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    Miss Pettigrews großer Tag
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Miss Pettigrews großer Tag
    Von Martin Soyka

    Literaturverfilmungen sind für Produzenten eine verlockende Sache. Meist handelt es sich um einen Stoff, der schon einem größeren Kreis bekannt ist. Wird das Werk geschätzt oder gar verehrt, kann man schon vor Drehstart getrost von einem gewissen Zuschauer-Grundstock ausgehen. Spielt das Buch in früheren Zeiten, lässt sich außerdem mit einer schönen Ausstattung punkten, denn nicht wenige freuen sich über die so treffend bezeichneten „Period-Movies“, in denen die dekorative Wiederbelebung vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte betrieben wird. Und wenn die Geschichte dann noch dem komischen Genre zuzuordnen ist, ist fast von einem sicheren Hit ausgehen, denn Komödien gehen immer, selbst wenn nicht alle Gags zünden. So oder so ähnlich müssen die Verantwortlichen im Fall von „Miss Pettigrews großer Tag“ kalkuliert haben, als sie die Verfilmung des gleichnamigen Romans in Angriff nahmen. Aber wie das mit solchen Plänen ist, es will nicht immer so hinhauen wie gewünscht. Regisseur Bharat Nalluris Versuch, einen beschwingten und gleichzeitig leicht nachdenklichen Film zu machen, kann nicht restlos überzeugen. Denn etwas, das jede gute Komödie braucht, kommt hier zu kurz: Tempo und Witz.

    London am Vorabend des Zweiten Weltkriegs: Das Kindermädchen Guinevere Pettigrew (Frances McDormand) hat wieder einmal seine Stellung verloren. Zu wirr sind ihre Haare, zu eigensinnig ihr Erziehungsstil. Auf der Stellenagentur hat man kein Verständnis dafür, denn offenbar hat Miss Pettigrew nicht die Neigung, sich ihren Arbeitgebern anzupassen. Nun sieht sie sich erbarmungslos Hunger und Kälte ausgesetzt. Sie greift nach dem letzten Strohhalm in Form einer Visitenkarte auf dem Schreibtisch der unaufmerksamen Arbeitsvermittlerin. Das Kärtchen gehört

    der aufstrebenden Jungschauspielerin Delysia Lafosse (Amy Adams), die offenbar eine Stellung zu vergeben hat. In der Annahme, dass es sich bei der Arbeit wiederum um die eines Kindermädchens handelt, spricht Miss Pettigrew kurzerhand bei der jungen Dame vor, fest entschlossen, jeder potentiellen Konkurrentin zuvorzukommen. Doch Miss Pettigrew ist einem handfesten Irrtum erlegen, die Jungen, um die sie sich kümmern soll, sind viel zu alt, um noch als Kinder durchgehen zu können. Tatsächlich galt die Stellenausschreibung einer Privatsekretärin, denn Miss Lafosse hat ein turbulentes Liebesleben, das eines durchdachten Managements bedarf. Die erzkonservative Miss Pettigrew macht kurzerhand aus der Not eine Tugend und hilft ihrer neuen Herrin durch einen chaotischen Tag, der das Leben beider Frauen von Grund auf verändern soll…

    Die Komödie basiert auf einem Roman der hierzulande völlig unbekannten englischen Schriftstellerin Winifred Watson, deren Schaffen übersichtlich ist und im Wesentlichen aus auf dem Lande angesiedelten Dramen besteht. „Miss Pettigrew Lives For A Day“ sticht mit seinem komödiantischen Einschlag als Besonderheit aus Watsons Werk heraus. Aus dem Blickwinkel des Erscheinungsjahres 1938 ist der Roman geradezu unerhört schlüpfrig gewesen, denn die junge Miss Lafosse muss sich mit einer ganzen Handvoll Liebhaber gleichzeitig herumschlagen. Es gab bereits mehrere Anläufe, die Geschichte zu verfilmen, und so kam es, dass die geschäftstüchtige Autorin die Rechte an ihrem Roman seit 1939 nicht weniger als drei Mal verkaufen konnte.

    Die Idee, eine Komödie zu fabrizieren, die innerhalb eines Zeitraums von 24 Stunden spielt, ist natürlich nicht neu, aber dennoch prinzipiell gut. Auch nicht schlecht ist der Running Gag, Miss Pettigrew aus Hunger handeln zu lassen, ihr aber den ganzen Film über Nahrung vorzuenthalten (von ein paar Gurkenscheiben abgesehen, die ihr von der Kosmetikerin auf die Augen gepappt wurden). Das Ganze würde aber noch viel besser funktionieren, wenn die Komödie mit gebührendem Tempo erzählt würde, statt dieses nur anzutäuschen. Aber nach einem wirklich brauchbaren ersten Akt erlahmt das Erzähltempo. Dafür punktet der Film von jetzt an mit seiner Ausstattung und den Kostümen, denn dies alles ist wirklich erlesen. Man muss sich wirklich wundern, wie viel Schauwerte der TV-erprobte Regisseur Bharat Nalluris mit einem vergleichsweise beschränkten Budget auf die Leinwand bringt. Besonders interessant ist, dass der Film genreuntypisch nicht in Amerika spielt, sondern in England. Und der Film gewinnt dem Vorkriegs-London tatsächlich diverse interessante Ansichten ab.

    Anders als in der Buchvorlage, die vor dem großen Krieg entstanden ist, wurden Anspielungen auf das kommende Unheil eingearbeitet, das die Romanautorin natürlich bestenfalls erahnen konnte. Dadurch wurde die Dramatik weiter erhöht, allerdings auf Kosten der Leichtigkeit des Stoffes. Denn sein eigentliches Genre, die Screwball-Comedy, wird streckenweise völlig aus den Augen verloren. Eigentlich sollte es darum gehen, dass die junge Miss Lafosse zwischen ihren verschiedenen Liebschaften wählen muss: zwischen einem Nachtclubbesitzer (womit ihr Auskommen gesichert wäre, gehört ihm doch die Wohnung, in der sie lebt), einem jungen Theaterproduzenten (der ihr möglicherweise nicht nur die Ehe, sondern auch eine Karriere verschaffen würde) und einem mittellosen Pianisten (der für wahre Liebe und Freiheit steht). Gleichzeitig wird der verzogenen Göre die durch und durch verknöcherte Miss Pettigrew gegenüber gestellt, die von ihrer neuen Arbeitgeberin kurzerhand einer Rundum-Erneuerung unterzogen wird. Man mag sich gar nicht vorstellen, was ein Billy Wilder, ein Ernst Lubitsch oder ein Blake Edwards aus diesem Stoff gemacht hätten: einen Klassiker, kein Zweifel. Stattdessen zuckelt die Handlung überraschend humor- und tempoarm vor sich hin, bis schließlich jeder Topf seinen Deckel gefunden hat und die dauerhungrige Titelfigur endlich ein Frühstück zu sich nehmen darf. Da, wo andere auf das Gaspedal getreten hätten, werden vornehmlich melancholische Szenen eingestreut, wodurch die Geduld des Betrachters doch das eine oder andere Mal strapaziert wird.

    Aber wollen wir nicht zu streng sein, denn ein schlechter Film ist „Miss Pettigrew“ nicht. Die Schauspieler sind allesamt gut aufgelegt, allen voran die unverwüstliche Frances McDormand (Fargo, Almost Famous, Burn After Reading), gefolgt von Amy Adams (Junebug, Sunshine Cleaning, Glaubensfrage), die einen tollen Gegenpart abgibt. Bis hinein in die Nebenrollen ist die Besetzung klasse, und es ist spürbar, dass es allen Beteiligten große Freude bereitet, in dieser altmodischen Produktion ihr Bestes zu geben. Den Witz und die Klasse von Blake Edwards' „Viktor/Viktoria“ mit Julie Andrews, an den Nalluris Film in mancher Hinsicht erinnert, erreicht „Miss Pettigrews großer Tag” allerdings nicht, dafür wirkt vieles ein wenig zu bemüht. Brauchbare Unterhaltung bietet er dennoch.

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