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    NimmerMeer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    NimmerMeer
    Von Jens Hamp

    Die Zukunft des deutschen Films sieht rosig aus. Bereits zwei Oscars konnten heimische Regisseure im neuen Jahrtausend in die Heimat holen (Caroline Link für Nirgendwo in Afrika und Florian Henckel von Donnersmarck für Das Leben der Anderen). Aber nicht nur die professionellen Filmemacher beweisen eindrucksvoll ihr Talent. Bei der jährlichen Verleihung der Studenten-Oscars wandert mit beeindruckender Regelmäßigkeit die Auszeichnung für den besten ausländischen Film an deutsche Filmhochschulen. Im Jahr 2007 wurde so auch der optische Leckerbissen „Nimmermeer“ mit einem Goldjungen honoriert. In seinem einstündigen Spielfilmdebüt belegt Nachwuchsregisseur Toke Constantin Hebbeln ein hervorragendes Gespür für das prachtvolle Inszenieren ergreifender, märchenhafter Geschichten. Ein junges, deutsches Regietalent, das man auf jeden Fall im Auge behalten sollte.

    Der ergraute Fischer Helge (Rolf Becker) lebt mit seinem Sohn Jonas (Leonard Proxauf, Die Buddenbrooks) in einer klapprigen Holzhütte an der See. Einst war die Hochseefischerei ein lukratives Geschäft, nunmehr haben die beiden nicht einmal mehr Geld für den Klingelbeutel in der Kirche. Trotz finanzieller Misere verstand Helge es bisher, seinem Sohn ein angenehmes Leben zu bereiten. Aber das zunehmende Gerede im Dorf wird mit der Zeit immer erdrückender. Selbst mit der größten Phantasie wird der kleinste gefangene Fisch für Joans nicht mehr zu einem wohlschmeckenden Festessen. Daher begibt sich Helge auf eine Angeltour, mit der er „das Silber vom Himmel holen“ will. Der Strand soll nach seiner Rückkehr voll frisch gefangener Fische glänzen – doch einzig das leckgeschlagene Boot wird wieder an Land gespült…

    Mit märchenhaftem Surrealismus erzählt Hebbeln im Folgenden, wie der im Pfarrhaus aufgenommene Jonas sein Lachen wieder findet. Geprägt wird diese kleine Odyssee von einer deutlichen Verwandtschaft zu den visuellen Erlebniswelten eines Tim Burton (Big Fish, „Edward mit den Scherenhänden“) und Terry Gilliam (Brazil, „Time Bandits“). Herrlich malerisch wirkt das Szenenbild - nie würde man bei diesen polarisiert-vergilbten Bildern vermuten, dass dem Jungregisseur lediglich 55.000 Euro für die Verwirklichung seiner Vision zur Verfügung standen. Zu eindrucksvoll sind die Kulissen, zu löchrig-authentisch die Kostüme. Gerade mit dieser großen Detailverliebtheit lockt „Nimmermeer“ den Betrachter in die vergangenen Tage in dem beschaulichen Meeresdörfchen. Dieser Ausflug ins Phantastisch-Reale wird besonders durch den jungen Hauptdarsteller Leonard Proxauf getragen. Er spielt sich unaufgeregt ins Zuschauerherz, besticht in den dramatischen Momente durch seine ruhige Glaubhaftigkeit, um dann mit kindlicher Wut aus seiner Gefühlswelt auszubrechen.

    Aufgrund der Zentrierung auf die Hauptfigur verblassen die anderen Darsteller. Einzig der kleinwüchsige Manni Laudenbach kann sich als Erzähler und Zirkusdirektor Grido ins Gedächtnis spielen. Mit hypnotischer Stimme zieht er seine Zuhörer in den Bann. Berichtet er zunächst noch allwissend von der kindlichen Hauptfigur, die von einem auf den nächsten Augenblick erwachsen werden muss, wird er erstmalig in die eigentliche Handlung integriert, als Jonas nach dem Tod seines Vaters vom örtlichen Pfarrer in dessen Haus aufgenommen wird. Der junge Protagonist versucht immer wieder zu fliehen, weil er hofft, am Strand doch noch seinen zurückkehrenden Vater anzutreffen. Doch anstelle dessen trifft er auf den kleinwüchsigen Zirkusdirektor, der von nun an mit viel Phantasie versucht, dem Jungen sein Lachen zurückzugeben.

    Die Einfühlsamkeit Gridos untermalt Hebbeln mit warmen Farbfiltern. Das wohlige Gefühl während dieser Szenen wird deutlich zu dem kalten und dunklen Leben im Pfarrhaus kontrastiert. Dort versucht der herrische Geistliche, Jonas zu einem gehorsamen Mann heranzuziehen. Wie „der Rabe“ in Edgar Allen Poes Erzählung pocht er darauf, dass sein neuer Zögling „nimmermehr“ seinen Vater am Strand sehen wird. Entgegen der titelverwandten Vorlage ist das Leben für Jonas aber nicht gänzlich aussichtslos. Vielmehr muss er lernen loszulassen, um seinen Vater fortan stets in seinem Herzen tragen zu können. Neben dieser durchaus klischeehaften Moral greift das Drehbuch – insbesondere im Pfarrhaus – auch auf eine standardisierte Figurenzeichnung zurück. Seine Wirkung als Hohelied auf die Phantasie und Träumerei verfehlt der Film jedoch nicht, so dass sich diese schablonenhaften Charaktere im Kontext der märchenhaften Erzählung als verschmerzbarer Kritikpunkt erweisen.

    Somit besticht Toke Constantin Hebbelns „Nimmermeer“ schlussendlich vor allem als ein kleines Fest für die Sinne. Mit schwebender Musik wird ein surreales Märchen erzählt, dessen verspielten Bilderreigen trotz des Gewinns eines Studenten-Oscars der Weg in die deutschen Lichtspielhäuser – mit Ausnahme seiner Aufführung beim FantasyFilmFest - verwehrt wurde. Dabei entfaltet die behutsam-dramatische Geschichte des Waisen Jonas erst auf der großen Leinwand ihre ganze Pracht.

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