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    Die Unzerbrechlichen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Unzerbrechlichen
    Von Christian Horn

    Dass der viel beschworene „deutsche Stillstand“ keineswegs immer still steht, führt der Dokumentarfilm „Die Unzerbrechlichen“ schlicht, aber eindrücklich am Beispiel der Glashütte Theresienthal vor. Dort wurden mehr als 500 Jahre lang hochwertige Gläser gebrannt – eine Tradition, die im April 2001 in der Insolvenz endete. Wirft man einen Blick auf den globalisierten Markt, scheint es nicht weiter verwunderlich, dass ein Betrieb, der in der heutigen Zeit noch immer mit den Techniken von vor 500 Jahren produziert, in der Massenproduktion untergeht – auch wenn die dort hergestellten Gläser eindeutig hochwertiger als anderswo sind. Doch Max Hannes, der im Alter von 14 Jahren als Lehrling in Theresienthal begonnen hatte und sich innerhalb von 36 Jahren vom Meister bis zum Betriebsleiter gearbeitet hat, gibt seinen Traum von einer Wiedereröffnung Theresienthals nicht auf. Zwei Jahre nach dem Bankrott wird die Eberhard von Kuenheim Stiftung auf die stillgelegte Manufaktur aufmerksam und versucht gemeinsam mit jungen, idealistischen Mitstreitern – Christoph Glaser und Mirjam Storim – den Betrieb wieder marktfähig zu machen. Und tatsächlich: Seit Mitte 2004 wird in Theresienthal wieder Glas gebrannt und 18 Langzeitarbeitslose haben ihren Job zurück.

    Dominik Wesselys Dokumentarfilm verfolgt den langen Weg vom ehrgeizigen Traum bis hin zur Umsetzung. Dass dieser Weg nicht leicht sein würde, ist offensichtlich, und es ist interessant, die kleinen Erfolge und mittelschweren Rückschläge des Projekts mitzuerleben. Etwa die Auseinandersetzungen mit den Banken, die Ausarbeitung einer sinnvollen Marketingstrategie oder die Rückgewinnung alter Mitarbeiter, die nach ihrer Kündigung natürlich das Vertrauen auf eine Langzeitstelle in Theresienthal verloren haben. Die in einzelne Kapitel unterteilte Dokumentation beobachtet den Weg der Protagonisten über einen Zeitraum von drei Jahren und porträtiert die handelnden Personen unaufdringlich. Es ist schön zu sehen, dass alle – trotz unterschiedlicher Interessen und Ansichten – gemeinsam an einem Strang ziehen, um die stillgelegte Glashütte wieder auf den Markt zu bringen.

    Allerdings muss auch gesagt werden, dass die ehemaligen Mitarbeiter den Wiederbelebungsversuch nur zögerlich und eher skeptisch als erwartungsvoll betrachten. Max Hannes bemüht sich zum Beispiel redlich darum, einen der fähigsten Glasermeister von dem Projekt zu überzeugen, stößt aber auf eine deutliche Absage, aus der das fehlende Vertrauen des ehemaligen Mitarbeiters in das Projekt hervorgeht. Als Hannes später gemeinsam mit Christoph Glaser den betreffenden Glasbrenner zu Hause besucht, bleibt die Kamera vor der Tür und der Zuschauer wird nur auf der Heimfahrt der beiden darüber informiert, dass der Ex-Mitarbeiter jetzt doch wieder in Theresienthal anfangen will. Nach diesem Gespräch stellt Hannes fest, dass er Christoph Glaser nicht zum Feind haben will, woraus sich Methoden erahnen lassen, die vielleicht nicht so ganz zum guten Ton der Arbeitsplatz-Retter passen. Aber hier muss der Zuschauer spekulieren und es bleibt das Gefühl, dass nicht die ganze Wahrheit gezeigt wurde. Ähnlich ausgespart sind die Motivationen der einzelnen Beteiligten. Max Hannes geht es um ein Stück seiner eigenen Vergangenheit und Identität – das ist offensichtlich und glaubwürdig. Und auch Glaser kauft man seine kulturell motivierte Begründung ab: „Wir bringen den Leuten die Kultur, die sie nicht haben“, sagt er – und im Kontext seiner Person klingt auch das glaubwürdig. Aber warum spendiert die Eberhardt von Kuenheim Stiftung, die auffällig mysteriös im Hintergrund bleibt, Gelder? Und warum beteiligt sich der neue Geschäftsführer an dem gewagten Projekt? Als Glaser ihn während einer Autofahrt mit der Frage nach seiner Motivation konfrontiert, weicht er aus und die Diskussion mündet schließlich in einer Gegenfrage. Und dann bricht ein Schnitt das gerade interessant gewordene Gespräch ab.

    Wessely schreibt im Vorwort des Buches „Unternehmen statt unterlassen“, in dem er ebenfalls die Geschichte der Glasmanufaktur erzählt, von einem „Mutmacher-Buch“. Und sein Dokumentarfilm kann ebenfalls als Mutmacher verstanden werden; und vielleicht sind auch deswegen einige kritische Momente ausgeblendet. Insgesamt bleibt aber dennoch ein positiver Eindruck, denn das Gezeigte wirkt authentisch und ist auch nicht ganz frei von kritischen Nachfragen und Bildern. Dass die ehemaligen (und jetzt neu eingestellten) Mitarbeiter bei der Begrüßungsrede des neuen Geschäftsführers und der Bekanntgabe der Wiederaufnahme der Arbeit beinahe gar keine Freude zeigen, ist zum Beispiel einer dieser Momente, der das Gefühl aufkommen lässt, dass die Rettung Theresienthals wohl doch ein Einzelfall bleiben wird.

    Insgesamt bleibt ein zwiespältiger Eindruck: das Gefühl, dass einem nicht alles gesagt wurde und die Hoffnung, dass die Wiederbelebung Theresienthals auch anderswo funktionieren könnte. Es ist wohl an der Zeit gewesen, dass „Die Unzerbrechlichen“ gedreht wurde. Allein die Bilder gegen Ende, als die alte Halle von den Mitarbeitern in Schuss gebracht wird und die Öfen wieder brennen, sorgen für ein positives Gefühl, dass den Gauben an die mögliche Selbstüberwindung der deutschen Depression möglich scheinen lässt. Und am Ende muss man vielleicht nur daran glauben, um das scheinbar Unmögliche zu erreichen; die Theresienthaler haben jedenfalls schon ein Schlagwort für das Geschehene gefunden: „Das Wunder von Theresienthal“.

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