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    Far North
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,0
    schlecht
    Far North
    Von Jan Hamm

    Hübsche Bilder alleine reichen nicht, um von fremden Kulturen zu erzählen. Wichtiger ist es, sein Subjekt mit Achtung zu behandeln. Selbstverständlich ist das leider keineswegs. Für seine Selbstbezogenheit und Respektlosigkeit gegenüber der japanischen Kultur erntete Rob Marshall zu Recht harsche Kritik. Japaner, Chinesen, ganz egal - dem westlichen Publikum fällt der Unterschied sowieso nicht auf: So dachte Marshall und besetzte die Hauptrolle seiner Literaturverfilmung Die Geisha mit Zhang Ziyi, einer Chinesin. Teilgenommen am Ethno-Roulette hat auch Michelle Yeoh, ebenfalls eine der prominentesten Darstellerinnen Chinas, der scheinbar ganz gleich ist, wen sie repräsentiert. Gestern noch Japanerin, ist sie in Asif Kapadias „Far North“ nun als Inuit unterwegs. Wäre das ruhige Psychodrama so gut geschrieben, wie es fotografiert ist, wäre dieser Lapsus mit anderthalb zugedrückten Augen verschmerzbar gewesen. Doch Kapadia hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, „Far North“ zu inszenieren. Auf der Basis einer Kurzgeschichte von Sara Maitland filmt er die tragische Eskalation einer Dreierkonstellation einfach ab, statt sie auch nur ansatzweise zu ergründen. Selbst Charakterkopf Sean Bean kann gegen so viel Gleichgültigkeit nicht anspielen. So verkommt die eigentlich todtraurige Erzählung zur bloßen Panorama-Tour durch die endlosen Weiten der arktischen Tundra.

    Schon vor Saivas (Michelle Yeoh, Sunshine, Tiger und Dragon) Geburt wusste die greise Dorfseherin: Dieses Kind bringt Tod und Verderben. Kaum zur jungen Frau gereift, wird Saiva ins Exil gejagt. Einsam zieht sie durch unwirtliche Eiswüsten, bis ein anderer Stamm sie aufnimmt. Doch kaum hat sie sich an die neue Wärme gewöhnt, bricht das prophezeite Unheil über ihre Ersatzfamilie herein. Der Stamm wird von russischen Plünderern ausgerottet, bloß Saiva und ein kleines Baby überleben. Sie zieht das Mädchen Anja (Michelle Krusiec, Henry Poole, Nixon) groß, stets darauf bedacht, Kontakt zur bedrohlichen Zivilisation zu meiden. Eines Tages liegt, nur einen Sprung weit vom kuscheligen Zeltheim, ein ausgehungerter und halb erfrorener Körper im Schnee. Widerwillig pflegt Saiva den Mann gesund. Anja allerdings ist von Loki (Sean Bean, Herr der Ringe - Die Gefährten, Flightplan) äußerst angetan. Zunehmend verbittert muss die Ältere feststellen, dass ihr auch noch die letzte Bezugsperson entgleitet. Als Loki und Anja beschließen, die Tundra zu verlassen, um eine Familie zu gründen, schlägt das kühle Schweigen Saivas in verzweifelte Aggression um...

    „He told me everything“, antwortet eine verträumte Anja auf Saivas brüsken Einwand, den Mann kaum gut genug für eine Heirat zu kennen. Ja, was hat er denn erzählt? Sein Publikum an Lokis Lebensgeschichte teilhaben zu lassen, darum schert Kapadia sich nicht. Die Figurenzeichnung ist quasi nonexistent, der Charakter erschöpft sich in physischer Präsenz. Mit Anja verhält es sich nicht anders, lediglich Saivas Leidensweg wird mit uninteressiert erzählten Rückblenden pflichtbewusst nachgereicht. Emotionale Teilhabe an der kammerspielartig aufgezogenen Dreierkonstellation wird damit schlicht unmöglich. Was bleibt, ist die laienpsychologische Skizze einer traumatisierten Frau. Dass „Far North“ auf eine Eskalation zusteuert, ist früh ersichtlich. Doch dann verschenkt Kapadia selbst den brutalen Höhepunkt mit einem unglaubwürdigen und absurden Schlusstwist, der sich ganz nahe an der Grenze zum Trash bewegt. Kaum zu glauben, dass profilierte Mimen wie Bean und Yeoh sich für ein derart schwaches Drehbuch hergeben. Statt den unterforderten Darstellern Stoff zum Spielen anzureichen, versucht Kapadia mithilfe von symbolischen Landschaftstableaus etwas über die Innenwelt seiner Figuren mitzuteilen. Die Einstellungen der bedeutungsschwanger auseinanderdriftenden Eisschollen sind zwar nett anzuschauen, verlieren durch ihre inflationäre Wiederholung aber schnell an Bedeutung.

    Tragweite hätte die Geschichte derweil haben können, denn der Name des Neuankömmlings ist Programm. Die skandinavische Mythologie kennt Loki als archetypischen Widersacher. Liebevoll nehmen die Götter Asaheims den Riesensprößling auf, mit Odin höchstselbst schließt er Blutsbrüderschaft. Unbemerkt streut der Opportunist Loki seine Saat der Zwietracht aus, bis Lichtgott Baldur von einem heimtückisch irrgeleiteten Pfeil niedergestreckt und mit seinem Versterben der Götter Unschuld verwirkt wird. Doch damit nicht genug: Selbst Hel, die Göttin des Todes, ist ein Kind von Lokis Lenden. Der Intrigant wird verurteilt und in die Tiefen der Erde gesperrt, solange bis seine Rückkehr das Kommen des Ragnarök, des Weltenbrandes, einleiten wird. Von mythischer Größe auf seine intime Dreierbeziehung heruntergerechnet, zeichnet „Far North“ genau diese Geschichte stringent nach. Aufgrund der merkwürdig desinteressierten Perspektive Kapadias verflüchtigt sich das mythische Drama dann aber zur fadenscheinigen Suggestion. Welch’ grandiose Verschwendung! Dass selbst der Versuch, das Wikingermärchen mit der eigentlich schamanistisch-pantheistischen Inuit-Kultur zu verweben, ausbleibt, verwundert dann auch nicht mehr.

    Dabei ist es gerade diese Kultur, von der Kapadia erzählen will. Politisch korrekt repräsentiert die Inuit Saiva ein traumatisiertes Volk, das von ressourcengeilen Eindringlingen aus seinem Lebensraum verjagt wird. Nach dem Überfall schrumpft der Stamm edler Wilder auf zwei Frauen zusammen, nur um vom Fremden Loki einmal mehr entzweigerissen zu werden. Zwischendurch darf angemessen steinzeitlich gejagt werden, selbstverständlich ganz im Einklang mit Mutter Natur, der einzig beeindruckenden Instanz des größtenteils stillen Films. „Far North“ ist ein fantastisch gefilmtes Panorama arktischer Landschaften, vor dessen Erhabenheit das stümperhaft erzählte Psychodrama um so fehlplatzierter wirkt. Doch hübsche Bilder alleine reichen eben nicht, um von fremden Kulturen zu erzählen. Von der einmal mehr fragwürdigen Besetzung Michelle Yeohs abgesehen, krankt der Film nicht primär an mangelndem Respekt. Viel schlimmer: „Far North“ ist von einem so satten Maß an Gleichgültigkeit gegenüber seiner eigenen Geschichte geprägt, dass einfach nicht ersichtlich ist, warum sich dann noch zahlendes Videothekenpublikum in die arktischen Weiten vorwagen sollte.

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