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    I'm a Cyborg, But That's Ok
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    I'm a Cyborg, But That's Ok
    Von Martin Thoma

    Der koreanische Regisseur Park Chan-wook hat zwei Dinge getan, die zwar anstanden, nichtsdestotrotz überraschen. Erstens: Er hat nach drei Rachefilmen in Folge (Sympathy For Mr. Vengeance, Oldboy, Lady Vengeance) das Genre gewechselt und eine romantische Komödie gedreht. Zweitens: Er hat die romantische Komödie dahin verlegt, wo sie hingehört: in die Nervenheilanstalt. Herausgekommen ist ein durchaus origineller, vor allem überaus verspielter Film, der von einer kräftigen Überdosis Niedlichkeit im einen Moment vorangetrieben und im nächsten leider wieder ausgebremst wird.

    Das Schicksal der jungen liebenden Anstaltsinsassen Young-goon (Su-jeong Lim) und Il-sun (Rain) ist nicht lustig, nicht niedlich und noch nicht einmal originell. Die Ängste, die die beiden Protagonisten in den Wahnsinn getrieben haben, dürften in milderer Form wohl auch dem ein oder anderen Menschen bekannt vorkommen, der sein Leben außerhalb eines Irrenhauses geregelt kriegt. Für die Figuren in romantischen Komödien – ohne dass das im Normalfall reflektiert werden würde – sind sie sowieso konstitutiv.

    Il-sun trägt meistens eine Maske, weil er fürchtet, darunter gar kein eigenes Gesicht zu haben. Wenn es ganz schlimm kommt, sieht er sich zu einem winzigen Punkt zusammenschrumpfen. Gewissermaßen zur Kompensation ist er kleptoman und stiehlt den ganzen Irren um sich herum ihre interessantesten Macken, die er zuvor mit äußerst genauer Beobachtungsgabe registriert und erfasst hat. Heulen und Zähneklappern ist die Folge, wenn die Bestohlenen feststellen, dass sie auf nichts so sehr angewiesen sind wie auf ihre Symptome.

    Young-goon kommt in die Psychiatrie, nachdem sie bei ihrer Arbeit am Fließband zu der unter den Umständen nicht völlig abwegigen Überzeugung gekommen war, ein Cyborg zu sein, und sich selbst unter Strom gesetzt hatte. Da sie meint, dass ihre inneren Organe durch Hochleistungselektronik ersetzt worden seien, benötigt sie so viel Strom wie irgend möglich, um ihre volle Leistungsfähigkeit als übermenschliche Kampfmaschine entfalten zu können. Konsequent verweigert sie in der Anstalt die Aufnahme gewöhnlicher Nahrung und leckt stattdessen an Batterien. Was Young-goon neben mangelnder Stromversorgung ihrer Ansicht nach außerdem behindert, sind Restbestände menschlicher Gefühle. Die böse Verkehrung verkitschter Vorstellungen davon, welche inneren Werte einen zum guten Menschen machen, trägt sie in einem Bilderbuch mit sich herum. Der Inhalt dieses Buches ist eine der vielen Stellen im Film, an denen die reale Handlungsebene zugunsten einer zweiten Ebene wegbricht, auf der man eine schräge Mischung aus psychischer Innensicht der Figuren und ironischem Kommentar des Filmemachers zu erkennen meint. Young-goon jedenfalls will ihr Mitleid als ihre letzte menschliche Gefühlsregung ausgemacht haben. Es muss also weg und darum bittet sie Il-sun, es ihr zu stehlen. Doch der findet ganz andere Eigenschaften an ihr, die er gerne stehlen würde.

    Park Chan-wook mögen die einen für einen Spinner und die anderen für einen Gott halten, fest steht jedenfalls, dass der Mann als Regisseur einfach was drauf hat – der Große Preis der Jury in Cannes für „Oldboy“ war auch keine reine Gefälligkeit. Schon die Eingangssequenz in einer riesigen Fabrikhalle ist optisch atemberaubend, das Setting, die Farben, der Schnitt, die Kameraeinstellungen sind mehr als faszinierend. Zudem wird auch gleich auf hübsch verspielte Weise ein doppelter Ironieboden eingezogen, den der Film nicht mehr verlassen wird und der mindestens so schief ist wie diese Metapher. Wen es hier packt, der wird vom folgenden Film kaum völlig enttäuscht sein. Umgekehrt gilt aber auch: Wer sich hier schon kopfschüttelnd fragt: „Na schön, aber was soll das?“, der kann eigentlich auch gleich wieder aus dem Kino gehen.

    Im Zentrum des Films steht Young-goon als eine Art weiblicher Suppenkasper. Sie weigert sich noch länger zu schlucken, was man ihr vorsetzt. Es sieht so aus, als treibe sie in ihren Phantasien von sich selbst als supereffizientem Computerwesen unbewusst, die an sie gerichteten Erwartungen, einfach nur weiter zu funktionieren, ins Absurde, um sie damit auf ihre Weise zu unterlaufen. Was tödlich für sie enden könnte, geht hier gut aus. Es ist die Liebe, die sie rettet. Na klar, wir befinden uns in der romantischen Komödie. Genauer - und das wirkt dann doch wahrer und radikaler als im Genre üblich –, Il-suns Fähigkeit sich einzufühlen und seine zunehmende Bereitschaft, sie in ihrer Flucht in ihre Cyborg-Realität zu akzeptieren, obwohl dies eine ihm fremde Art des Wahnsinns ist. In vielen (schlechten) romantischen Komödien geht es ums Gegenteil: Die temporär etwas schrulligen oder sehr überdrehten Protagonisten finden dort zueinander, wenn sie normal und vernünftig geworden sind. Park Chan-wook zeigt nicht, wie jemand aus seiner Scheinwelt in die einzig wahre Realität zurückkommt, sondern, wie er sich seine eigene Realität so einrichten kann, dass er darin überlebensfähig ist. In seiner Haltung hat der Film hier einige Berührungspunkte mit Michel Gondrys hochgelobtem The Science Of Sleep. Auch der Humor ist nicht weniger verspielt, die Details sind nicht weniger skurril und die Hauptfiguren von fast noch schwerer erträglicher Niedlichkeit.

    Über diese klare Tendenz hinaus deutet der Film sehr vieles nur an und bleibt offen für Interpretationen in jede Richtung. Ausführlich ist er nur dort, wo er albern ist. In den Grundzügen überzeugt die Geschichte, aber da, wo mehr Genauigkeit wünschenswert gewesen wäre, setzt Park Chan-wook vorsichtshalber lieber aufs Schrille. Er feiert die Regression seiner Protagonisten, indem er sich selbst in spielerischen Albernheiten verliert. Manchmal nervt das. Besonders die überdrehte Variante des alten Klischees von den Horrormüttern, auf die sich letzten Endes jede psychische Störung zurückführen lasse, wird gegen Ende arg überstrapaziert. Und der erwachsene Zuschauer, der bei Il-suns lang ausgewalzten rührenden Versuchen Young-goon zum Essen zu bringen, bis zum Ende emotional mitgeht, der hat sich wirklich ein gehöriges Maß an Kindlichkeit bewahren können.

    Andererseits, der zarte Cyborg-Kuss, der Flug mit dem Marienkäfer oder das Lied vom schönen Oberland vorgetragen von Mitgliedern des Koreanischen Alpenvereins, all das gehört in die Kategorie unvergessliche Kinomomente, ist phantastisch anzusehen, komisch und in seiner bonbonfarbenen Niedlichkeit merkwürdig anrührend. Es ist so unheimlich hell und harmlos in dieser Irrenanstalt. Und wenn, dann doch in einigen Szenen plötzlich sehr deutlich wird, dass das keine Ferienanlage ist, in der man sich freiwillig aufhält, sondern, dass es hier um Zwang und Gefangenschaft geht, wird das garantiert in der nächsten Szene sofort wieder konterkariert. Ist der rosa Zuckerguss über seelischen Abgründen und tiefer Verzweiflung nun besonders böse oder besonders verharmlosend? Man darf bezweifeln, ob sich der Regisseur selbst über diese Frage klar geworden ist. Ein Gefühl der Verunsicherung beim Zuschauer schafft er in jedem Fall, und das ist wahrscheinlich schon viel. Young-goon will sich selbst und alle Menschen um sich herum töten. Wenn sie es versucht, dann sieht es trotz blutiger Schusswunden in Zeitlupe nicht nur sehr hübsch aus, es ist ein einziges komisches Spiel und die, die es spielt, das niedlichste Geschöpf der Welt.

    Am Ende liegen sich Young-goon und Il-sun in den Armen und am Himmel steht ein Regenbogen. Ja, tatsächlich ein Regenbogen. Auweia. Beziehungsweise: Wer die Möglichkeit dazu hat, sollte schon versuchen, sich diesen Film einmal anzusehen.

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