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    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
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    Von Jonas Reinartz

    „If I don't make films, no one is going to write about me. And most people have forgotten who I am anyway. My life is not interrupted because I am more or less anonymous.” (Julie Christie)

    Ein wenig sorgt der Moment noch jetzt für Irritation. Obgleich David Benioff in seiner sehr freien Homer-Adaption Troja (2004; Regie: Wolfgang Petersen) sämtliche Bezüge zur griechischen Mythenwelt getilgt hatte, trat wie aus dem Nichts Thetis, die Mutter des von Brad Pitt dargestellten Achilles, in Erscheinung, zwar nicht ausdrücklich als Meeresnymphe, doch ein jeder mit rudimentären Kenntnissen der Materie wusste, um wen es sich da handelte. Insgesamt ein eher nichts sagender Moment, wäre die ergraute Dame nicht in Gestalt von Julie Christie auf der Leinwand erschienen, wobei es sich zweifellos um eine Idealbesetzung handelt. Mit ihren unfasslich blauen Augen wirkte sie schon immer nicht von dieser Welt, geradezu entrückt, ganz gleich, welcher Figur sie nun Anlitz und Geist lieh, ob sie russischen Medizinstudenten und Revolutionären den Kopf verdrehte oder durch die Straßen einer Lagunenstadt irrte. Zudem lässt sich ihr Auftritt als verkürzte Metapher auf ihren Werdegang lesen – vielversprechend, doch am Ende enttäuschend.

    Wo war sie eigentlich die ganze Zeit gewesen? Rückwendung. Nach gewonnenem Academy Award für ihre Rolle des hedonistischen Models Diana Scott in John Schlesingers „Darling“ (1965) und weltweitem Ruhm als Lara in „Doktor Schiwago“, jenem Monumental-Epos von David Lean aus dem gleichen Jahr, das die Zuschauer begeisterte und dem Feuilleton als Edelschnulze galt, ist sie auf dem - man verzeihe den Kalauer - Olymp der Filmbranche angelangt. Eine strahlende Karriere bleibt ihr versagt, anscheinend hatte sie andere Dinge im Sinn. Sie tut es ihrem langjährigen Lebenspartner Warren Beatty gleich und arbeitet nur sporadisch, lehnt etliche interessante Angebote, wie „American Gigolo“ (1980), ab. In Erinnerung bleiben noch Christies Auftritte in Altmans „McCabe und Mrs. Miller“ (1971), neben Beatty, und Nicholas Roegs Venedig-Nachtmahr Wenn die Gondeln Trauer tragen, als Gattin von Donald Sutherland. Daneben spielte sie meistens kleine Rollen in unbedeutenden Werken, mitunter selbst in TV-Produktionen. Nun ist sie wieder einmal im Kino zu sehen, in Sarah Polleys Debüt als Drehbuchautorin und Regisseurin übernahm sie weibliche Hauptrolle. Polley, hierzulande am ehesten durch ihren Part als resolute Krankenschwester Ana in Zack Snyders furiosem Romero-Remake Dawn Of The Dead (2004) geläufig, beweist mit ihrem Alzheimer-Drama „An ihrer Seite“, basierend auf einer Kurzgeschichte von Alice Munro, ein bemerkenswertes Gespür für Atmosphäre und Emotionalität, ohne gleich in die Untiefen der Rührseligkeit abzudriften. Hier liegt kein „Disease Movie of the Week“ vor, sondern ein solides Erstlingswerk über ein diffiziles Sujet mit überzeugenden Schauspielleistungen und einer entspannten Erzählhaltung.

    Grant (Gordon Pinsent) und Fiona (Julie Christie) sind seit 44 Jahren glücklich verheiratet. Allmählich zeigen sich bei Fiona Zeichen eines geistigen Verfalls, insbesondere ihr Kurzzeitgedächtnis verschlechtert sich zunehmend, so kann sie sich nicht mehr erinnern, in welche Schublade sie bestimmte Kleidungsgegenstände gelegt hat. Obwohl die Lage noch nicht dramatisch ist, macht sich Grant große Sorgen um die Liebe seines Lebens. Bald stellen sich seine Befürchtungen als begründet heraus – die Diagnose ist Alzheimer. Um ihr bestmögliche Pflege bieten zu können, fährt er in ein nahe gelegenes Pflegeheim und lässt sich dort ausführlich beraten. Am meisten macht ihm die Tatsache, dass Angehörige die Patienten nach ihrer Einweisung 30 Tage nicht besuchen dürfen, um die Gewöhnung an die neue Umgebung zu erleichtern, zu schaffen, doch er möchte für Fiona nur das Beste und kurz vor den Weihnachtsfeiertagen betritt sie ihr zukünftiges Zuhause. Zunächst kann sich der Alleingelassene mit der Situation arrangieren, doch dann ergreift ihn angesichts der tiefen Vertrautheit zwischen seiner Frau und dem im Rollstuhl sitzenden Patienten Aubrey (Michael Murphy) die Eifersucht…

    Die degenerative Gehirnerkrankung Alzheimer, benannt nach dem deutschen Neurologen Alois Alzheimer, der sie 1906 erstmalig diagnostizierte, tritt häufiger auf, als man zunächst glauben mag. Allein im Jahre 2006 waren 26,6 Millionen auf dem gesamten Globus betroffen, schätzungsweise werden es bis 2050 ungefähr 106 Millionen Betroffene sein; in diesem Fall käme dann auf 85 Menschen ein an Alzheimer Erkrankter. Was oft mit leichter Vergesslichkeit beginnt, endet in den meisten Fällen mit Demenz und totalem Realitätsverlust. Heilung ist nicht möglich, diverse Therapien bzw. Medikamente ermöglichen, wenn überhaupt, nur eine geringe Verbesserung. Es ist folglich keine leichte Thematik, die sich Polley für ihre erste Arbeit hinter der Kamera ausgewählt hat. Man muss ihr zugute halten, dass sich ihre Inszenierung durch eine wohltuende Unaufgeregtheit auszeichnet. Sie nimmt sich viel Zeit für ihre Figuren, gibt ihnen ausreichend Raum, sich zu entfalten. Julie Christie und Gordon Pinsent (Schiffsmeldungen) nutzen dies vorzüglich aus und überzeugen durch feinfühliges und differenziertes Spiel. Ihre Vertrautheit wirkt vollkommen überzeugend, so dass die zunehmende Entfremdung wahrlich zu Herzen geht. Ebenso können die Darsteller der Pfleger und Heiminsassen einen exzellenten Eindruck hinterlassen. Technisch leistet sich Polley keinerlei Patzer. Sorgfältige kadrierte Bilder, sanfte Szenenübergänge und sparsam eingesetzte Rückblenden, die das gemeinsame Glück des Paares dokumentieren, zeugen von einer selbstbewussten und kompetenten Regisseurin.

    Eifersucht als Bestandteil der (filmischen) Dramaturgie ist wahrlich nichts Neues, daher ist es bemerkenswert, wie hier diesem Gefühlszustand neue Aspekte abgewonnen werden und auch als Betrachter sieht man sich allmählich in eine Zwickmühle hineinmanövriert. Zum einen ist es rührend, wie sich Fiona um den hilfebedürftigen Aubrey kümmert, zum anderen verstört die Abwendung von ihrem Mann, die komplett ihrer Erkrankung geschuldet ist, in gleichem Maße. Etwas konstruiert wirkt die Annäherung zwischen Grant und Aubreys Frau Marian, doch auch hier umschifft die Regie durch Zurückhaltung potentielle Klischeeklippen. Gibt es einen deutlichen Kritikpunkt des Films, so ist es eben auch diese Eigenschaft. Ohne Frage ginge ein realistisch dargestellter, extremer Fall von Alzheimer den meisten Zuschauern zu weit, doch es stellt sich die Frage, ob nicht ein wenig verharmlost wird. Auch im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit sieht Christie immer noch einen Tick zu glamourös aus, etwas mehr Mut zur Hässlichkeit hätte vermutlich nicht geschadet. Hinzu gesellt sich gegen Ende eine gewisse Langatmigkeit, die Geschichte plätschert ihrem Schluss entgegen. Etwas Straffung hätte da nicht geschadet, der insgesamt durchaus positive Eindruck wird dadurch aber nicht allzu sehr getrübt, zumal es sich um ein Debüt handelt. Daher ist es auch zu verschmerzen, dass Potter viele Dialoge der Vorlage nahezu unverändert übernimmt. Zwischen dem geschriebenen Wort einer literarischen Vorlage und gesprochenen Äußerungen besteht ein nicht zu unterschätzender Unterschied, allerdings ist dies kein zu großer Makel. Munros Ansichten über Schicksal, Hoffnung und das Leben im Allgemeinen sind nach wie vor prägnant.

    „An ihrer Seite“ ist sicherlich nichts für die breite Masse, thematisiert er doch eine Krankheit, die wir verständlicherweise am liebsten verdrängen, kann sie doch jeden von uns treffen. Hervorragende Schauspielleistungen und eine sensible Regie sorgen für ein gutes, nachdenklich stimmendes Stück Kino über die wichtigen Dinge des Lebens.

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