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    Robin Hood
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Robin Hood
    Von Carsten Baumgardt

    Die Gesellschaft ist im Wandel – stetig und immerzu, selbst wenn dieser natürliche Prozess im jeweiligen Moment kaum wahrgenommen wird. Wer allerdings einen Schritt zurücktritt und größere Zeiträume betrachtet, kann wirkliche Veränderung registrieren. Das Filmgeschäft reflektiert diese Entwicklungen selbstverständlich auch. Und so kommt es, dass ein Stoff, der seit Jahrhunderten existiert, in den verschiedenen Epochen immer wieder aus anderen Blickwinkeln betrachtet wird. Im Jahr 2010 ist die Zeit reif für eine Neusicht auf die Dinge, die da im Sherwood Forest des frühen 13. Jahrhunderts die Legende eines unbeugsamen Bogenschützen begründeten. Regisseur Ridley Scott wählt für seinen „Robin Hood" einen frischen Ansatz und zimmert ein kraftvolles, hervorragend inszeniertes Action-Abenteuer, das den Eindruck erweckt, als sei der „Gladiator" in die englischen Wälder eingefallen.

    England, um 1200. Das Land darbt. Die Armee reibt sich seit Jahren in fremden Landen in den verheerenden Kreuzzügen des Königs Richard Löwenherz (Danny Huston) auf, während die Bevölkerung zuhause am Hungertuch nagt und von der Krone mit überhöhten Steuern drangsaliert wird. Als Löwenherz im Kampf gegen die Franzosen fällt, besteigt sein inkompetenter und selbstherrlicher Bruder John (Oscar Isaac) daheim in England den Thron. Der Bogenschütze Robin Longstride (Russell Crowe) kommt mit seinen Mitstreitern Will Scarlett (Scott Grimes), Little John (Kevin Durand) und Allan A‘Dayle (Alan Doyle) einem Komplott auf die Spur: Der undurchsichtige Godfrey (Mark Strong) treibt ein doppeltes Spiel und versucht, sein Heimatland für den eigenen Vorteil zu verraten. Der in den Hinterhalt gelockte Edelmann Sir Robert Loxley (Douglas Hodge) ringt Robin auf dem Sterbebett ein Versprechen ab. Er soll sein Schwert seinem alten Vater in Nottingham überbringen, um seine Ehre zu retten. Robin willigt ein und trifft dort auf Lady Marion Loxley (Cate Blanchett), die von ihrem Vater Walter (Max von Sydow) dazu gedrängt wird, ihn, Robin Longstride, als ihren heimgekehrten Ehemann Robert Loxley auszugeben...

    Über kaum ein anderes Projekt der vergangenen Jahre wurde im Vorfeld schon derart viel diskutiert wie über diesen „Robin Hood". Immer wieder drangen Horrormeldungen über Probleme vom Set an die Öffentlichkeit. Ihr Tenor: Regisseur Ridley Scott und sein Superstar Russell Crowe hätten sich bei ihrer fünften Zusammenarbeit völlig überworfen, was den kreativen Prozess nachhaltig behindere. Ob das nun der Wahrheit entspricht oder eine geschickt lancierte Medienbefeuerung ist, um den Film ins öffentliche Bewusstsein zu hieven, ist völlig egal. Denn letztendlich hatte dies alles keinen sichtbaren Einfluss auf den fertigen Film. Scott und Crowe betonen unisono, dass sie an „Robin Hood" nur interessiert seien, wenn er eine neue Perspektive einnimmt – immerhin da waren sie sich einig und dementsprechend modern und erwachsen ist ihre Version auch.

    „Robin Hood" anno 2010 hat mit den Mantel-und-Degen-Schinken, in denen die Schauspieler kalauernd in Strumpfhosen durch die Wälder streifen, kaum mehr etwas gemein. Ridley Scott lässt seinem „Robin Hood" den vor Kraft nur so strotzenden Inszenierungsstil seines „Gladiator" angedeihen: Realismus statt Romantik und harte Actionszenen statt augenzwinkerndem Gaunercharme. Scotts Drehbuchautor Brian Helgeland („L.A. Confidential") legt die Geschichte als Mischung aus dreckiger Heldenmär und historischem Polit-Drama an. Die Mechanismen der Macht sind Scott dabei besonders wichtig, genauestens zeigt er immer wieder die Versuche, das poltische Gleichgewicht zu stören oder wiederherzustellen. Auf der anderen Seite setzt der Regisseur auf knüppeldicke Action, die aber auch stets realistisch geerdet ist. Ihre Vitalität kombiniert er mit wunderschönen Breitwand-Panoramen und schafft so eine Atmosphäre berstender Intensität.

    Bei der Charakterzeichnung sind die Rollen nicht mehr so klar verteilt wie bei den üblichen „Robin Hood"-Verfilmungen. Die Figur des Robin Hood ist ohnehin ein Mythos, der nicht direkt auf einem einzigen realen Vorbild fußt, sondern sich als Reaktion auf die tatsächlichen Ereignisse im England des 13. Jahrhunderts insgesamt herausgebildet hat. Von daher ist es auch nicht anstößig, dass Ridley Scott nicht auf die klassische Variante des Stoffes zurückgreift. Bei ihm sind Robin Hood und der Adlige Sir Robert Loxley nicht wie so soft ein- und dieselbe Person, sondern der einfache Bogenschütze Robin Longstride schlüpft hier erst nach einigen zwielichtigen Manövern in die Haut des verstorbenen Robert Loxley. Russell Crowe gibt somit einen wesentlich kantigeren Robin Hood als etwa Kevin Costner 1991 in der kuscheligen Soft-Rockversion von Kevin Reynolds, in der damals noch zu Bryan-Adams-Schnulzen geschwoft wurde. Crowe ist ein harter Hund, der dem Mythos sein erdiges Charisma entgegenstellt und ist für diese rauere Version des Helden wie gemacht. Er mag mit seinen 45 Jahren zur Drehzeit der älteste Robin Hood der Geschichte sein, aber durch intensives Training sieht der Australier definitiv topfit aus. Und entgegen eigener ursprünglicher Planung hat er sich seiner „State of Play"-Matte entledigt und sein Haupthaar auf „Gladiator"-Länge stutzen lassen – was seinem Robin besser steht.

    Generell ist die Figur des Robin Hood so ambivalent wie selten zuvor angelegt. Er hat zwar ein eisenhartes Rückgrat, schreckt aber auch nicht davor zurück, sich unverhohlen in eine bessere Position zu lügen – in ähnlicher Weise ist die Zeichnung von Richard Löwenherz und seinem Bruder Prinz John ausgeglichener. Der sonst so reine Löwenherz ist in der Neufassung ein kriegsgeiler Tyrann, der sein Land durch die Kreuzzüge an den Rand des Verderbens gedrängt hat. Und Prinz John ist zwar immer noch eine Symbolfigur des Unsympathischen, aber zugleich auch weniger Witzfigur als zuvor – und zudem wird er von Oscar Isaac so gut gespielt, dass er sich manche Szene stehlen kann.

    Auch den Fokus der Handlung setzen Scott und Helgeland deutlich anders als gewohnt. Ihr Film erzählt quasi die Vorgeschichte zum Mythos, denn Robin Hood kämpft hier zunächst sehr wohl für die Krone, erst sehr spät wird er in Scotts Version zum Geächteten, was die Ambivalenz der Figur und der Geschehnisse unterstreicht. Die Verlagerung der Geschichte fordert aber auch Opfer. Der Sheriff von Nottingham - sonst der klassische Gegenspieler von Robin Hood - ist zwar in Person von Matthew MacFadyen weiterhin präsent, spielt aber nur eine untergeordnete Rolle. Auch das Verhältnis von Robin Hood und Lady Marion ist weniger leidenschaftlich als pragmatisch, ein Hauch von „Die Wiederkehr des Martin Guerre" (oder von dessen Remake „Sommersby") weht durch den Sherwood Forest. Aber trotz dieser Modifizierungen atmet Scotts Neuversion zwischen aus jeder Pore den Geist der Legende. Erst gegen Ende wird die Balance zwischen realistischer Revision und Respekt für den Mythos aufgegeben und der Regisseur schwenkt doch noch in Richtung eines recht konventionellen Heldenepos' um, womit er seine eigene Vision, die er über weite Strecken des Films so überzeugend entfaltet hat, letztlich unterläuft.

    Fazit: Ridley Scott zieht Robin Hood die Strumpfhosen aus. Seine Neuinterpretation fällt genau so aus wie erwartet und erhofft. Der Brite dreht den Mythos einmal durch den Wolf und präsentiert uns ein mit Ernsthaftigkeit sowie einer politischen Note versehenes, brillant fotografiertes und blutiges Schlachtengemälde, ohne sich zu weit von der Legende zu entfernen.

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