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    Schmetterling und Taucherglocke
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Schmetterling und Taucherglocke
    Von Christian Horn

    „Im Kino gewesen. Geweint.“ (Franz Kafka)

    Es gibt selten einen Film, der so konsequent und beharrlich, dabei nicht ohne Sinn, aus einer subjektiven Perspektive erzählt wie Julian Schnabels („Before Night Falls“) „Schmetterling und Taucherglocke“. Die wahre, tragische Geschichte Jean-Dominique Baubys, dem ehemaligen Chefredakteur der französischen „Elle“, hat Schnabel ungemein berührend, inspirierend und – diese Bezeichnung ist gewiss nicht zu hoch gegriffen – kongenial verfilmt. So ist „Schmetterling und Taucherglocke“ ein Drama geworden, das sicherlich zu den besten Filmen des diesjährigen Kinojahres gezählt werden muss, selbst wenn dieses erst angefangen hat. Einen Golden Globe und einen Preis in Cannes, beide für die beste Regie, hat Schnabel schon erhalten. Und das völlig zu Recht.

    Jean-Dominique Baubys verlässt seine Familie, um sich dem oberflächlichen Pomp und Glamour der Modewelt vollends hingeben zu können; er ist ein Lebemann par excellence: schöne Frauen, teure Autos, luxuriöser Lebensstil. Doch dann erleidet er im Alter von 42 Jahren aus heiterem Himmel einen Hirnschlag und ist fortan stumm und gelähmt. Nur noch sein linkes Auge kann er bewegen; und mit dem Blinzeln desselben diktiert er innerhalb von 14 Monaten seine Autobiografie. Dazu bekommt er ein Alphabet vorgehalten, das die Buchstaben nach ihrer Häufigkeit in der französischen Sprache sortiert: E-S-A-R-N-T-U-L... Immer wieder werden diese Buchstaben vorgelesen, beharrlich und wie ein Gebet. Es ist wohl die schlimmste Vorstellung, die ein Mensch sich ausmalen kann: mit einem Körper, der zu fast nichts mehr in der Lage ist, an ein Krankenhausbett gefesselt zu sein. Auch Bauby möchte am Anfang einfach nur sterben, dem Leiden und der Überflüssigkeit ein Ende bereiten. Doch dann rafft er sich auf und entdeckt das schöne am Leben, die kleinen Momente, welche der Alltag unbeachtet vertilgt. Bauby zehrt von seinen Erinnerungen, seiner Fantasie und Vorstellungskraft. Er kommt zu der Erkenntnis: „Als ich gesund war, war ich gar nicht lebendig. Ich war nicht da. Es war recht oberflächlich. Aber als ich zurückkam, mit dem Blickwinkel des Schmetterlings, wurde mein wahres Ich wiedergeboren." Und: „War ich blind und taub zugleich, oder brauchte ich erst ein Unglück, um mir über meine wahre Natur klar zu werden?" Ohne falsche Sentimentalität lässt Schnabel den Zuschauer an dieser Entwicklung teilhaben und regt ihn nachhaltig zum Reflektieren des eigenen Lebens an.

    Sicher, es ist wohl eine Binsenweisheit: Man muss erst ganz unten sein, eine schlimme Krankheit diagnostiziert bekommen oder von einer Liebe verlassen werden (durch Trennung oder Tod), um den wahren Wert der verlebten (zum Großteil vor sich hin gelebten) Zeit zu erkennen. Aber wenn sie wie in „Schmetterling und Taucherglocke“ erzählt wird, nämlich erfahrbar und nachvollziehbar für den Betrachter, ohne Kitsch und Geigen, dann gewinnt sie eine neue Dimension. Die Wahrheit hinter dieser zum Allgemeingut gewordenen Weisheit wird greifbar.

    „Schmetterling und Taucherglocke“ eröffnet mit einer Weißblende. Wir sehen verschwommene, abstrakte und subjektiv gefärbte Bilder und das wird sich in der ersten halben Stunde nicht ändern. Wir erfahren, wie es wohl sein mag in der Isolation einer „Taucherglocke“. Das rechte Auge wird zugenäht, alles aus der Ich-Perspektive gezeigt; eine Krankenschwester beugt sich über den Protagonisten. Zu hören sind die Gedanken desselben. Wie er beim Anblick erotischer Frauenlippen, unmittelbar vor seinem Gesicht, denkt: „Das ist unfair.“

    Es gibt einen Film, der einen ähnlichen Zustand thematisiert: das intensive Anti-Kriegsdrama „Johnny zieht in den Krieg“ von Dalton Trumbo (ursprünglich wollte Luis Bunuel den Stoff inszenieren). Dort liegt der 17-jährige Johnnie im Krankenbett: ohne Arme, Beine, Unterkiefer und ohne die Möglichkeit zu sprechen, so gut wie taub und erblindet. Dieser Johnnie wird am Leben erhalten, damit mit seinem Körper experimentiert werden kann. Was Johnny von Bauby unterscheidet, ist die Hoffnung, die letzterer mit der Zeit wieder erlangt. Der Wille zum Leben, der Johnnie (verständlicherweise) abhanden gekommen ist. So entwickelt Bauby sogar einen Humor und einen gesunden Trotz.

    Es ist auch die grandiose Kameraarbeit, die „Schmetterling und Taucherglocke“ so betörend macht. Steven Spielbergs Stammkameramann Janusz Kaminski entwirft subjektiv gebrochene, wunderschöne Bilder in einer Form, wie man sie noch nicht gesehen hat. Bilder, die einen gefangen nehmen, ohne zum Selbstzweck degradiert zu werden. Und dann die grandiose Besetzung: Mathieu Amalric, Emmanuelle Seigner, Marie-Josée Croze, Anne Consigny, Max von Sydow – sie alle liefern tolle Darbeitungen.

    Es ist beachtlich, dass Julian Schnabel kein handelsübliches Rührstück aus dieser Geschichte gemacht hat. Dass er nicht auf Mitleid, sondern Identifikation setzt. Dadurch wird „Schmetterling und Taucherglocke“ ein sowohl inhaltlich, als auch formal herausstechender Film. Einer, der die Möglichkeiten des Kinos, der Kunstform Film, mustergültig nutzt. „Schmetterling und Taucherglocke“ ist ein bewegendes, emotionales und schönes – unerhört schönes! – Drama geworden: poetisch und wahrhaftig.

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