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    Prinzessinnenbad
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Prinzessinnenbad
    Von Andreas R. Becker

    „Ich komm aus Kreuzberg, du Muschi.“

    Klara, Mina und Tanutscha sind fünfzehn. Sie sind aufgewachsen bei ihren Müttern in Berlin-Kreuzberg, teilen dieselben Interessen und sind unzertrennlich. Das Leben der drei bemerkenswerten Freundinnen hat Regisseurin Bettina Blümer nach jahrelanger, geduldiger Vorarbeit und einem weiteren Jahr Drehzeit in ihren ersten abendfüllenden Dokumentarfilm „Prinzessinnenbad“ verwandelt. Der ist mit seiner teilweise spielfilmhaften Ästhetik nicht nur außerordentlich unterhaltsam, sondern auch ein lange überfälliges Porträt eines multikulturellen Stadteils. Hier wird nicht mit Zeigefingerattitüde im Stigma vom „sozialen Brennpunkt“ herumgestochert. Auf deutschen und türkischen Hiphop-Beats wird man mit unkommentierten Bildern in die Faszination einer eigenen Welt getrieben, die niemals vorgeführt wird. Auf liebevolle Weise wird Prekäres ernstgenommen, ohne es in die neue Schublade des Prekariats zu stecken.

    Im titelstiftenden Kreuzberger Prinzenbad werden die Mädchen ins Chlorwasser und der Zuschauer unvermittelt ins Geschehen geworfen. Wer den Dialogen lauscht, braucht nicht lange, um festzustellen: Hier sitzen drei junge Frauen, die sich nichts so schnell auf’s Brot schmieren lassen, sondern souverän, manchmal fast abgeklärt durchs Leben gehen. Geredet wird über Frauen und Männer, Liebe, Drogen, Beruf und Familie, sprich: eigentlich über alles, was im Leben von Bedeutung ist, aber in der Jugend noch einmal einen gesonderten Stellenwert einnimmt. Obwohl die drei, jede auf ihre Weise, sehr erwachsen und selbstreflexiv mit ihren Leben umgehen, verheimlicht der Film dennoch nicht ihre ganz eigenen Momente von Schwäche und Widersprüchlichkeit, in denen sich manchmal auch ein Rest Kind- oder Mädchenhaftigkeit offenbart. Aber anstatt sich im Problem zu wälzen, wird es akzeptiert und eben so gut es geht damit umgegangen. Pragmatismus lautet das Zauberwort, von dem sich ein vielerorts von Luxusproblemchen geprägtes Deutschland gern eine Scheibe abschneiden könnte.

    Indem der Film dieses, manchmal widersprüchliche und doch sehr bewusste, Weltbild von Klara, Mina und Tanutscha vermittelt, wird er auch, zumindest bis zu einer bestimmten Generationsgrenze, anschlussfähig. Nicht nur wird ein unvermuteter und erfrischender neuer Blickwinkel geliefert auf manches, das die Welt der so genannten „Erwachsenen“ in verkopfte Debatten verbannt hat. Auch ohne in Kreuzberg großgeworden zu sein, werden Erinnerungen wachgerufen und so manches auf amüsante und erstaunliche Weise relativiert.

    Wer dachte, mit „Prinzessinnenbad“ sei eine weitere, belehrende Milieustudie über die „Asis“ auf den Filmmarkt geschwemmt, hat sich schwer geschnitten. Schnell stellt man fest, dass in diesem multikulturell geprägten Stadtteil intelligente junge Menschen leben, die sich auch von manchmal widrigen Umständen nicht unterkriegen lassen. Letztere werden dabei trotz aller positiven Grundhaltung aber auch nicht unter den Teppich gekehrt und Kreuzberg als das Paradies auf Erden dargestellt. In mehreren Gesprächen wird deutlich, dass Gefahren und Risiken für Leib und Leben eben doch etwas öfter lauern als in Zehlendorf. Trotz dieser Tatsache aber, und das ist das Entscheidende, kommt nie der Eindruck von Perspektivlosigkeit auf, weil niemand wegen seiner Probleme den Kopf auf Dauer in den Sand steckt. Kreuzberg is the place to be und dieses Gefühl von Großstadtromantik drücken auch die Bilder aus. Wirklich sprechen tut im Film eigentlich nur der wunderbare Schnitt, der vor allem so eingesetzt wurde, dass die Fragen offen bleiben und nicht einseitig beantwortet werden. Nicht zuletzt ist es deshalb auch diese gekonnte Montage, die den Film davor bewahrt, subjektive Stempel zu vergeben.

    Stattdessen ist „Prinzessinnenbad“ein Film über das Erwachsenwerden, der - in gewissen Grenzen - durchaus Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen kann. Natürlich werden Situationen und Verhaltensweisen gezeigt, die sicher nicht zu Unrecht die Sorge des einen oder anderen geneigten Zuschauers hervorrufen können. Er macht aber auch sehr deutlich, dass man sich mit anmaßenden Urteilen von außerhalb vorsichtig zurückhalten sollte und nicht alles ganz so dramatisch ist, wie es einem manchmal verkauft wird. Auch auf den Küchentischen von Kreuzberger Müttern, die ihren Töchtern „nur“ eisern verbieten, schwanger zu werden und Heroin zu nehmen, steht eine Tüte gesunde, frische Milch. Und auch sie stellen sich, genau wie alle anderen Mütter und Väter, die Eine-Million-Euro-Frage, was richtig und falsch ist für ihre Kinder, ohne darauf je die perfekte Antwort zu finden. Überdies wird deutlich, dass die Familie hier noch ein viel stärkeres Band des Zusammenhaltes ausmacht, als es wohl in denjenigen Bildungsschichten der Fall ist, die über die „Zustände“ in Stadtteilen wie Kreuzberg am ehesten mitleidig den Kopf schütteln.

    Und inmitten all dessen gehen drei junge Frauen ihren Weg, nicht ohne Schleifen und Rückschläge, aber ohne sich um solches Gerede zu scheren. Das macht Freude zu sehen und hat der Regisseurin Bettina Blümner den Preis „Dialogue en perspective“ eingebracht, der in Kooperation mit TV5MONDE zum vierten Mal auf der Berlinale für innovatives deutsches Kino vergeben wurde. Was man abschließend zu „Prinzessinnenbad“ noch sagen kann, hat Alfred Holighaus, Leiter der Perspektive Deutsches Kino, bei der erstmaligen Vergabe im Jahr 2004 bereits treffend zusammengefasst: „Die Sprache des Kinos ist universell. Deshalb ist das Kino nicht nur ein Medium der Unterhaltung, sondern auch der Verständigung. Dies wollen wir mit diesem Preis betonen.“

    Zum Interview mit Regisseurin Bettina Bluemner

    Zum Interview mit den Hauptdarstellerinnen

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