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    Import/Export
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Import/Export
    Von Christian Schön

    Das doppelte Wesen der Grenze ist so geartet, dass diese nicht nur separiert, sondern auch verbindet. Die Grenze markiert gesonderte Bereiche, schafft eine topologische Trennung. Sie entsteht dort, wo kulturelle Ausschlussmechanismen ihre Wirkung entfalten. Die Grenze als symbolischer Ort, an dem Unterschiedenes zueinander Bezug nimmt, steht dem gegenüber. Der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl lotet seit Jahren in seinen Filmen Grenzregionen aus. Dabei interessieren ihn weniger die großen Konflikte in den wortwörtlichen Grenzregionen, als vielmehr die regionalen und familiären Auswirkungen der abstrakten Grenzen in Gesellschaft und Kultur. In seinem Drama „Import Export“ erzählt Seidl Geschichten von zwei Menschen am unteren Ende der Gesellschaft, die ihre jeweiligen Landesgrenzen verlassen, um in der Fremde einen Neuanfang zu wagen. In seinem achten fürs Kino produzierten Film hat der Regisseur endgültig seinen Stil der inszenierten Dokumentation perfektioniert. Die kühlen, distanziert wirkenden Bilder bewegen sich sehr nahe am Betrachtungsgegenstand. Damit übt „Import Export“ messerscharfe Gesellschaftskritik, die in ihrer provozierenden Radikalität des Zeigens dem ein oder anderen möglicherweise zu weit geht.

    Zwei komplementäre Geschichten ergänzen sich in „Import Export“. Die in der Ukraine lebende Krankenschwester Olga (Eykataryna Rak) wohnt mit ihrer Mutter und ihrem Kind in einer beengten Wohnung. Da ihre Arbeit nicht genug Geld zum Leben abwirft, versucht sie, kurze Zeit als Darstellerin für eine Live-Internetpornoseite etwas dazu zu verdienen. Als sie mit Hilfe einer Freundin (Natalia Epureanu) die Möglichkeit bekommt nach Österreich zu gehen, lässt sie ihr Kind und ihre Mutter in der Heimat zurück. In Wien angekommen, kommt sie zunächst als Frau für alles in der Villa einer reichen Familie unter. Demütigungen sind jedoch an der Tagesordnung. Der Willkür ihrer Herrin ausgeliefert, und durch kein Arbeitsrecht abgesichert, verliert Olga bald wieder ihre Arbeit, findet aber in einer Geriatrie eine neue Anstellung als Putzfrau. Zurück im eigentlich vertrauten pflegerischen Umfeld stößt sie als Arbeitskraft mit Migrationshintergrund permanent an ihre Grenzen. Die andere Geschichte handelt von dem Wiener Paul (Paul Hofmann), der nach seiner Ausbildung zum Security-Wachmann eine Arbeit findet, diese jedoch genauso schnell wieder verliert. Ohne Arbeit und ohne Geld vermehren sich seine Probleme zusehends. Sein Stiefvater (Michael Thomas) bietet ihm Hilfe an und nimmt ihn mit auf seine Arbeitsreisen nach Osteuropa, wo er ausrangierte Spielautomaten und Kaugummiautomaten aufstellt. Als sein Stiefvater zu dessen Argwohl Paul nicht nur die Vorteile des Arbeits- sondern auch die des Sexlebens im Osten näher bringen will, entwickelt sich die Fahrt in die Ukraine für Paul durch die permanente Konfrontation mit sich selbst und seinen Fähigkeiten zu einer Suche nach einem Fluchtweg aus seinem bisherigen Leben.

    Das Spiel, das die Filme von Ulrich Seidl auszeichnet, ist das zwischen Inszenierung und Wirklichkeit. Zu Beginn lässt der „Import Export“ den Zuschauer im Unklaren darüber, ob er dem realen Schicksal von Paul und Olga beiwohnt oder das Ganze Teil einer narrativen Strategie darstellt. Die anfänglich schwebende Erwartung eines erklärenden Off-Kommentars stellt sich bald als vergeblich heraus und erübrigt sich ob der zunehmenden Verdichtung des Dargestellten. Einzelne Elemente, die zunächst unerklärlich scheinen, entbergen in der Rückschau ihren Sinn. Dieser Effekt wird durch die Erzählform verstärkt. Nachdem zu Beginn einmalig die zwei Schauplätze in Österreich und der Ukraine mit einer Einblendung eingeführt worden sind, springt der Film unvermittelt zwischen den beiden hin und her. Geschieht dies, bedarf es, will man den Ort der Handlung bestimmen, einer gesteigerten Aufmerksamkeit bei der Spurensuche, da man bei dieser zum Beispiel auf spärlich auftauchende kyrillische Schriftzeichen angewiesen ist. Andere Anhaltspunkte gibt es kaum. Auf Einblick verschaffende Gespräche in vertrauter und fremder Sprache wartet man im ersten Drittel des Films, sowohl in der grauen Tristesse Österreichs beziehungsweise der Ukraine, vergebens. Ist man dann soweit mit den Figuren und deren Umgebung vertraut, setzt jäh ein dramaturgischer Wendepunkt ein. Olga verlässt die Ukraine Richtung Wien. Hier wiederum befindet sich Paul bereits mitten in dem zähen, schleichenden Lösungsprozess aus seinen sozialen Strukturen, und damit aus seiner Heimat begriffen. Kurze Zeit später bildet er den Gegenpol aus, von dessen Perspektive aus der Blick wieder in den Osten blenden kann.

    Einen wichtigen Beitrag zum Funktionieren dieses Verwirrspiels zwischen Realität und Fiktion leisten die Schauspieler und Statisten. Die Nebendarsteller sind Darsteller nur im weitesten Sinne des Wortes. Keiner von ihnen wurde gecastet, geschminkt, geschweige denn darauf vorbereitet, dass Filmaufnahmen von ihm gemacht werden sollen. Die Menschen, die vor Ort gefunden wurden, erschienen Seidl perfekt, um im Film genau als das zu erscheinen, was und wie sie sind. Diejenigen Rollen, die bewusst besetzt wurden, sind größtenteils Neulinge, die niemals zuvor vor der Kamera standen. Ein Mittel, das Seidl vorsätzlich einsetzt, um die Authentizität, die er sucht, zu transportieren. Eykataryna Rak, im Film als Olga zu sehen, ist gelernte Krankenschwester und kann nun, nachdem sie an der Schauspielerei gefallen gefunden hat, als Darstellerin von Märchenfiguren im Kindertheater arbeiten. Ihr Heimatland Ukraine hat sie bis zu dem Zeitpunkt der Dreharbeiten noch nie verlassen und sprach keinerlei Fremdsprachen. Paul Hofmann auf der anderen Seite befindet sich momentan, wie auch im Film, auf Arbeitssuche. Neben diesen zwei Gruppen tauchen auch noch eine Reihe von inzwischen zu Stammschauspielern von Seidl gewordenen, mehr oder weniger bekannten Gesichtern auf. Maria Hofstätter („Hundstage“, „Wolfzeit“, Sophie Scholl - Die letzten Tage) und Georg Friedrich („Hundstage“, Silentium, Fremde Haut) haben im Vorfeld als Vorbereitung auf ihre Rollen als Altenpfleger ein halbes Jahr in der Geriatrie gearbeitet. Dadurch sind sie den alten Menschen vertraut geworden und sorgen an dieser Stelle für ein Höchstmaß an Echtheitsgefühl der Szenen.

    In einer nach Vergleich suchenden Konsequenz setzt Ulrich Seidl etwas in „Import Export“ um, das in der Diskussion seit Foucault als Paradigma der Biopolitik bezeichnet wird. Verkürzt gesagt, geht es dabei darum, dass der Mensch im Zuge der Moderne zunehmend im politischen Kontext wie Biomasse behandelt wird, als bloßer Körper, dessen Würde antastbar geworden ist. Der Mensch ist ein Ding in der Welt, das von den Anderen seinem Wesen nach nicht zu unterscheiden ist. Was vom Menschen dann noch übrig bleibt, sind die allzumenschlichen Körperfunktionen und die animalischen Triebe, die nach Befriedigung verlangen. Das Begehren, die Lustbefriedigung und das Verlangen nach Rausch prägen die Zustände, in denen wir die Menschen in „Import Export“ zu sehen bekommen. Der gesamte Film ist durchwoben von in Szene gesetzten Körpern: gemarterte Körper, sterbende Körper in der Geriatrie, schwitzende und tanzende Körper, Körper, mit denen man für ein wenig Geld alles machen kann, kopulierende Körper, ausscheidende Körper, kämpfende und gedemütigte Körper. Das Bemerkenswerte dabei ist die bestechende Schönheit und Ruhe der Bilder, die Seidl von seinen Kameramännern Ed Lachman (The Virgin Suicides, Last Radioshow, La Soufriere, Regie: Ken Park,) und Wolfgang Thaler (Megacities, []Workingman´s Death]], Jesus, Du weißt) einfangen lässt.

    Die zweite, mit dem eben skizzierten Menschenbild verwandte Konsequenz, die Seidl unerbittlich zieht, ist der innere Motor des Films. Der Mensch bekommt Warencharakter und wird damit Tauschobjekt, das im- und exportiert werden kann, weil ihm ein realer Tauschwert zukommt, der früher den Waren vorbehalten war. Kulturwandel und Globalisierungstendenzen werden auf eine ökonomische Basis gestellt. Die multikulturelle Gesellschaft besteht demnach deshalb, weil billige Arbeitskräfte aus dem Osten in der westlichen Welt ihr Glück vermuten. Sie werden integriert, wenn ihre Körper günstiger erwerblich sind als vergleichbare. Ihr Reiz liegt darin, flexibel und austauschbar zu sein. Dabei ist der Ulrich Seidl oft zugeschriebene (Kultur-)Pessimismus nicht ganz ohne Grenzen, ohne dabei gleich einen romantischen Idealisten dahinter vermuten zu müssen. Denn sowohl die Lebensgeschichte von Paul, als auch die von Olga, endet nicht in einem abgeschlossenen Prozess des Scheiterns, sondern lassen Raum für ein wenig Hoffnung offen. Zudem findet der Austausch nicht in einer Einbahnstraße statt. Die Wege gehen von Osten nach Westen und von West nach Ost. Hier wie dort scheint es Nischen, Freiräume zu geben, die mit den Träumen des jeweils Anderen kompatibel sind.

    Ulrich Seidl stellt sich mit seinem Werk in eine Reihe von anderen österreichischen Kunstschaffenden. Er führt eine Tradition weiter, die zynische Kälte und Gesellschaftskritik in einer hoch verdichteten Form präsentieren. Im Theater und der Prosa sind da Größen wie Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek oder Ingeborg Bachmann. Beim Film steht ihm Michael Glawogger („Megacites“, „Workingman’s Death“, Slumming) und Michael Haneke (Die Klavierspielerin, Funny Games, Caché) nahe. Ganze entscheiden im humoristischen Bereich müssen die Kabarettisten Alfred Dorfer („Ravioli“, „Indien“) und Josef Harder („Silentium“, Komm, süßer Tod) hinzugerechnet werden, die gleichzeitig als Filmschauspieler und Regisseure tätig werden. Drei Bereiche kommen hier fruchtbar zusammen: Zum einen die viel gerühmte inszenatorische Kälte, die nicht nur mit den gewählten Themen und dem kühlen Blick darauf verbunden sind, sondern auch stilistisch mit vielen langen, bewegungslosen Kameraeinstellungen erreicht wird. Von den Schriftstellern erbt Seidl, ob bewusst oder nicht, die gnadenlose Radikalität bei der Kritik der Gesellschaft. Und zu guter Letzt warten die Filme Seidls mit einer gehörigen Portion von Zynismus und Ironie auf. Der Humor, der bedient wird, könnte schwärzer aber nicht sein, so dass einem manchmal das Lachen fast im Halse stecken bleibt.

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