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    Drei Stern Rot (WA)
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Drei Stern Rot (WA)
    Von Sascha Westphal

    Fast genau zwanzig Jahre ist es nun her, dass die Grenzübergänge zwischen den beiden deutschen Staaten geöffnet wurden und die Mauer fiel. Seither ist – wie es damals 1989/90 hieß – zusammengewachsen, was zusammengehört. Aber die Spuren der Teilung sind noch längst nicht verschwunden, die Wunden nicht gänzlich verheilt. Unter der Oberfläche schwelen noch zahlreiche nicht bewältigte Fragen und Konflikte, die gelegentlich auch wieder offen hervorbrechen wie zuletzt anlässlich einer Rede des Bundespräsidenten. Insofern ist mit dem näher rückenden Jubiläum genau der richtige Zeitpunkt für eine Wiederaufführung von Olaf Kaisers 2001 entstandenem Drama „Drei Stern Rot“ gekommen. Schließlich hat er mit seinem Porträt eines an seinen Erinnerungen zerbrechenden Grenzsoldaten einen faszinierenden, erschreckend komischen Beitrag zur Diskussion um die Geschichte der DDR beigesteuert, der auch heute, acht Jahre später, wirklich nichts von seiner Aktualität und seiner Relevanz verloren hat.

    Im Winter 2000/2001 sind die ehemaligen deutsch-deutschen Grenzanlagen nur noch museale Monumente einer verdrängten Vergangenheit. Hier, an den Originalschauplätzen, dreht der Filmemacher Schrubber eine ins Heroische überhöhte Version seiner einstigen Flucht in den Westen. Seinen Kindheits- und Jugendfreund Christian Blank (Rainer Frank) hat er als Statisten für die Rolle eines Grenzers engagiert. Schließlich war Christian zu der Zeit, als er floh, selbst als Soldat an der Grenze stationiert. Der Film katapultiert Christian in die Vergangenheit zurück und provoziert einen Zusammenbruch. In einer Drehpause fällt der Statist über einen anderen Schauspieler her, in dem er einen sadistischen Offizier von damals zu erkennen glaubt. Als er Stunden später in einem Krankenhaus wieder zu sich kommt, ist er überzeugt, den Mann, den er Nattenklinger (Dietmar Mössmer, „Mein“) nennt, getötet zu haben…

    Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, immer und überall, eben auch in der DDR der 80er Jahre. Und von Vernunft konnte an der deutsch-deutschen Grenze mit ihren elektrisch gesicherten Zäunen, der Berliner Mauer und den patrouillierenden Grenzern mit Schießbefehl wohl kaum die Rede sein. Der Wahnsinn dieses Systems, das Tag für Tag Tausenden von jungen, wehrpflichtigen DDR-Bürgern eine ungeheuere Verantwortung aufbürdete und sie zugleich mit einer zermürbenden Monotonie konfrontierte, musste wiederum in den Betroffenen Wahnsinn säen. Und eben diese Saat geht zu Beginn dieser bitteren, tragikomischen Groteske in dem um seine Hoffnungen und sein Glück betrogenen Christian Blank auf. In einem langen nächtlichen Gespräch mit Dr. Pamela Wehmann (Petra Kleinert, Last Minute, „Eine Stadt wird erpresst“), der ihm zugeteilten Psychiaterin, wird sich dann das ganze Ausmaß seiner Traumata offenbaren.

    Christian Blank ist verrückt, aber nur in dem Maße, in dem es auch sein Heimatland ist, und er ist es auch wieder nicht. Natürlich fällt er einer Wahnvorstellung zum Opfer, wenn er in dem Volkspolizisten, der bei seiner Geburt zugegen war, in seinem Sportlehrer, in seinem Lehrmeister, in seinem Major und schließlich in dem Schauspieler immer wieder den gleichen Mann, Nattenklinger, sieht. Aber diese schon pathologische fixe Idee hat überaus reale Wurzeln und schafft dort eindeutige Verbindungen, wo es ansonsten nur vage Übereinstimmungen und korrespondierende Eindrücke gebe. Nattenklinger ist nicht ein Mann, sondern ein Typus, einer, der Macht besitzt und sie schamlos im Sinne seines eigenen Vorteils und seiner sadistischen Impulse ausnützt. Insofern kommt Olaf Kaisers Entscheidung, all diese Figuren, die in Christian Blanks Vorstellung zu einer werden, mit nur einem Schauspieler zu besetzen, einem beinahe genialen Schachzug gleich. An dessen Erfolg hat allerdings auch Dietmar Mössmer einen gehörigen Anteil. Seine kalten Augen und sein gestrenges Auftreten offenbaren seine Figuren als geradezu klassische Verkörperungen eines durch und durch banalen Bösen. Nattenklinger ist ein Scherge, wie es ihn in jedem System gibt. Als opportunistischer Mitläufer passt er natürlich perfekt in den Wahnsinn der DDR, aber in der Bundesrepublik ist er genauso zu Hause. Das wird auch Olaf Kaisers zerbrochenem Anti-Helden schmerzlichst bewusst, als er ihn schließlich in Gestalt eines westdeutschen Grenzschützers vor sich stehen sieht.

    Diese letzte, bittere Wendung ist es dann auch, die „Drei Stern Rot“ – der Titel bezieht sich übrigens auf die Leuchtraketen, die von Grenzern im Fall einer Flucht gezündet wurden – so ziemlich von allen anderen Post-Mauerfall-Kino und -Fernsehfilmen über die DDR unterscheidet. Olaf Kaiser und sein Drehbuchautor Holger Jancke sind von der possierlichen Ostalgie eines Leander Haussmann (Sonnenallee, NVA) genau soweit entfernt wie von den staatstragischen psychologischen Feinheiten eines Florian Henckel von Donnersmarck (Das Leben der Anderen). In ihrem Bemühen, den verrückten und verrückt machenden Erfahrungen der Grenzer möglichst nahe zu kommen, bedienen sie sich ganz bewusst disparatester Mittel. So stehen satirisch überhöhte Szenen neben erschreckend realistischen Momenten und absolut surrealen Episoden, die durchaus auch in einen Trash-Horrorfilm passen würden. Ihre Bilder führen direkt in den Kopf ihres Protagonisten, um dann die Welt aus seinen Augen zu betrachten. Damit verzichten sie auch auf alle platten Vorwürfe und Angriffe gegen den „Unrechtsstaat DDR“, die in der Regel sowieso nur zur Verschleierung von alles andere als rechtmäßigen Absichten und Motiven dienen. Natürlich hat seine Zeit als Grenzer Christian Blank deformiert und verrückt werden lassen. Aber wenn ihm Schrubber und der westdeutsche Grenzschützer am Ende auch noch seine Wahrheit nehmen und an ihre Stelle eine bewusste, ideologisch instrumentalisierte Lüge stellen, ist das nicht weniger perfide als alles, was ihm in der DDR angetan wurde.

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