Mein Konto
    Hitlerkantate
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Hitlerkantate
    Von Christoph Petersen

    Nach dem großen Erfolg von Oliver Hirschbiegels Event-Drama Der Untergang ist eine riesige Welle von „3. Reich“-Filmen über das deutsche Kinopublikum hereingeschwappt. Und auch wenn dabei solch eher schwachen Vertretern wie Edelweisspiraten viele solch gelungenen Beiträge wie Volker Schlöndorffs Der neunte Tag oder Audrius Juzenas Ghetto gegenüberstehen, dürfte der Bedarf des Zuschauers nach der Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalsozialismus zumindest auf der Leinwand mehr als gestillt sein. Also eigentlich kein guter Zeitpunkt, um nun auch noch Jutta Brückners Essay-Drama um eine führertreue Komponistin im Deutschland der 30er Jahre ins Kino zu bringen. Aber „Hitlerkantate“ ist einfach so „anders“, dass man doch noch einmal ein Auge zudrücken und dem Film eine echte Chance geben sollte.

    “Sie sind schlimmer als jeder Spitzel. Sie glauben daran.“ Der berühmte, aber systemkritische Komponist Hanns Broch (Hilmar Thate, Die Sehnsucht der Veronika Voss) soll für den 50. Geburtstag Hitlers eine Kantate komponieren. Hierzu will er sich in sein Ferienhaus in Finnland zurückziehen, bekommt aber von Gottlieb (Arnd Klawitter), seinem zuständigen Beamten, noch eine Sekretärin aufgebrummt. Gottlieb schickt Hanns seine Verlobte Ursula (Lena Lauzemis) mit: Zum einen, weil sie unbedingt Komponistin werden und deshalb von Brochs Arbeit lernen will, zum anderen, weil er Ursula für absolut führerliebend und verlässlich hält. In Finnland prallen die beiden Weltanschauungen, die unterschiedlicher eigentlich gar nicht mehr sein könnten (Ursula: “Es soll eine Kantate für eine geistige SA werden.“ Hanns: “Etwa eine SA, die beim Prügeln denkt?“), zunächst aufeinander, aber mit der Zeit kommen sich das junge Mädchen und der alte Künstler doch unerwartet nahe…

    Die Einordnung von „Hitlerkantate“ in ein starres Genre fällt äußerst schwer, bricht er doch mit nahezu allen typischen Erzähl-Konventionen. Der Film beginnt mit einer abgehobenen schwarz-weiß Montage aus einer nationalsozialistischen Parade mit aus dem Auto winkenden Hitler, euphorischer Musik und der Geschichte eines jungen Mädchens, dass Hitler ein Heft mit einer Kantate übergeben möchte – doch diese Bilder stellen sich schnell als Schnittversuch eines Propagandafilms heraus, den Gottlieb und seine SA-Kollegen gerade begutachten. Danach folgt die Einführung der Charaktere, wobei die Anordnung der einzelnen Story-Lines und die Themen um heimliche Abtreibungen, Affären, verwechselte Fotos, verschwiegene Unfruchtbarkeit und Betrug an eine Soap-Opera erinnern – was durchaus seinen ganz eigenen Reiz entwickelt. Die Szenen zwischen Broch und Ursula im finnischen Ferienhaus kommen zunächst als ernsthaftes Essay, als kammerspielartige Diskussion über Führertreue, Widerstand und die Rollen von Künstlern und Frauen daher, schlagen dann aber in eine lüstern-kitschige Liebesgeschichte um, die mit der Aufstockung durch Brochs Frau Alma (Krista Stadler) zu einer Ménage Á Troi sogar ins Absurde reichende Dimensionen annimmt. Erst ganz zum Schluss kommt der Film wieder auf den Boden zurück, übertreibt dabei mit Ursulas Wandlung hin zum „Guten“ aber so sehr, dass er seinem eigenen Thema die Aussage klaut und man auf die letzte Viertelstunde lieber hätte verzichten sollen.

    Seine stärksten Momente hat der Film immer dann, wenn er die abartige Weltanschauung der Nazis auf eine äußerst belustigende, aber zugleich auch sehr erschreckende Weise absurd-provokant vorzuführen versteht. Eine solch gelungene Episode ist zum Beispiel Gottliebs Versuch einen Porno anfertigen zu lassen, um die Moral der polnischen Bevölkerung brechen zu können. Im Endeffekt erreicht der anzügliche Film nie die polnische Grenze, nur der SS-Mann selbst holt sich beim Anblick der Bilder auf der Toilette einen runter. Erschwerend kommt hinzu, dass die schöne Darstellerin Gisela (Rike Schmid) auch noch Jüdin ist – ironischerweise darf sie nun ausgerechnet bei einem Porno-Dreh zum ersten Mal die Uniform des „Bund deutscher Mädchen“ tragen. Auch sehr hintersinnig-amüsant sind Gottliebs Probleme mit der Herkunft seiner Verlobten. Da Ursulas Vater vor ihrer Geburt gestorben ist, ist ein wasserdichter Ariernachweis nicht zu erbringen – deshalb muss Gottlieb mit den absurdesten Gerätschaften an ihr herumhantieren, alle möglichen Knochenabstände abmessen und Farbnuancen bestimmen. Dazu SS-Kommandant Reinhard Hasstrich (Dirk Martens, Equilibrium): “Arisches Blut ist von jüdischem Blut bei Laboruntersuchungen leider nicht zu unterscheiden, sie wissen gar nicht, wie peinlich uns das ist.“

    Die Mischung aus verdienten Schauspielern, allen voran natürlich Hilmar Thate als rebellisch-lüsternder Künstler, und frischen Gesichtern kann durchweg überzeugen. Vor allem Lena Lauzemis, die das gebrochene junge Mädchen Ursula mit schon fast religiösem Wahn verkörpert, erreicht beim Publikum eine unerwartet intensive Wirkung. Inszenatorisch hingegen bleibt „Hitlerkantate“ insgesamt eher blass, beschränkt er sich doch zu sehr auf statische Einstellungen und einfache Schwenks. Zu selten wird das starre Bild gebrochen, nur mit einem satirisch-hippen Hitler-Musikvideo und einer kitschig-romantischen Mondschein-Szene am See kann der Film den Zuschauer überraschen. Auch wenn die Mischung aus theaterhafter Inszenierung und Kino, aus ernsthaftem Essay und schon fast trashigen Soap-Elementen zunächst etwas befremdlich wirkt und auch nicht immer ganz stimmig ist, ist sie doch zumindest stets interessant.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top