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    Ulzhan - Das vergessene Licht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Ulzhan - Das vergessene Licht
    Von Andreas Staben

    Volker Schlöndorff ist hauptsächlich für seine Literaturverfilmungen bekannt. Seine Adaptionen von Heinrich Bölls Die verlorene Ehre der Katharina Blum und von Günter Grass' Die Blechtrommel haben ihm Renomee und viele Preise eingebracht. Der Regisseur, der schon 1966 für sein Langfilmdebüt „Der junge Törless“ nach Robert Musil auf eine Romanvorlage zurückgriff, hat sich im Verlauf seiner Laufbahn auch an Stoffen von Marcel Proust und Arthur Miller, von Max Frisch, Margaret Atwood und Michel Tournier versucht. Schlöndorffs Filme sind diesen vielfältigen Inspirationsquellen entsprechend sehr unterschiedlich geraten und ebenso wechselhaft rezipiert worden. Im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen, die wie er in den späten 60er und in den 70er Jahren mit dem Etikett „Junger deutscher Film“ versehen wurden, wie Wim Wenders, Werner Herzog und Rainer Werner Fassbinder wird Schlöndorff daher eher selten als Auteur, als Regisseur mit individueller Handschrift und wiedererkennbaren persönlichen Obsessionen diskutiert. Dabei verbinden sich in seinem Werk, auch wenn wie bei seinem Holocaust-Kammerspiel Der neunte Tag keine fiktionale Quelle zugrundeliegt, literarische Ambitionen stets mit politisch-gesellschaftlicher Reflektion, und dies häufig auf höchst originelle Weise. Das Drama „Ulzhan – Das vergessene Licht“ basiert zwar auf einer Original-Idee, aber auch in dieser Erzählung der Reise eines todessehnsüchtigen Franzosen durch die kasachische Steppe zu einem heiligen Berg weiß Schlöndorff Poesie und Realismus gleichermaßen zu ihrem Recht kommen zu lassen.

    Der Franzose Charles (Philippe Torreton, Sky Fighters, „Die Frau des Leuchtturmwärters“) reist mit dem Auto über die Grenze nach Kasachstan. In einem Hotel knüpft er Kontakt mit Einheimischen, trinkt mit ihnen und überlässt ihnen Geld und seine Papiere. Bald setzt er seine Reise zu Fuß fort und wird auf einem Ölfeld von Sicherheitskräften aufgegriffen, die ihn der Spionage verdächtigen. Er wird mit dem Hubschrauber in die neue Hauptstadt Astana gebracht, wo er das Angebot neuer Papiere ablehnt. Wir erfahren erst allmählich mehr über den offenbar trauernden Mann, der vorgibt einen Schatz zu suchen. In der Ruine eines Gulags trifft er den Schamanen Shakuni (David Bennent, Die Blechtrommel, „Legende“), der Wörter sammelt und mit ihnen handelt. Als Charles in einem Dorf ein Pferd kaufen will, lernt er die Französischlehrerin Ulzhan (Ayanat Ksenbai) kennen. Sie nimmt ihn nicht nur für eine Nacht auf - fortan wird sie dem Suchenden durch die immer unwirtlicher werdende Landschaft folgen. Charles will allein sein, aber auch Shakuni lässt das nicht zu. Am heiligen Berg Khan Tengri im Taishan-Gebirge an der Grenze zu China endet die Reise schließlich und Charles' Suche vollendet sich.

    Wenn Charles als geheimnisvoller und wortkarger Fremder eine scheinbar endlose Landschaft durchstreift, dann erinnert das in seiner Einfachheit und Klarheit an viele Western. Schlöndorff selbst nennt John Fords Der schwarze Falke als Referenz, dessen Originaltitel „The Searchers“ auch auf „Ulzhan“ passen würde. Während Wim Wenders (Paris, Texas, Bis ans Ende der Welt) in seinen Road Movies das Sehen und somit die Bilder selbst zum Thema macht, nimmt Schlöndorff das fremde Land fast im Stil einer Reportage auf. Diese Reise ist nicht nur allegorisch, es erwächst aus ihr gleichsam nebenbei ein realistisches Porträt Kasachstans. Von den futuristischen Absurditäten der Architektur der aus dem Boden gestampften neuen Hauptstadt bis zum Reichtum an Bodenschätzen und von der weitgehend ausgetrockneten Fläche des Aral-Sees bis zur strahlenverseuchten Weite der Steppe nehmen Schlöndorff und sein Kameramann Tom Fährmann (Das Wunder von Bern, „Der Campus“) alles mit diskreter Neugierde in den Blick.

    „Früher war es ein Zoo, heute ist es ein Dschungel“- mit diesen Worten beschreibt Ulzhan einmal Shakuni gegenüber das Leben in Kasachstan, ein schlagendes Bild für den Übergang von der behüteten Unfreiheit des Kommunismus zum Überlebenskampf im wild wuchernden freien Wettbewerb. Durch die Einführung von Shakuni, den David Bennent mit einer zuweilen irritierenden Eigenwilligkeit verkörpert, die einer so ungewöhnlichen Figur nur angemessen ist, erhält „Ulzhan“ eine verstärkte historische und poetische Dimension. Der Schamane macht den Franzosen erst darauf aufmerksam, dass sie sich in der verlassenen Baracke eines sowjetischen Gulags befinden. Der fahrende Händler, der Wörter aus fremden Sprachen verkauft, die ausdrücken, was die eigenen Vokabeln nicht vermögen, ist auch ein Geschichtenerzähler und spürt überall Bedeutung auf, während Charles sich der Sinnzuweisung verweigert: Er will allein sein und möchte sterben. Die Figurenzeichnung enthält sich jeder Psychologisierung, das geschickte Drehbuch von Schlöndorffs altem Mitstreiter Jean-Claude Carrière, der zudem unter anderem an Belle De Jour, „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ und Birth beteiligt war, hat bei aller Künstlichkeit echte literarische Qualitäten. Der Moment ist wichtiger als das Ganze und der Weg wird zum Ziel - Schlöndorff und Carrière zeigen künstlerische Entdeckungsfreude als wäre es ihr erster Film..

    Philippe Torreton spielt nicht den verzweifelten, mit seinem Schicksal hadernden Trauernden. Er macht aus Charles einen uninteressierten Eigenbrötler, der in seiner Rätselhaftigkeit umso faszinierender wirkt. Eindrucksvoll ist wie Torreton mit sparsamen Blicken und Gesten leichte Irritation vermittelt, als die zielbewusste Ulzhan sich recht aufdringlich um ihn bemüht. Die Frau versucht, den Einzelgänger für die Gemeinschaft zu gewinnen, mit ihm eine Kommunikation aufzubauen. Ayanat Ksenbai ist in ihrem ersten größeren Film die ideale Besetzung für diese Rolle, da sie eine Offenheit und Natürlichkeit ausstrahlt, die in wirkungsvollem Gegensatz zur Verschlossenheit des Fremden und zur Pose des Schamanen steht. Mit Ulzhan kommen Gefühle in den bis dahin so gedämpften Film, auch Charles' Wahrnehmung der Dinge verändert sich allmählich. Nun haben auch Visionen in „Ulzhan“ Platz, etwa von einer nächtlichen religiösen Versammlung oder von atomaren Explosionen. Und ohne dass Schlöndorff seinen Stil ändert, wird das Finale in den eisigen Höhen des Khan Tengri zu einer großen melodramatischen Szene: Am Ende einer Reise in den Tod zeigt sich das Leben und die Liebe.

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