dem Film wirklich etwas anfangen zu können. Als Einstieg oder Lehrfilm über die Zeit taugt er nur bedingt, eher zur Vertiefung des eigenen Wissens. Wer allerdings darüber verfügt, dem wird ein informatives, interessantes Experiment geboten, das dem Zuschauer Goebbels als Mensch begreiflicher machen kann.

    Die Idee, die geschichtliche Figuren menschlich und persönlich darzustellen, mit all ihren Stärken und Fehlern, ist nicht neu. Sie sollte dazu führen, die eigenen Vorstellungen der Personen anschaulicher zu machen. Sicher waren Hitler und Goebbels in ihren Aufgaben Genies bzw. Wahnsinnige, doch die aufgezeigte Abhängigkeit Goebbels von seinem Anklang lässt erkennen, dass es sich hier keineswegs um einen Übermenschen handelte. Er war einer der Männer an der Spitze einer Bewegung, aber seine Äußerungen machen deutlich, dass er dabei klare Schwächen hatte. Wie er über seine Frauen schreibt, klingt teilweise belustigend und er erklärt, dass eine geliebte Ehefrau an zweiter Stelle – nach der Parteiarbeit – steht.

    „Das Goebbels-Experiment“ ist damit für den geschichtlich Bewanderten und Interessierten eine aufschlussreiche und auch unterhaltsame Dokumentation. Sie erfordert über ihre Länge von fast zwei Stunden viel Konzentration, was nicht immer leicht ist, aber langweilig wird es nie. Ein schwieriger Punkt ist die Darstellung der Filmleidenschaft von Goebbels. Hier wird klar, dass er sich dafür interessiert, aber seine Kommentare sind wenig aufschlussreich, wenn dem Zuschauer die Filme unbekannt sind. Und wobei das Geschichtswissen bei vielen vorhanden sein dürfte, so ist ein detailliertes Filmwissen über damalige Produktionen kaum zu erwarten. Hierbei handelt es sich aber bloß um eine kleine Episode, somit ist dieses Manko problemlos zu verzeihen. Die zahlreichen Originalaufnahmen unterlegt mit den Tagebucheinträgen führen zu einer Atmosphäre, die in ihren Bann zu ziehen weiß. Und dass die erschütterten Kommentare von Zeitzeugen hier wegfallen, stört auch nicht.

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