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    Glaubensfrage
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Glaubensfrage
    Von Björn Helbig

    Der Autor und Regisseur John Patrick Shanley wurde für sein Bühnenstück „Glaubensfrage“ bereits mit einem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Nun hat er es auch für die große Leinwand umgesetzt. In die Story, die kurz nach dem Attentat auf John F. Kennedy in der katholischen Schule St. Nicholas in der Bronx angesiedelt ist, ließ Shanley Erfahrungen aus seiner eigenen Schulzeit einfließen. „Glaubensfrage“ ist ein auf den ersten Blick simpel gestrickter Film, der eine überschaubare Geschichte erzählt – allerdings lauern im Hintergrund komplexe moralische Fragestellungen.

    Der Priester Brendan Flynn (Philip Seymour Hoffman) und die Nonne Aloysius Beauvier (Meryl Streep) könnten unterschiedlicher kaum sein: Die Schwester führt ein strenges Regiment, glaubt an feste Regeln und die Macht der Furcht. Anders der charismatische Flynn, der eher liberale Ansichten hat und frischen Wind in die Einrichtung bringen möchte. So setzt er sich auch mit ganzer Kraft für den ersten farbigen Schüler der Schule Donald Miller (Joseph Foster) ein. Beauvier beäugt Flynn misstrauisch und setzt schließlich die Ordensschwester James (Amy Adams) auf ihren Vorgesetzten an. Eigentlich mag James den Pater und hält ihn für einen guten Menschen. Doch dann beobachtet sie etwas, das auf den Missbrauch des Jungen durch den Priester hindeutet. Beauvier sieht sich in ihrem Verdacht bestätigt und geht mit aller Kraft gegen Flynn vor…

    „Es gibt eine Rangordnung.“ - Schwester Aloysius Beauvier

    Die Inhaltsangabe für sich wirkt wie eine Schwarz-Weiß-Zeichnung: Auf der einen Seite steht der liberale, grundfreundliche Pater Flynn, der sich für einen afroamerikanischen Schüler einsetzt. Auf der anderen Seite die erzkonservative Schwester Beauvier, die in ihrer Schule ein eisernes Regiment durchsetzt. Die Sympathien des Publikums fliegen sofort Flynn zu. Grautöne sind zunächst Fehlanzeige. Doch so offensichtlich ist Shanleys Story dann doch wieder nicht. Im Verlauf der Geschichte tauchen immer mehr Indizien auf – einige erhärten den Verdacht der Schwester, andere sprechen für Flynns Unschuld. Dazu gehören nicht nur Fakten, sondern auch die Persönlichkeitsmerkmale der Protagonisten, die für den Zuschauer in seiner abschließenden Beurteilung des Falls ebenso bedeutend sind. So wird man während, aber auch noch lange nach dem Film zum Mitdenken angeregt.

    „Was dir heute leicht gemacht wird, dafür wirst du morgen büßen.“ - Schwester Aloysius Beauvier

    Szenen, die zum Mitraten einladen, gibt es zuhauf. Dabei geht Shanley äußerst manipulativ vor und lenkt die Gedanken des Zuschauers immer wieder bewusst in eine bestimmte Richtung. Pater Flynn erzählte zum Beispiel eine Parabel, die von dem großen Risiko handelt, die leichtfertig vorgebrachte Anschuldigungen mit sich bringen. Er vergleicht Gerüchte mit vom Dach geschüttelten Federn, die später unmöglich wieder einzusammeln sind. Die Parabel verstärkt noch einmal das Gefahrenbewusstsein des Zuschauers hinsichtlich der von Schwester Beauvier unternommen Aktionen gegen den Priester. Sind ihre Bestrebungen gegen Flynn aufgrund der dünnen Beweislage wirklich gerechtfertigt? Ist das damit verbundene Risiko für einen unbescholtenen Menschen nicht zu groß? Hinzu mischt sich der Zweifel, ob Schwester Beauviers Beweggründe wirklich rechtschaffen sind. Es besteht doch zumindest die Möglichkeit, dass ihre Motivation eher politischer Natur ist und sie aus diesem Grund gegen den modernen Pater vorgeht.

    Die präzise Inszenierung von John Patrick Shanleys steht ganz im Dienst der Sache. Er verzichtet auf alles, was von der Geschichte ablenkt, und weiß mit einer beinahe absoluten Schlichtheit zu gefallen. Die pointierte Geschichte und die zweckdienliche Regie sind das eine. Dass der Film in seiner Gesamtheit funktioniert und dass der Zuschauer den Fährten und Finten folgt, ohne sich am Ende an der Nase herumgeführt zu fühlen, liegt vor allem an dem starken Darsteller-Quartett Meryl Streep (Mama Mia, Machtlos, Spuren eines Lebens), Philipp Seymour Hoffman (Capote, Tödliche Entscheidung, Magnolia), Amy Adams (Sunshine Cleaning, Verwünscht, Junebug) und Viola Davis (Disturbia) als Donalds Mutter. Folgerichtig wurde jeder einzelne der vier für einen Oscar nominiert. Die beste und schauspielerisch kraftvollste Szene ist das erste Aufeinandertreffen von Pater Flynn und Schwester Beauvier im Büro der Schuldirektorin. Die eisigen Spannungen, die sich hier zwischen Streep und Hoffman auftun, begeistern!

    „Es gehört zu meinen Aufgaben, gerissener zu sein als der Fuchs.“ - Schwester Aloysius Beauvier

    Wenn man dem Film etwas vorwerfen möchte, dann die etwas karge Inszenierung und das eine oder andere Overacting. Dass Regisseur Shanley sich zum Schluss doch auf eine Seite schlägt, ist angesichts der Stärken des Films ebenfalls zu verschmerzen. Trotzdem hätte es dem Film noch besser zu Gesicht gestanden, wenn er auch am Ende auf einen angedeuteten moralischen Zeigefinger verzichtet hätte. Wie auch immer man das halboffene Finale wahrnimmt: Einfach schlucken sollte man die implizite Aussage jedenfalls nicht, sondern vielmehr den Film als Anlass nehmen, sich mit den Dilemmata der Figuren weiter auseinanderzusetzen.

    Fazit: Wenngleich Shanleys Adaption seines eigenen Theaterstücks den Geist der 1960er Jahre atmet, behandelt sein spannendes Drama doch zeitlose Fragen. „Glaubensfrage“ regt zum Nachdenken an, indem er den Zuschauer mit seinen eigenen (Vor-)Urteilen konfrontiert und macht so seinem Originaltitel „Doubt“ („Zweifel“) letztendlich alle Ehre.

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